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Größenwahnsinniges Kino des Michael Cimino

Jochen Kürten
2. Juli 2018

In der von Gigantomanie geprägten Geschichte Hollywoods nimmt er einen Ehrenplatz ein: Michael Cimino trieb mit nur einem Film ein ganzes Filmstudio in den Ruin. Drei seiner Werke sind jetzt wiederzuentdecken.

Filmszene Heaven's Gate: Kris Kristofferson und Isabelle Huppert vor einem lila blühenden Busch
Bild: Imago/United Archives

Vor drei Jahren begrüßte Festivalleiter Carlo Chatrian den amerikanischen Regisseur beim Filmfest Locarno, um ihm den Ehren-Leoparden zu überreichen. Längst hatte Michael Cimino (1939 - 2016) den Status einer Hollywood-Legende. Der Besuch in Locarno sollte Ciminos letzter großer Auftritt sein. Ein knappes Jahr später, am 3. Juli 2016, wurde er tot in seinem Haus in Los Angeles aufgefunden.

Drei Cimino-Filme - neu gesehen

Ein großes Risiko ist Chatrian mit der Vergabe des Festival-Ehrenpreises nicht eingegangen, auch wenn der Regisseur schon lange keinen Film mehr gedreht hatte. In Fachkreisen galt Cimino schon lange als begnadeter, wenn auch überaus schwieriger Filmemacher. So war es 2015 eine gute Wahl, einen Regisseur wieder ins Rampenlicht zu stellen, der drei Jahrzehnte zuvor mit nur einer Handvoll Filmen Kinogeschichte geschrieben hatte. Drei seiner besten Werke sind jetzt in restaurierter Form auf DVD und Blu-ray erschienen.

Carlo Chatrian preist Michael Cimino auf der Bühne in LocarnoBild: Getty Images/V. Z. Celotto

"New Hollywood"

Michael Cimino gehörte einst zum Kreis von jungen amerikanischen Regisseuren, die Ende der 1960er Jahre das US-Kino umkrempelten und unter dem Schlagwort "New Hollywood" weltberühmt wurden. Für ein gutes Jahrzehnt sorgten Filmemacher wie Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Peter Bogdanovich und eben auch Cimino dafür, dass das verkrustete amerikanische System mit mächtigen, aber risikoscheuen Studio-Bossen und einem schwerfälligen Produktionsapparat abgelöst wurde von kreativen Autoren und Regisseuren, die mutig alles dran setzten ihre Ideen zu verwirklichen - koste es, was es wolle. Cimino war mit seinem Spielfilmdebüt "Die letzten beißen die Hunde" (1974) einer jener jungen Wilden, die sich zunächst an die Spitze der filmischen Erneuerungsbewegung setzten. 

Zwei Gauner auf Tour: Jeff Bridges und Clint Eastwood in "Den letzen beißen die Hunde"Bild: Imago/Entertainment Pictures

Cimino sprang für Clint Eastwood ein

Eigentlich sollte bei diesem Film Clint Eastwood, der neben dem jungen Jeff Bridges die Hauptrolle in diesem Buddy-Movie spielt, Regie führen. Doch Eastwood überließ dem jungen bis dahin nur als Drehbuchautor aufgefallenen Cimino die Regie. Das Debüt des Amerikaners mit italienischen Wurzeln zeigte dann, was für ein besonderes Talent in diesem jungen Regisseur schlummerte: "Ciminos Filme sind stets durch und durch amerikanisch, als sie Amerika abbilden, wie es wirklich ist: groß, weit und erhaben hinsichtlich dessen natürlicher Geografie - und komplex mit all seinen Bewohnern darin", schreibt Sebastian Jung im Booklet der Neuauflage des Films.

Die Story des Films, die die Freundschaft zwischen einem ausgefuchsten, erfahrenen Gangster (Eastwood) und einem jungen, lebenslustigen Tunichtgut (Bridges) schildert, ist eher konventionell. Doch wie Cimino diese profane Geschichte in seinem ersten Spielfilm inszeniert, wie traumwandlerisch sicher er mit Bildkompositionen, Kameraperspektiven und -fahrten umgeht (Kamera: Vilmos Zsigmond), ist atemberaubend und noch heute beeindruckend.

Erfolgreich und gefeiert

Für sein Vietnam-Drama "The Deer Hunter" (1978, dt. Titel: "Die durch die Hölle gehen") bekam Cimino fünf Oscars, darunter den für die beste Regie. Er galt in jenen Jahren als angesagtester junger US-Regisseur, als "Wunderknabe" des neuen amerikanischen Films. Studios und Produzenten lagen ihm zu Füßen. Cimino nutze das und inszenierte dann einen Western, wie Hollywood ihn zuvor nie gesehen hatte. 

Alles ist echt in "Heaven's Gate" - eine ganze Westernstadt wurde nachgebautBild: picture-alliance/United Archives/Impress

"Heaven's Gate" brach Cimino das Genick

Sein vier Stunden langer Monumentalwestern "Heaven's Gate" (1980) wird heute vielfach als Endpunkt von "New Hollywood" bewertet. "Heaven's Gate" war eines der kommerziell größten Filmdesaster der Kinogeschichte und trieb das renommierte Studio "United Artists" in den Ruin. 

Nicht nur Western sondern auch Liebesfilm: Isabelle Huppert und Kris Kristofferson in "Heaven's Gate"Bild: picture-alliance/United Archives/IFTN

In "Heaven's Gate" erzählt Cimono eine Episode aus der amerikanischen Geschichte des Jahres 1890: Im sogenannten "Johnson County War" standen sich alteingesessene Rinderbarone und aus Osteuropa eingewanderte Viehzüchter in Wyoming gegenüber. Es kam zu schweren Ausschreitungen und vielen Toten. Cimino machte daraus eine filmische Oper. Um die drei Hauptprotagonisten (Kris Kristofferson, Christopher Walken und die blutjunge Französin Isabelle Huppert) inszenierte er ein Ballett aus Gewalt, Liebe und Emotionen. 

Opulentes Filmprojekt

Legendär ist auch die große Rollschuhtanzszene in "Heaven's Gate"Bild: picture-alliance/United Archives/Impress

"Heaven's Gate" sah aus wie ein Film von Luchino Visconti: ein europäisch anmutender Blick auf die amerikanische Geschichte, ausufernd und brillant in Szene gesetzt, schwelgerisch inszeniert und atemberaubend fotografiert. Selten war das amerikanische Kino des vordigitalen Zeitalters üppiger, schöner und verschwenderischer.

Der Preis, den Cimino damals für sein Projekt zahlte, war freilich hoch und ist oft beschrieben worden. Während der Dreharbeiten explodierten die Kosten - auch weil Michael Cimino sich mehr und mehr in Ausstattungsdetails verlor. Der Kostenrahmen wurde mit etwa 40 Millionen Dollar nicht nur gesprengt, er brachte das ganze Studio "United Artists" zu Fall, weil "Heaven's Gate" nach der Premiere kaum Geld einspielte. Zudem waren die amerikanischen Kritiken vernichtend. Der Film wurde mehrfach zurückgezogen und umgeschnitten - was allerdings auch keinen Erfolg brachte. Künstlerisch hingegen ist "Heaven's Gate" ganz großes Kino. In Europa wurde der Film schon früh besser bewertet, heute gilt er aber auch in seiner Heimat zu Recht als filmischer Meilenstein.

Folgenreiches Scheitern

Cimino hatte anschließend enorme Schwierigkeiten, weitere Filme zu inszenieren. Zum einen, weil er nach dem "Heaven's Gate"-Desaster in Hollywood als verbrannt galt. Zum anderen, weil sich in Hollywood das Klima verändert hatte und die Ära des Blockbuster-Kinos mit Riesenbudgets und Fließbandästhetik eingeläutet worden war. Eine Chance bekam der Regisseur dann vom italienischen Produzenten Dino De Laurentiis, der 1985 den Thriller "Im Jahr des Drachen" finanzierte.

Mickey Rourke und John Loane stehen sich in "Im Jahr des Drachen" gegenüberBild: picture-alliance/United Archives

Der Film ist bis heute umstritten - und perfekt ist er aus mehreren Gründen sicher nicht. Doch im Vergleich zu vielen anderen klinisch anmutenden Hollywood-Filmen aus dem Baukasten des kommerziellen Produktionssystems kann man sich dem Drive der Inszenierung und der Mischung aus Coolness und überbordenden Emotionen auch heute kaum entziehen. Zudem ist Mickey Rourkes Auftritt als durchgeknallter Cop, der in China-Town brachial aufräumen will, grandios. "Im Jahr des Drachen" sollte der letzte große Film von Michael Cimino werden. Die drei Werke, die Cimino später noch inszenieren konnte, hatten nicht mehr die künstlerische Kraft seiner früheren Filme.

Cimonos beste Filme, "Den letzten beißen die Hunde", "Heaven's Gate" sowie "Im Jahr des Drachen", sind jetzt für den Heimkinomarkt neu erschlossen worden - ein Wiedersehen lohnt sich - über drei Jahrzehnte nach Ciminos großer Zeit.

 

"Die letzten beißen die Hunde" und "Heaven's Gate" sind (als DVD und Blu-ray) beim Anbieter "Capelight Pictures" in schöner Ausstattung mit einem aufschlussreichen Booklet erschienen. "Im Jahre des Drachen" liegt als Blu-Ray bei "Koch Media" vor.

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