In ihrer Heimat waren sie erfolgreiche Zeichner, Grafiker, Kaufleute. Dann kamen die Nazis. Eine Ausstellung in Israel zeigt, wie die sogenannten Jeckes etwas ganz Neues ins Land brachten: Reklame.
"Visit Palestine. See ancient beauty revived". Alles an diesem Werbeplakat für die Jewish Agency gestaltete Otte Wallish. Von der Zeichnung über die Schriftart bis zum Werbeslogan.Bild: DW/Sarah Hofmann
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Mehr als Konsum: Wie deutsche Juden Reklame nach Israel brachten
Von den berühmten Jaffa-Orangen zu Erdnussflips: Werbung im alten Palästina bedeutete zuerst einmal, Produkte zu verkaufen. Eine Ausstellung in Israel zeigt jetzt: Es ging um viel mehr. Um Reklame für den eigenen Staat.
Bild: DW/Sarah Hofmann
Die Zukunft liegt in Palästina
Im Palästina der 1930er Jahre wurden nicht allein Produkte beworben, sondern Träume verkauft. Die Zionisten träumten von einem eigenen Staat - von Eretz Israel. Oben am Kiosk zu erkennen: Werbung für "Atid"-Zigaretten. "Atid" heißt auf hebräisch Zukunft.
Bild: Alfons Himmelreich: Photographer on the Roof
Aliyah. Die Einwanderung
Eine andere Zigarettenmarke der 1930er Jahre nannte sich "Aliyah", so wie die jüdische Einwanderung ins Heilige Land. Auf dem Plakat links deutlich zu erkennen: das Schiff, das neue Einwanderer aus Europa nach Palästina bringt. Es erinnerte die Käufer vermutlich nicht nur an die eigene Überfahrt, sondern war verbunden mit der Hoffnung, es mögen mehr Juden ins Heilige Land kommen.
Bild: DW/Sarah Hofmann
Ein neues Lebensgefühl
Die Ausstellung "Und jetzt zur Werbung" im Jeckes Museum in Tefen, Israel, kontrastiert Werbeplakate und Originalverpackungen der 30er, 40er und 50er Jahre mit Schwarz-Weiß-Fotografien von Alfons Himmelreich. Auch er war ein sogenannter "Jecke". Ein Jude, der aus dem deutschsprachigen Raum nach Palästina emigriert war. Er fing das Lebensgefühl der damaligen Zeit ein - zum Beispiel im Kaffeehaus.
Bild: Alfons Himmelreich: Photographer on the Roof
Kaffee Landwer
Die Jeckes brachten ihre alten Gewohnheiten mit ins neue Land. Dazu gehörte für viele Österreicher wie den Werbemacher Franz Krausz, von dem beide Plakate oben stammen, auch die Wiener Kaffeehauskultur. "Landwer's Coffee" mit eben diesem Schriftzug, den das Plakat oben zeigt, gibt es heute noch. Es ist eine Kaffeehauskette in Tel Aviv.
Bild: DW/Sarah Hofmann
Chronist des Großstadtlebens in Tel Aviv
Der Fotograf Alfons Himmelreich stammte aus München. 1933 emigrierte er ins damalige Palästina. Fotografieren war für ihn erst einmal nur ein Hobby - bis er 1942 in Tel Aviv ein Fotostudio eröffnete. Alle Fotografien der Ausstellung im Jeckes-Museum stammen aus dem Buch "Alfons Himmelreich: Photographer on the Roof".
Bild: Alfons Himmelreich: Photographer on the Roof
Seife mit zionistischer Botschaft
Alle Plakate der Ausstellung sind Repliken. Auch konnte nicht geklärt werden, in welchem Jahr sie erschienen. Die Werbung oben links im Bild muss aus der Zeit vor der Staatsgründung stammen. Auf der Seife steht "Palestine". Doch der Name und das dazugehörige Symbol auf der Seife sind eindeutig: "Menorah". Ein jüdischer Staat soll aufgebaut werden.
Bild: DW/Sarah Hofmann
Produkte aus dem eigenen Land
Die neueingewanderten Juden brachten ihre Vorstellung vom Leben in
westeuropäischen Großstädten wie Berlin oder Wien mit. Dies zeigt die Ausstellung mit Werbung für Seifen, Rasierklingen und Zigaretten. Zugleich wird aber auch deutlich, wie wichtig die Landwirtschaft für die Zionisten war. Beworben wurde Obst und Gemüse mit dem Slogan "produziert im Land". Gemeint war das Land Israel.
Bild: Alfons Himmelreich: Photographer on the Roof
Die berühmten Jaffa-Orangen
Vor allem zwei Produkte wurden in Palästina produziert - und das schon vor der jüdischen Einwanderung: Olivenöl und Orangen. So ist die "Jaffa-Orange", benannt nach der arabischen Stadt Jaffa, die heute in Israel liegt, bereits seit dem 19. Jahrhundert als besonders süße Frucht bekannt. Doch erst die Zionisten machten die Jaffa-Orangen zum Exportschlager.
Bild: DW/Sarah Hofmann
Neue Zielgruppe: Kinder
In erster Linie jedoch wurde in den 30er bis 50er Jahren für das eigene Land produziert. Und hier entdeckten die Werber eine neue Zielgruppe: Kinder. Der damals größte Lebensmittelproduzent "Osem" warf schließlich in den 60er Jahren ein neues Produkt auf den Markt: Erdussflips für Kinder! Der Name ...
Bild: Alfons Himmelreich: Photographer on the Roof
Jedes israelische Kind kennt sie...
... Bamba! Bis heute gibt es die Erdnussflips, und jedes israelische Kind (und Erwachsener) kennt sie. Angeblich leiden israelische Kinder sogar weniger an Nussallergien, weil sie schon früh mit den Flips gefüttert werden, so ein beliebtes Gerücht. Die erste Verpackung und das Werbeplakat entwarf Otte Wallish, ein Jecke aus dem Sudentenland. Seine Schrift ziert noch die heutigen Bamba-Packungen.
Bild: DW/Sarah Hofmann
Eintauchen in die Jahre der Staatsgründung
Für die Leiterin des Jeckes Museums in Tefen ist klar: "Das eigentliche Nationalgericht in Israel ist Bamba! Nicht Falafel ..." Und so steckt in der Ausstellung auch ein Stückchen Nostalgie. Eine liebevolle Erinnerung an die Zeit kurz vor und nach der Staatsgründung, die in Israel bis heute einen wichtigen Stellenwert einnimmt.
Bild: Alfons Himmelreich: Photographer on the Roof
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"Visit Palestine" – "besucht Palästina" steht in großen Lettern auf dem Plakat. "Palestine" ist besonders groß geschrieben und leuchtet in gelber Farbe, passend zu den Orangen gleich über der Schrift. Schnell ist dem Betrachter klar: Dieses Poster der Jewish Agency wirbt zwar offiziell für einen touristischen Besuch, doch es steckt viel mehr dahinter – die Sehnsucht nach dem Land Palästina. Ein Land, in dem die Orangenbäume blühen. Drei frisch gebaute Häuser sind zu erkennen, eine Wasserzisterne, eine kleine Siedlung. Der Anfang ist gemacht. Kommt und baut unser Land mit auf! So scheint dieses Plakat zu rufen.
Es stammt von Otte Wallish. Ein Grafiker, geboren 1906 im deutschsprachigen Sudetenland, dem heutigen Tschechien. Das Zeichnen lernte er beim Studium in Wien, arbeitete kurz darauf in Berlin, eröffnete dann eine eigene Werbeagentur in Prag. 1934 emigrierte er ins damalige Palästina. "Er war ein Zionist der ersten Stunde", sagt Ruthi Ofek, Leiterin des Jeckes-Museums in Tefen, Israel. Ein Museum, das sich einzig der Geschichte deutschstämmiger Juden in Israel widmet. Hier, im Norden des Landes, wird die Ausstellung mit dem Titel "Und jetzt zur Werbung" gezeigt. Rund 40 Poster und 80 bis 100 Produkte und deren Verpackungen umfasst sie. Darunter: Originalseifen, Rasierklingen, Waschmittelverpackungen und Cremedosen. Alles stammt aus den 30er, 40er und 50er Jahren. Und: Alles stammt von sogenannten Jeckes, deutschsprachigen Juden, die nach der Machtübernahme Hitlers nach Palästina auswanderten.
Otte Wallish leitete eine der erfolgreichsten Werbeagenturen des jungen Staates Israel.Bild: Jeckes Museum Tefen/Eri Wallish
Trugen die Jeckes eine Jacke?
"Woher der Begriff stammt, ist nicht eindeutig geklärt", sagt Moshe Zimmermann, Historiker und selbst Nachfahre solcher Jeckes. "Eine Erklärung lautet, Jecke stamme von der Abkürzung 'JKH' für jehudi kshe havana". Im Hebräischen "ein jüdischer Quadratschädel", einer, der schwer von Begriff ist. Diese hält der Historiker jedoch für unwahrscheinlich. Die sprachliche Verbindung zu den Jecken des rheinischen Karnevals hingegen sei möglich. Am wahrscheinlichsten jedoch sei, dass die Jeckes so hießen, weil sie eine Jacke trugen, während alle anderen nur ein Hemd anhatten. "Heute ist der Begriff positiv gemeint, man schätzt die deutschen 'Tugenden'. Damals aber war er eindeutig negativ besetzt", sagt Zimmermann. "Die Mehrheitsgesellschaft der frühen Einwanderer, die aus Osteuropa stammte, machte sich lustig über diese komischen Typen aus dem deutschen Kulturraum. Sie waren so fleißig, pünktlich, ehrlich und bürgerlich. Das war zumindest das Vorurteil."
Zwischen 1933 und 1941 flohen aus dem "erweiterten" Deutschen Reich, also auch aus Österreich, dem Sudetenland, Böhmen, aus Danzig und der Memelgegend rund 70.000 Juden nach Palästina. Viele von ihnen waren tatsächlich Akademiker – Ärzte, Juristen, Wissenschaftler – und Kaufleute. "Der Kapitalismus spielte für sie eine große Rolle", sagt Historiker Zimmermann. "Und zum Unternehmergeist gehörte auch, dass man Werbung machte, für das, was man produziert. Die deutsche Art von Reklame wurde importiert."
Mehr als Konsum: Werbung für die Staatsgründung
Werbung für Produkte von Osem. Alles stammt aus der Feder von Otte Wallish. Auch der Slogan auf dem Plakat rechts: "Osem gekauft ... gut gemacht". Bild: DW/Sarah Hofmann
Otte Wallish, der Grafiker aus dem Sudetenland, wendete in der neuen Heimat das an, was er in der alten gelernt hatte. In Tel Aviv eröffnete er eine Werbeagentur. Er zeichnete Produkte, formulierte Slogans, setzte Schriftarten und verkaufte diese an große Firmen, die meist ebenfalls in der Hand deutschstämmiger Familien waren. So auch die Firma "Osem", bis heute einer der größten Lebensmittelproduzenten in Israel. Als sie Mitte der 90er Jahre von Nestlé aufgekauft wurde, war dies für viele eine nationale Tragödie. Gegründet wurde sie von sieben Unternehmern, allesamt Jeckes. Sie kannten Werbung bereits aus ihren Heimatländern. In Israel hingegen war das Konzept noch ganz neu. Und es erhielt eine Bedeutung, die es in Europa noch nicht gehabt hatte.
"Es geht um viel mehr als um Konsum", sagt Museumsleiterin Ofek, "alle Reklameplakate, die Sie hier sehen, sind irgendwie mit dem Zionismus verbunden." Die Zigaretten heißen "Aliyah" so wie die jüdische Emigration ins Land Israel genannt wird, oder "Atid". Auf Hebräisch heißt das "Zukunft". "Man möchte ein neues Land aufbauen, das spürt man auch in der Werbung".
Otte Wallish tat dies im wahrsten Sinne des Wortes. Als Staatsgründer David Ben-Gurion am 15. Mai 1948 die Unabhängigkeitserklärung verlas, da las er auch die Buchstaben von Otte Wallish. Er hatte das Dokument gestaltet. Es folgten die ersten Briefmarken und die ersten Wahlplakate des jungen Staates – alle gezeichnet im Büro Wallish.
"Aber, ob er dafür jemals Geld gesehen hat?", fragt Ruthi Ofek. "Ich bin mir nicht sicher." Gelebt habe er sicherlich von dem, was ihm die Firmen für seine Reklame bezahlten. Als Otte Wallish 1977 in Tel Aviv starb, führte sein Sohn Eri die Werbeagentur weiter. Die ersten Plakate und Produktdesigns des Vaters hob er auf. Heute stehen sie als Leihgabe im Jeckes-Museum.