Volksparteien im Abstieg
27. September 2009Frank-Walter Steinmeier ließ sich äußerlich nichts anmerken. Noch vor 19 Uhr trat der SPD-Kanzlerkandidat in der Parteizentrale vor die Öffentlichkeit - und lächelte. Dabei hatte die SPD das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik eingefahren. Über zehn Prozentpunkte der Stimmen hat die Partei bei der Bundestagswahl am Sonntag (27.09.2009) verloren. Die Aufholjagd, die Steinmeier noch in den letzten Tagen versprochen hatte, ist offensichtlich gescheitert. Eine "bittere Niederlage" sei das, musste Steinmeier denn auch einräumen.
Auch die Union verliert
Doch nicht nur die SPD hat verloren. Auch die Union ist auf unter 35 Prozent abgesackt. CDU/CSU können diese Verluste zwar insofern besser verkraften, als sie mit der FDP die Mehrheit haben und die angestrebte schwarz-gelbe Koalition bilden können. Zufrieden sein könne die Union aber nicht, sagt der Politologe Thorsten Faas von der Universität Mannheim im Interview mit DW-WORLD.DE: "35,2 Prozent waren schon beim letzten Mal ein Desaster."
Nach Einschätzung der Forschungsgruppe Wahlen konnte die Union zwar mit Kanzlerin Angela Merkel punkten: 56 Prozent der Befragten hätten angegeben, Angela Merkel als Kanzlerin haben zu wollen. Frank-Walter Steinmeier sei nur auf 33 Prozent gekommen. Gleichzeitig mussten die Demoskopen aber feststellen, dass die Union dramatische Kompetenzeinbußen verzeichnen musste. So hätten ihr nur noch 29 Prozent Kompetenz in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zugesprochen. Zum Vergleich: 2005 waren es 41 Prozent.
Kleine Parteien ganz groß
Jubeln können dagegen die kleineren Parteien. FDP, Linke und Grüne liegen alle bei über zehn Prozent und erreichten ihre jeweils besten Ergebnisse in der Geschichte der Bundesrepublik. CDU, CSU und SPD kommen zusammen nur noch auf rund 55 Prozent der Stimmen. Fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler wählte also keine Volkspartei. "Noch nie waren die kleinen Parteien so stark, noch nie waren die Volksparteien so schwach", so Faas.
Als Ursache sieht Thorsten Faas unter anderem die niedrige Wahlbeteiligung, die von 77,7 auf etwa 72 Prozent fiel. Das treffe traditionell vor allem die SPD, denn für diese gelte: "Je höher die Wahlbeteiligung, desto besser das Ergebnis für die SPD." Offensichtlich sei es der Partei nicht gelungen, die eigenen Anhänger zu gewinnen. Wahlforscher bestätigen diese Einschätzung. Fast 1,9 Millionen der SPD-Wähler blieben zu Hause, so die Analyse von Wahlforschern im Auftrag der ARD.
Niedrige Wahlbeteiligung
Die Forschungsgruppe Wahlen sieht die SPD in einem strategischen Dilemma: Die Union mit Angela Merkel als Kanzlerin habe die politische Mitte fest besetzt, von links stehe die SPD von der Linkspartei unter Druck. Dementsprechend hat die SPD Wähler verloren: 1,2 Millionen Wähler wechselten nach Analyse der Wahlforscher der ARD von der SPD zur Linkspartei. Jeweils knapp 900.000 Wähler liefen zu Union und Grünen über, 540.000 zur FDP.
Möglicherweise hat nicht zuletzt das schöne Wetter dafür gesorgt, dass viele erst gar nicht ins Wahllokal gingen. Politologe Faas macht aber eher den Wahlkampf für die niedrige Wahlbeteiligung verantwortlich, der allgemein als wenig polarisierend kritisiert worden war. "Die Union hatte vielleicht auch gar kein Interesse daran, die Wahlbeteiligung zu steigern", vermutet er.
Regierung mit starker FDP
Unter den Kleineren profitiert besonders die FDP von ihrem guten Abschneiden. Im Bundestag stellen die Liberalen künftig fast 100 Abgeordnete. Dementsprechend wird sie in der nächsten Regierung stärker als in früheren schwarz-gelben Koalitionen vertreten sein. Als mögliche Konfliktfelder mit der Union gelten etwa die Themen Steuern, Wehrpflicht und Datenschutz: "Die FDP knüpft verstärkt an ihre bürgerrechtliche Tradition an", so Faas. Von daher seien Auseinandersetzungen in der künftigen Regierung zu erwarten.
Autor: Dirk Eckert
Redaktion: Thomas Grimmer