Vitali Klitschko: "Wir brauchen Sanktionen, nicht 50 Tage"
16. Juli 2025
US-Präsident Donald Trump hat Wladimir Putin am 14. Juli weitere 50 Tage Zeit gegeben, um ein Friedensabkommen mit der Ukraine zu erzielen. Gleichzeitig drohte er aber, Russlands Handelspartnern Sekundärzölle aufzuerlegen, sollte ihm dies nicht gelingen. Was Kyjiws Bürgermeister Vitali Klitschko davon hält, was die Ukraine sonst noch braucht, um sich zu schützen und vor welchen Herausforderungen die Führung der ukrainischen Hauptstadt heute steht, darüber sprach Vitali Klitschko mit der DW.
DW: Herr Klitschko, Donald Trump hat Wladimir Putin eine neue Frist eingeräumt, gleichzeitig aber die Möglichkeit eröffnet, die Ukraine mit neuen Waffen zu beliefern. Wie bewerten Sie die Vorschläge des US-Präsidenten?
Vitali Klitschko: Ich verstehe nicht, warum es jetzt diese 50 Tage gibt. Während dieser 50 Tage können die Russen Kraft sammeln. Während dieser 50 Tage können die Russen noch mehr Zivilisten töten. Ich bin davon überzeugt, dass harte Sanktionen verhängt werden müssen, da dies eine abschreckende Wirkung hätte.
Ich bin überzeugt, dass wir diesen Zeitraum auch ausnutzen sollen. Wir gehen davon aus, dass wir in diesen 50 Tagen noch mehr der uns bislang fehlenden modernen Waffen von unseren Partnern erhalten können. Und wir sind unseren Partnern dankbar.
Ich bin überzeugt, dass Putin nur die Sprache der Stärke versteht: Er respektiert die Starken und nimmt keine Rücksicht auf die Schwachen. Also müssen wir stark sein. Nur gemeinsam und durch die Bündelung unserer Kräfte können wir stark sein. Wir zählen, was die weitere Unterstützung angeht, auf unsere Partner, auf harte Sanktionen und Waffenlieferungen.
Trump kündigte aber auch die Lieferung weiterer Waffen an, darunter neue Patriot-Luftabwehrsysteme. Sie erzählten früher, dass die Stadt Kyjiw nur durch zwei solcher Systeme geschützt wird. Die jüngsten brutalen Angriffe Russlands, bei denen Hunderte von Drohnen und Raketen eingesetzt wurden, zeigen, dass diese Luftabwehr nicht ausreicht. Welchen Schutz braucht Kyjiw noch?
Ich bin derzeit nicht bereit, mich dazu zu äußern, wie viele Patriot-Systeme und andere Luftabwehrsysteme wir haben. Eines kann ich sagen: "Genug" werden wir erst dann sagen können, wenn der Krieg vorbei ist. Heute sind wir sowohl in unserer Stadt als auch in anderen Städten der Ukraine ständig massiven Attacken und kombinierten Angriffen ausgesetzt. Die Luftverteidigung ist eine zentrale Herausforderung für jede Stadt, nicht nur für die Hauptstadt.
"Heute riskiert in der Ukraine jeder sein Leben"
Die massiven Angriffe der letzten Wochen erfordern größere Anstrengungen, um die Folgen zu bewältigen…
Wie soll man mit den Folgen umgehen, wenn letzte Woche mehr als 30 Menschen ihr Leben verloren haben? Sie können nicht zurück ins Leben geholt werden. Häuser sind zerstört, und ihr Wiederaufbau wird Monate, vielleicht sogar Jahre dauern. Wir tun unser Bestes, um allen zu helfen, die sich in einer Notlage befinden und Hilfe benötigen, aber unsere Ressourcen sind begrenzt. Ich gebe offen zu, dass wir trotz moderner Technologien und moderner Waffen die Sicherheit aller Menschen in der Hauptstadt und in anderen Städten der Ukraine nicht vollständig garantieren können, wenn solch massive Angriffe anhalten. Heute riskiert in der Ukraine jeder sein Leben: Drohnen können jeden Moment einschlagen, es kann neue Opfer geben. Deshalb hat jeder Ukrainer nur einen Wunsch und eine Frage: Wann wird das enden?
Wir hoffen, den Krieg auf diplomatischem Wege beenden zu können. Aber seien wir ehrlich: Der diplomatische Weg passt weder Putin noch vielen Ukrainern. Wir werden niemals sagen, dass der Teil der Ukraine, der heute von Russland besetzt ist, nicht mehr den Ukrainern gehört. Dies ist unser Land, unser Staat, den wir verteidigen. Es ist sehr schwierig, der Aufgabe eines Teils des Territoriums zuzustimmen. Ja, das könnte ein sogenannter Kompromiss sein, aber trotzdem…
"Russland will Panik säen"
Wie würden Sie den Schaden insgesamt bewerten, der Kyjiw während der umfassenden Aggression Russlands zugefügt wurde? Haben Sie irgendwelche Zahlen?
Mehr als 1600 Wohngebäude wurden zerstört. Mehr als 300 Zivilisten wurden getötet. Die Gesamtzahl der zerstörten Gebäude beträgt etwa 3000. Es gibt Zerstörungen in allen Bezirken der Stadt. Ich habe mir mehr als einmal die entscheidende Frage gestellt: Welchen Zweck hat es, eine friedliche Stadt anzugreifen und friedliche Menschen zu töten? Kritische Infrastruktur zu zerstören, Menschen Strom, Wasser und Heizung zu nehmen? Ich habe lange darüber nachgedacht. Es gibt nur eine Antwort: Panik zu säen, Depression und Angst in den Menschen hervorzurufen, damit alle ihre Koffer packen, irgendwohin nach Europa fahren, das Land zurücklassen und es dem Angreifer überlassen. Eine andere Antwort auf diese Frage gibt es nicht.
Wie läuft der Wiederaufbau in Kyjiw? Woher kommt das Geld dafür?
Es ist hauptsächlich Geld aus dem Etat der Stadt. Wir beantragen auch Mittel aus dem Staatshaushalt. Sie werden beispielsweise für den Wiederaufbau zerstörter Gebäude verwendet. Wenn die Schäden so groß sind, dass die Menschen dort nicht wohnen können, übernehmen wir für sie die Miete für Wohnraum. Wir leisten Hilfe, wenn Kindergärten und Schulen zerstört werden, und bis heute wurden schon über 200 Bildungseinrichtungen zerstört. Die Kinder müssen zur Schule gehen, und das muss der örtliche Haushalt schultern, das ist viel Geld. Wir bauen jetzt Luftschutzbunker, was wir nie zuvor getan haben - der Krieg zwingt uns dazu. Natürlich ist die Situation schwierig. Die Wirtschaft funktioniert nicht, die Logistik ist zerstört, es fehlen Arbeitskräfte für den Wiederaufbau, denn Hunderttausende sind inzwischen mobilisiert und verteidigen das Land. Wir stehen vor zahlreichen Herausforderungen und die größte davon ist die Wiederherstellung lebenswichtiger Systeme.
Das Gespräch führte Olga Tikhomirova.