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Reise

Russen raus aus Europa?

10. August 2022

Erhalten russische Staatsbürger demnächst keine Schengen-Visa mehr? Während das in der EU immer lauter gefordert wird, nutzen Tausende russische Touristen Finnland als Transitland in den Westen. Aus Riga Juri Rescheto.

Busse bringen russische Reisende von St. Petersburg zum Flughafen in Helsinki
Busse bringen russische Reisende von St. Petersburg zum Flughafen in HelsinkiBild: Anni Ågren/Lehtikuva/dpa/picture alliance

Mein russischer Bekannter Artjom mag Finnland: schöne Seen, freundliche Menschen, saubere Luft. Er kennt das Land, weil er dort oft war. Artjom lebt in St. Petersburg und nutzt die seit Jahren geltende vereinfachte Visa-Vergabe des Finnischen Konsulats in seiner Heimatstadt. Auch jetzt, nachdem zumindest der direkte Luftweg nach Europa für die Russen geschlossen ist. Der europäische Himmel ist seit Kriegsbeginn in der Ukraine für russische Maschinen gesperrt und umgekehrt, EU-Flugzeuge dürfen nicht mehr nach Russland fliegen.

Darum fährt Artjom Auto. Alle paar Wochenenden einmal Helsinki und zurück, knapp 400 Kilometer. Knapp fünf Stunden dauert die einfache Strecke. Es geht auch schneller, wenn er nur bis Lappeenranta fährt, in die nächstgrößere finnische Stadt nahe der russischen Grenze.

Kein Europa-Urlaub für Russen

Doch anders als mein Bekannter Artjom kommen Tausende andere russische Touristen nicht wieder zurück. Jedenfalls nicht gleich. Viele von ihnen fahren von der russischen Grenze direkt zum Flughafen Helsinki-Vantaa, um weiter in den Westen in den Urlaub zu fliegen. Seit Anfang des Jahres haben die Russen fast 60.000 finnische Visa beantragt, haben finnische Medien berechnet. Die meisten Antragssteller für ein Schengen-Visum kamen aus St. Petersburg. Und genau dieses Tor nach Europa macht jetzt vielen Europäern Sorgen. Während Moskau ukrainische Städte bombardiere, könnten russische Staatsbürger unmöglich Sommerurlaub im Westen genießen, wird argumentiert.

Einmal Griechenland und zurück via Helsinki - Tausende russischer Urlauber zieht es in die SonneBild: Vassilis Rebapis/ANE/Eurokinissi/picture alliance

Die baltischen Staaten sind ohnehin seit Monaten kein Reiseziel mehr für Russen. Estland, Litauen und Lettland vergeben keine Touristenvisa mehr an russische Staatsangehörige. Lettland geht noch weiter und genehmigt neuerdings die Einreise ins Land nur noch beim Tod eines nächsten Verwandten.

Die Regierungschefinnen von Finnland und Estland haben die anderen europäischen Länder neulich aufgefordert, keine Touristenvisa mehr an Russen zu erteilen. In Finnland wollen 58 Prozent der Bevölkerung keine Touristen-Visa mehr für Russen -  laut einer Umfrage des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders Yle.

Noch können Russen Schengen-Visa beantragenBild: picture alliance/dpa

EU-weiter Visa-Stopp für Russen diskutiert

Ende August sollen Schengen-Visa für Russen Thema beim EU-Außenminister-Treffen in Prag sein. Ein Schengen-Visum kann für Kurzaufenthalte beantragt werden, mit dem eine Person für touristische oder geschäftliche Zwecke bis zu 90 Tage in einem beliebigen Mitgliedstaat des Schengenraums reisen kann.

Die EU hat 27 Mitgliedsstaaten, von denen jedoch nicht alle dem Schengen-Raum mit 26 Mitgliedern angehören. Vier Länder - Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein -, die ebenfalls Schengen-Visa ausstellen, sind gar keine Mitglieder der Europäischen Union.

Dmitri Lanko vom Lehrstuhl für Europäische Forschungen an der Staatlichen Universität St. Petersburg kritisiert im Gespräch mit der DW "das Streben danach, alle Russen zu bestrafen." Die Kategorie "Russen" umfasse nicht nur ethnische Russen, argumentiert er, sondern auch "Tataren, Tschetschenen und Vertreter aller Völker der Russischen Föderation ohne Ausnahme, einschließlich der in Russland lebenden Ukrainer."

Die estnische Regierungschefin Kaja Kalas goß Öl ins Feuer und twitterte: "Europa zu besuchen ist ein Privileg, kein Menschenrecht". Ihre Worte stoßen in Russland auf großes Unverständnis. Die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa nannte das Zitat einen "Unsinn", der von "estnischen Fantasierern" käme. Sacharowa spottete auf Telegram: "Das wahre Privileg ist Glück zu haben, Russland in all seiner Vielfalt und Großartigkeit zu sehen."

Touristen nicht "wegen der Geopolitik" bekämpfen

Für Alexander Gorochow von der Union der russischen Touristenorganisationen "Sonato" handelt es sich bei diesem Schlagabtausch um einen "emotionalen Ausbruch". Gegenüber der DW erinnert er daran, dass russische Touristen Geld bringen würden, selbst wenn es sich um den Transittourismus handele. "Meines Erachtens sollten diese Länder dafür kämpfen, diesen Strom von Transittouristen in einen echten Touristenstrom mit Übernachtungen etc. umzuwandeln," schlägt Gorochow vor und steht für pragmatische Lösungen: man solle Touristen nicht "wegen der Geopolitik" bekämpfen.

Helsinki bei SonnenaufgangBild: Noppasin Wongchum/Zoonar/picture alliance

Mein Bekannter Artjom aus St. Petersburg möchte zwar auch nicht "zwischen die Zahnräder der Geopoltik" geraten, zumal weder er noch seine Freunde Wladimir Putin jemals gewählt hätten. Für ein eventuelles Visa-Verbot jedoch habe er Verständnis. Artjom plant am Wochenende einen neuen Kurztrip nach Lappeenranta. Solange es geht.

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