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Vom Neonazi zum Philosophiestudenten

Rainer Erices25. Juni 2012

Mit 14 Jahren geriet Christian Ernst Weißgerber in die rechte Szene. Jahrelang lebte er in einer Parallelwelt. Nur mit Hilfe von außen gelang ihm der Ausstieg. Heute studiert er in Jena Philosophie.

Christian Ernst Weißgerber (Foto: DW / Rainer Erices)
Bild: DW/Erices

Wer im Internet nach Einträgen zu Christian Ernst Weißgerber fahndet, wird fündig: Bilder zeigen ihn, in Schwarz gekleidet, auf Neonazi-Veranstaltungen. Er singt zur Gitarre oder beteiligt sich an einem Aufmarsch. Alt sind diese Bilder nicht. Vor knapp drei Jahren gehörte Weißgerber zu den bekanntesten Personen der Thüringer Nazi-Szene. Damals war er gerade zwanzig Jahre alt - und nach Jena gekommen, um an der Friedrich-Schiller-Universität Philosophie zu studieren.

Die sogenannte Antifa, ein Bündnis verschiedener linkspolitisch ausgerichteter Gruppen an der Hochschule, wurde umgehend auf ihn aufmerksam. Sie wollten ihm das Studieren in Jena so schwer wie möglich machen. Sie informierten die Professoren, zogen vor sein Haus, besprühten die Wände und beschädigten mehrmals seinen Briefkasten. Über diese Reaktion war Weißgerber damals erstaunt, denn in seinen Augen hatte er sich bereits aus der Szene gelöst.

Haltlos und starrköpfig

"Im Alter zwischen 14 und 18 Jahren war ich ideologisch ein Nazi", gibt er zu. Mit 20 habe er den Kopf voller philosophischer Gedanken gehabt, Theorien zur Gesellschaft, zu politischen Strömungen und Wegen. "Ich wollte mich kritisch mit dem auseinandersetzen, was mich seit meiner Jugend umtrieb", erzählt er. Haltlos sei er damals gewesen, naiv, starrköpfig.

Früher Neonazi, heute Aussteiger: Christian Ernst WeißgerberBild: DW/Erices

Weißgerber erinnert sich an Demonstrationen gegen Sozialabbau, zu denen ihn sein Vater im Alter von 14 Jahren mitgenommen hatte. Am Rand hätten stets einige Nazis gestanden, nicht viel älter als er selbst. Sie hätten die skandierten Forderungen unterstützt, während die Demonstranten stets aggressiv reagierten. Doch die Nazis seien ruhig und standhaft dabei geblieben. "Das hat mich damals fasziniert und ich habe die Gruppe angesprochen", erinnert sich Weißgerber.

Die Szene als Familienersatz

So geriet Weißgerber in die Eisenacher Nazi-Szene. "Die Kameradschaft ersetzte mir eine Familie, die ich so nicht hatte", erzählt der Student. Rasch sei er aufgefallen - habe Reden und Schriften formuliert, die überzeugen konnten. Weißgerber gründete sogar eine eigene Band, sang und spielte öffentlich. In dieser Zeit, so meint er, seien seine Ziele klar verfassungsfeindlich gewesen. Er wollte einen anderen deutschen Staat, keine Demokratie, keine Integration von Ausländern.

Die Kameradschaft ersetzte dem jungen Weißgerber die FamilieBild: picture-alliance/dpa

Ungefähr mit 18 Jahren aber geriet seine ideologische Weltordnung ins Wanken. Die Verherrlichung der deutschen nationalsozialistischen Vergangenheit begann Weißgerber zunehmend abzustoßen. "Das ganze Arsenal plumper Parolen, das Holocaustleugnen, der Ausländerhass wurden mir mehr und mehr zuwider", sagt er. Mit einigen Freunden aus der rechten Szene habe er seine Gedanken geteilt. Gemeinsam suchten sie einen dritten Weg zwischen Faschismus und Kapitalismus und glaubten, sich dadurch von Hitlers Nationalsozialismus zu distanzieren. Doch weiterhin traten sie bei Konzerten und Aufmärschen der Naziszene auf.

Hilfe von außen

Mit seinen zwei Freunden aus der Szene wollte Weißgerber nun aus der rechten Szene aussteigen. Er begann sein Studium in Jena, wurde aber hier weiterhin als Nazi behandelt. Schließlich bat Weißgerber "Exit" um Hilfe, ein Programm für Aussteiger aus der rechtsextremen Szene in Deutschland. An der Uni versuchte er mit seinen Kommilitonen ins Gespräch zu kommen, erzählte ihnen nächtelang von seinem bisherigen Leben. Für einige blieb er weiterhin ein rotes Tuch, andere glaubten ihm langsam die ideologische Wandlung.

Heute engagiert sich der Student im Fachschaftsrat der Uni JenaBild: DW/Erices

Heute ist Weißgerber ein im Fachschaftsrat engagierter Student. Er ist strikter Veganer, trinkt keinen Alkohol und nimmt keine Drogen. Auffällig sind seine nackten Füße - er verzichtet auf Schuhe, auch im Winter. "So kann ich am besten meine Umgebung spüren", sagt er. Ins Klischeebild eines deutschen Neonazis mit Springerstiefeln, Bomberjacke und Glatze hat er ohnehin nie gepasst.

Leider sei vielen Menschen immer noch nicht klar, dass die rechtsextreme Szene sehr vielfältig sei, warnt Weißgerber. Und meint damit auch einige seiner Kommilitonen. Neben Nazis, die einfach plumpe Parolen wiederkäuen, gebe es Gruppen, die mit neuen Propagandaformen und Theorien Nationalismus "sehr viel verdeckter und subversiver“ verbreiten. Zu eben jenen hat Weißgerber selbst gehört.

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