1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Vivat Mutti" - Merkels Abschied in Frankreich 

Barbara Wesel
3. November 2021

Frankreichs Präsident hat Angela Merkel einen festlichen Abschied bereitet. Mit Museumsrundgang, Klavierkonzert und Ordensverleihung ehrte Emmanuel Macron die scheidende Bundeskanzlerin im historischen Weinort Beaune.

Frankreich Beaune | Emmanuel Macron, Präsident & Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Bild: Philippe Desmazes/AFP/Getty Images

Am Ende überschüttete Emmanel Macron die Bundeskanzlerin noch einmal mit Lob und herzlichen Worten. "Wir haben zusammen viel für Europa getan, vor und nach der Krise", sagte der französische Präsident und erwähnte ihre Geduld  mit ihm als Neuling auf der europäischen Bühne: "Ich will mich bedanken, dass ich soviel von ihr lernen konnte." Als beide sich danach umarmten, schienen die Emotionen echt. Dabei lief es zwischen beiden nicht immer so, wie der Präsident es sich anfangs erhofft hatte. Dennoch war Angela Merkel in den letzten Jahren seine wichtigste Partnerin geworden und Macron ehrte sie jetzt mit einem besonderen "Au revoir". 

Die deutsch-französische Freundschaft in Beaune

Ein Bad in der Menge in der historischen Kleinstadt gehörte zu dem herzlichen Abschiedsempfang, den der Präsident der scheidenden Bundeskanzlerin bereitete. "Vivat Mutti", riefen sie in der Menge und "Angela, wir lieben dich". Ein Besuch im Hospice de Beaune, Symbol französischer Tradition und Größe im 15. Jahrhundert, gehörte zum Programm, gefolgt von einem Galadinner auf einem Schloss mit Weingut. Ein persönlicher und warmherziger Abschied, den das Ehepaar Macron den deutschen Freunden gab - dies war eine der wenigen internationalen Gelegenheiten, bei denen Angela Merkel mit ihrem Mann Joachim Sauer auftrat. 

Macron und Merkel werden mit einer Flasche Wein in Beaune begrüßtBild: Philippe Desmazes/AFP

"Wir sehen es mit Trauer, dass sie jetzt geht", sagte eine Anwohnerin in der Menge. "Sie ist doch ein Symbol für das vereinigte Deutschland. Aber ich freue mich, dass sie nach Beaune gekommen ist." Der Abschied in der Provinz, fernab vom offiziellen Paris, wird von den Einwohnern als Ehre empfunden. "Dies ist so ein historischer Ort", fügte ein Zuschauer hinzu. "Sie hat viel für Europa getan und für die deutsch-französische Freundschaft, hoffentlich hat sie jetzt einen schönen Ruhestand". 

Eine kurze Autofahrt entfernt von Beaune dann der Hauptteil des Abends: Auf dem Schloss Vougeot mit seinem berühmten Weingut überreichte Macron der Kanzlerin das große Kreuz der französischen Ehrenlegion, höchste Ehrung des Landes. Der Pianist Alexandre Kantorow spielte Brahms für die Liebhaberin klassischer Musik, und beim anschließenden Galadiner konnte Merkel die berühmte Küche der Region und ihre noblen Weine kosten. Der Präsident tat alles, um ihr einen denkwürdigen Abend zu bereiten. 

Angela Merkel mit Bürgern von BeauneBild: Philippe Desmazes/AP Photo/picture alliance

1993 hatte es schon einmal ein deutsch-französisches Treffen in Beaune gegeben. Damals hatten Helmut Kohl und Francois Mitterand dort einen zweitägigen Gipfel abgehalten, über den Jugoslawienkrieg und Europa nach dem Fall des eisernen Vorhangs gesprochen. Heute sind die Probleme andere: In einigen osteuropäischen EU-Mitgliedern ist inzwischen die Rechtsstaatlichkeit gefährdet, die Pandemie hat Europas Solidarität gefordert und die weltpolitische Lage erscheint gefährlich und unberechenbar.  

Die scheidende Kanzlerin und ihre vier Präsidenten

Emmanuel Macron bewundert Angela Merkel unter anderem für ihre machtpolitischen Fähigkeiten. Sie erlebte in ihrer langen Amtszeit vier französische Präsidenten. Der erste in der Reihe war Jacques Chirac, der die junge Frau aus dem Osten, der der Schliff auf dem internationalen Parkett noch fehlte, zunächst nicht ernst nahm.

Auf ihn folgte bald Nicolas Sarkozy, der inzwischen vor französischen Gerichten um seinen Ruf kämpft. Der hyperaktive, sprunghafte Sarkozy mit seinem großen Geltungsbedürfnis und die abwägende, in sich ruhende Merkel waren eine echte politische Mésalliance. Er machte sich darüber lustig, dass sie Butterbrot zum Käse aß, sie hielt ihn für ein charakterliches Leichtgewicht. Am Ende mussten beide während der Finanzkrise von 2008 lernen, miteinander auszukommen und in der EU auch gemeinsam Kämpfe zu bestehen.  

Merkel hatte aus ihrer Abneigung für Sarkozy keinen Hehl gemacht und begrüßte die Wahl von Francois Hollande. Aber der Sozialist konnte wenige der großen Erwartungen einlösen, die sich auch in der EU auf ihn gerichtet hatten. Allerdings zeigte er seine Bewunderung für Merkel in der Flüchtlingskrise 2015, als die Kanzlerin fast eine Million Flüchtende in Deutschland aufgenommen hatte. Hollande pries sie als Retterin der Ehre Europas und humanitäres Vorbild. 

Angela Merkel 2005 mit Jaques ChiracBild: picture-alliance/AP Photo/C. Ena

Als Emmanuel Macron 2018 ins Amt kam, bereitete er sich auf die Zusammenarbeit mit Merkel regelrecht vor. Er berief eine Reihe von Deutschlandkennern in sein engstes Team und hoffte, mit ihr seine europapolitischen Visionen verwirklichen zu können. Eine immer mehr integrierte EU gehörte dazu, ein Eurozonen-Budget und die Idee von einem selbständigeren, autonomeren Europa. Aber die Dynamik des jungen Präsidenten prallte an der abwartenden, vorsichtigen Politik Merkels ab. 

Zunehmend entstand in Paris das Gefühl, Berlin lasse die Regierung in Paris an die Wand fahren. Dennoch lernte Macron die Erfahrung der Bundeskanzlerin und ihre Verhandlungskünste vor allem auf dem europäischen Parkett zu schätzen. Und wirklich nahe kamen sie sich im letzten Jahr, als sie gemeinsam den milliardenschweren Rettungsfonds durchboxten, mit dem die EU zum ersten Mal gemeinsame Schulden machte. Es war Macrons Initiative, für die Merkel sich mit aller Kraft ins Zeug legte. So scheiden beide am Ende in gegenseitiger Wertschätzung und fast als Freunde. 

Und wie wird es mit dem Neuen? 

Eine Bewohnerin von Beaune sagte am Abend noch: "Es ist schade, dass sie jetzt aufhört, hoffentlich wird der Nachfolger genauso gut." Olaf Scholz war zwar der Wunschkandidat des Élysée, weil man sich von ihm Aufgeschlossenheit für einige der französischen Ideen erhofft. Emmanuel Macron geht im April nächsten Jahres Neuwahlen entgegen und übernimmt gleichzeitig die Ratspräsidentschaft der EU. Er hätte also gern ein paar schnelle Erfolge. 

Olaf Scholz mit den beiden auf dem G20-Gipfel in RomBild: Gregorio Borgia/Pool/REUTERS

Aber dem Sozialdemokraten im Kanzleramt mit seiner Ampelkoalition wird es nicht unbedingt leicht gemacht werden, die Pariser Wünsche zu erfüllen. Die Lockerung der Stabilitätskriterien in der EU mit mehr Raum zum Schuldenmachen für die Mitgliedsländer dürfte die Liberalen auf die Palme treiben. Und die Grünen könnten sich querstellen, wenn Macron die Militärausgaben erhöhen und seine Idee von der militärischen Autonomie Europas verfolgen will. Wie immer bei der deutsch-französischen Freundschaft ist sie in der Praxis schwieriger, als die schönen Reden bei den besonderen Gelegenheiten und großen Abschieden sie erscheinen lassen. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen