1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Vom Antiimperialismus zur Entwicklungshilfe

5. Oktober 2010

Die DDR leistete keine Entwicklungshilfe - sie leistete "antiimperialistische Solidarität". Von ihren Hilfsprojekten blieb nach der Wiedervereinigung nicht viel übrig.

Der DDR-Staatschef Erich Honecker (l.) 1980 mit seinem Amtskollegen Fidel Castro in Kuba (Foto: dpa)
DDR-Staatschef Erich Honecker (l.) 1980 mit seinem Amtskollegen Fidel Castro in KubaBild: picture-alliance/ZB

Zimperlich durften die Schüler nicht sein. Zeit zum Ausspannen nach der langen Anreise aus Mosambiks Hauptstadt Maputo? Fehlanzeige. Direkt nach der Ankunft ging es zum Appell, zur Begrüßung gab es für alle ein Bild von Erich Honecker, dem Staatsratsvorsitzenden der DDR. So sah 1979 die Eröffnung der "Schule der Freundschaft" in Staßfurt aus, an der 900 Mosambikaner ausgebildet werden sollten.

Lernen in der "Schule der Freundschaft"

Custodio Tamele heuteBild: DW

Custodio Tamele war einer von ihnen: "In unserer alten Schule wurde nach Leistung ausgesucht, wer mitfährt." Tamele kam 1982 als Zwölfjähriger in die kleine Stadt in Sachsen-Anhalt. Nach Abschluss seiner mittleren Reife und der Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur musste er 1988 zurück in sein Heimatland. Aus Geldmangel hatte die DDR den Schulaustausch bereits ein Jahr vor ihrem Zusammenbruch beendet und die Schule geschlossen. "Die DDR war schon in den frühen 1980-er Jahren vollkommen pleite", sagt der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck. Deshalb seien Entwicklungsprojekte wie die der Schule der Freundschaft nach und nach zurückgefahren worden. Die Rückkehrer erlebten im Bürgerkriegsland Mosambik eine niederschmetternde Ankunft: Direkt nach der Landung wurden sie zum Wehrdienst verpflichtet. "Wir sind gleich zur Kaserne verfrachtet worden", erinnert sich Tamele. "Nach so langer Zeit in Deutschland - das war sehr schlimm."

Margot Honecker 1983 bei einem Besuch der Schule der FreundschaftBild: Bundesarchiv / Schulz

Bildungszusammenarbeit war ein wichtiger Teil der DDR-Entwicklungshilfe. Insgesamt studierten in der DDR über 30.000 junge Menschen aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Dazu kommen 200.000 Menschen aus Entwicklungsländern, die eine Aus- oder Weiterbildung machten, zehntausende Vertragsarbeiter, die auch weitergebildet wurden, nicht mitgerechnet.

Schwierige Zusammenführung

Die Rückführung der Schüler, Studenten und Azubis war eines der Probleme, mit denen sich der "Entwicklungspolitische Runde Tisch" befassen musste, der sich kurz vor der Wiedervereinigung konstituierte. Das Gremium, in dem Vertreter des westdeutschen Entwicklungsministeriums (BMZ) mit ostdeutschen Kollegen und weiteren Gruppen saßen, sollte die Entwicklungshilfe der beiden deutschen Staaten zusammenführen. Es sei eine Gratwanderung gewesen, "aufgebaute Bindungen nicht einfach nur zu kappen", sagt Ulrich Popp, der für das BMZ teilnahm. Um die Wiedereingliederung im Heimatland zu erleichtern, riefen die Beteiligten Programme zur Existenzgründung ins Leben und bewilligten Darlehen, die eine wirtschaftliche Grundlage schaffen sollten.

Besucher des Solibasars zur Unterstützung von Entwicklungsprojekten 1981 in OstberlinBild: picture alliance/dpa

Die Arbeit am Runden Tisch war nicht einfach, denn die DDR und die Bundesrepublik hatten unterschiedliche Konzepte in der Entwicklungspolitik verfolgt. "Die DDR verband Entwicklungshilfe eher mit dem helfenden Aspekt, statt mit dem strukturbildenden, der nach wie vor Gültigkeit hat", sagt Popp. Die DDR arbeitete hauptsächlich bilateral, folgte keiner allgemeinen Entwicklungshilfe-Konzeption, sondern reagierte auf Anfragen von Staaten oder Befreiungsorganisationen. Die Bundesrepublik hingegen folgte dem grundsätzlichen Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe".

Offiziell leistete die DDR keine Entwicklungshilfe, sondern "antiimperialistische Solidarität". Dass es zu keiner Zeit ein ostdeutsches Entwicklungshilfeministerium gab, zeige, "dass es nicht primär um Entwicklung, sondern Einflussnahme und weltpolitische Solidarität der unterdrückten Völker ging", sagt der Historiker Scholtyseck. Die DDR, die um internationale diplomatische Anerkennung rang, war bemüht, sich Freunde und Partner zu verschaffen. Befreiungsbewegungen wie die SWAPO in Namibia oder die palästinensische Befreiungsorganisation PLO rannten deshalb in der DDR offene Türen ein. So stand die erste diplomatische Vertretung der PLO in Ostberlin.

Marx in Addis Abeba

Der Bildhauer Jo Jastram arbeitet 1979 an der Karl-Marx-Stele, die später als Geschenk nach Äthiopien verschifft wurdeBild: picture-alliance/ZB


Zudem griff die DDR jungen Staaten wirtschaftlich unter die Arme. Sie half beim Aufbau der Infrastruktur; so baute sie ein Kraftwerk im Jemen oder Zementfabriken in Ägypten, im Irak und in Syrien. Außerdem gewährte sie jungen Staaten Kredite und förderte den kulturellen Austausch mit gegenseitigen Ausstellungen, Künstlerstipendien und Studienreisen. Nicht zuletzt sollte so der Sozialistische Realismus exportiert werden. So kam es, dass 1984 in Addis Abeba das erste und bisher einzige Marx-Denkmal auf afrikanischem Boden enthüllt wurde - ein Geschenk der DDR an den Militärdiktator Mengistu Haile Mariam.

Neben der staatlichen existierte die zivilgesellschaftliche Hilfe: "Die Kontonummer drei mal die vier war allen bekannt; bei allen Sparkassen konnte man einzahlen", sagt Peter Stobinski, der dem sogenannten Solidaritätskomitee angehörte. Das Komitee bündelte das "Solidaritätsgeld" zentral und verteilte es auf Beschluss des SED-Zentralkomitees. Das Geld wurde von Massenorganisationen wie der Freien Deutschen Jugend (FDJ), dem Gewerkschafts- oder dem Frauenbund eingeworben. In den 1970-er und 1980-er Jahren seien so jährlich 200 Millionen Mark zusammengekommen, sagt Stobinski.

Entwicklungspolitik mit demokratischen Vorzeichen

Ein "Komitee für die Solidarität mit dem Kubanischen Volk" konstituiert sich 1961 in BerlinBild: Bundesarchiv/Krueger

Nach der deutschen Einheit war eine Bedingung für die weitere Förderung durch Deutschland Demokratie. Ein Land wie Kuba fiel durch dieses Raster – und erhält bis heute keine Entwicklungshilfe. Weil die DDR aber nur das sozialistische und aus westlicher Sicht undemokratische Ausland unterstützte, wurden ostdeutsche Projekte weitgehend beendet oder abgebrochen. "Die Verbindungslinien zwischen der Entwicklungspolitik der DDR und dem, was dann in der Bundesrepublik gemacht wurde, sind sehr, sehr dünn", sagt Joachim Scholtyseck. Von den Verantwortlichen wird das anders gesehen. So sagt Ulrich Popp, das BMZ sei "weitgehend wohlwollend" gewesen, solange es um die Unterstützung demokratischer Staaten und Strukturen ging. Popp verweist auf ein Projekt im Jemen, das nach der Wende weitergeführt wurde. Das dortige Zentrum für Berufsbildung passte als strukturbildende Maßnahme zu dem westdeutschen Ansatz.

Neue Entwicklungshilfe-Kriterien

Experten der staatlichen Entwicklungsagentur GTZ helfen im im äthiopischen Adama beim Aufbau einer UniversitätBild: picture-alliance/dpa

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde die westliche Entwicklungspolitik weltweit neu ausgerichtet. Geostrategische Erwägungen traten in den Hintergrund, Menschenrechtsfragen und demokratische Strukturen in den Vordergrund. Auch Deutschland etablierte 1991 – als indirekte Folge der Zusammenführung ost- und westdeutscher Entwicklungspolitik - neue Vergabekriterien, darunter die Beachtung der Menschenrechte, die Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungen und eine marktwirtschaftliche und soziale Wirtschaftsordnung.

Auch wenn die DDR-Projekte weitgehend abgesetzt wurden, wirken die Bindungen, die zwischen unterstützten Völkern und der DDR entstanden, bis heute nach. In Mosambik beispielsweise zahlte sich die Bildungszusammenarbeit für viele aus, sagt der Staßfurter Absolvent Custodio Tamele: "In Mosambik gibt es einige, die zur Elite zählen - auch Dank der Ausbildung, die sie in der DDR bekommen haben".

Autorin: Franziska Schmidt
Redaktion: Dеnnis Stutе