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PolitikPolen

Visa-Affäre: EU will mehr Anworten aus Polen

22. September 2023

Die Antwort polnischer Behörden auf konkrete Fragen zu möglicher Bestechung bei der Visa-Vergabe stellt Brüssel nicht zufrieden. Die EU-Kommission will mehr Details. Bernd Riegert berichtet aus Brüssel.

Polen Ukraine Grenzgebiet
Polnisch-ukrainische Grenze: Ging beim Erteilen hunderttausender Visa alles mit rechten Dingen zu?Bild: Karol Serewis/ZUMA/IMAGO

Die EU-Kommissarin für Inneres und Migration, Ylva Johansson, hat schnell Post aus Warschau erhalten. Doch die Antworten des polnischen Außenministeriums seien "nicht ausreichend", teilte ihre Sprecherin in Brüssel mit. Am Mittwoch hatte Johansson einen Fragenkatalog nach Polen geschickt, um konkrete Angaben zu Vorwürfen zu erhalten, polnische Konsulate hätten gegen Bestechungsgelder möglicherweise Hunderttausende Visa in Asien und Afrika ausgestellt. Der Staatssekretär Pawel Jablonski, der das Schreiben an die EU-Kommissarin unterzeichnet hat, weist alle Vorwürfe, es gebe so etwas wie einen Skandal oder eine Affäre, zurück. Der Vorgang sei von den Medien und der bürgerlichen Opposition im laufenden Wahlkampf in Polen über die Maßen aufgebauscht worden. "Die Geschichten in den Medien und die Stellungnahmen von Vertretern der Opposition haben nichts mit der Wahrheit zu tun und zielen darauf, ein Informations-Chaos zu schaffen", meint Jablonski in seinem Schreiben, das der DW in Brüssel vorliegt.

EU-Kommissarin Ylva Johansson: Polen hat spezifische Fragen nicht beantwortetBild: MENELAOS MYRILLAS/SOOC/AFP/Getty Images

500.000 nationale Visa für Polen

Das polnische Außenministerium bestätigt, dass eine Untersuchung der Visa-Vergabe durch die Anti-Korruptionsbehörde in Polen seit Juli 2022 bislang 268 Fälle aufgedeckt hat, bei denen Bestechung von Konsularbeamten eine Rolle spielt. Ein Vize-Außenminister wurde bereits entlassen, sieben Personen wurden für Befragungen verhaftet. Der Zeitraum der Untersuchung umfasse 18 Monate, heißt es in dem Schreiben des Außenministeriums. Welcher Zeitraum, welches Jahr gemeint ist, wird nicht aufgeführt. In diesem Zeitraum habe Polen 500.000 Visa ausgestellt. Die Bestechungsfälle seien also nur ein winziger Bruchteil.

Polens stellvertretender Außenminister Jablonski verfasste das AntwortschreibenBild: Jack Parrock/DW

Bei diesen  500.000 Visa soll es sich um sogenannte Schengen-Visa Typ D handeln, auch nationale Visa genannt. Sie berechtigen nur zur Einreise nach Polen und zur längerfristigen Arbeitsaufnahme in Polen. Eine Weiterreise in andere Staaten der Schengenzone ohne Personenkontrollen an den Binnengrenzen ist nicht gestattet. 80 Prozent dieser Visa seien an Menschen aus der Ukraine oder Belarus ausgestellt worden. Die Gesamtzahl der ausgestellten nationalen Visa erscheint sehr hoch. Sie ist noch höher als die Zahlen, die polnischen Medien und die Oppositionspartei - bislang allerdings ohne Quellenangabe - verbreitet hatten. Zum Vergleich: Deutschland hat in den Jahren 2021 und 2022 zusammen rund 640.000 nationale Visa vom Typ D erteilt. Die Zahlen der Schengen-Visa vom Typ C, die nur für 90 Tage gelten und zur Reise im ganzen Schengenraum berechtigten, hat das polnische Außenministerium für den fraglichen Zeitraum nicht genannt.

Mehr Antworten bis zum 3. Oktober

Das sei nicht erschöpfend, bemängelte Anitta Hipper, die Sprecherin der EU-Kommission. "Wir brauchen immer noch Antworten bis zur ursprünglichen Frist vom 3. Oktober", sagte Hipper auf eine Frage der DW. "Die EU-Kommissarin hat spezifische Fragen zu den Auswirkungen auf den Schengenraum gestellt, über die Zahl der Visa und der Konsulate, die betroffen sind. Wir brauchen Klarheit über die Situation." Das polnische Außenministerium gibt an, dass alle Verträge mit Beratungs- und Visavermittlungsunternehmen gekündigt wurden. Außerdem wurde auch der Chef der Rechtsabteilung des Außenministeriums entlassen. Die polnische Zeitung Rzeczpospolita berichtet heute, Polen habe nach Angaben der Europäischen Statistikbehörde von 2020 bis heute sogar zwei Millionen nationale Visa zur Arbeitsaufnahme ausgestellt.

Begehrtes Visum: EU-Staaten stellen jährlich Millionen von Visa aus (hier: 90 Tage Schengen-Visa Typ C)Bild: Imago Images/photothek/T. Koehler

Die Auseinandersetzung um die Visa-Vergabe spielt im Wahlkampf zwischen der regierenden nationalkonservativen PiS-Partei und der oppositionellen Bürgerplattform eine große Rolle. Die Opposition wirft der Regierung Heuchelei vor, weil sie einerseits gegen Migration wettere, aber andererseits Visa gegen Schmiergeld ausstellen lasse. Am 15. Oktober wird in Polen ein neues Parlament gewählt.

Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte ebenfalls Aufklärung von ihrem polnischen Amtskollegen verlangt. Die Bundespolizei verzeichnet in diesem Jahr einen Anstieg der Migrantenzahlen an der deutsch-polnischen Grenze. Faeser will keine stationären Grenzkontrollen an dieser Binnengrenze in der Schengenzone einführen, sondern setzt auf Fahndung im Hinterland. Dazu wurden mehrere hundert zusätzliche Polizeibeamte abgestellt. Ob es einen Zusammenhang mit der Visa-Vergabepraxis in Polen gibt ist aber völlig offen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union