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Politik

Schmerzmittel auf dem Vormarsch

27. Oktober 2017

Präsident Trump hat wegen der vielen Opioid-Toten in den USA den nationalen Notstand ausgerufen. Experten halten eine ähnliche Epidemie in Deutschland für unwahrscheinlich - doch Ärzte verschreiben immer öfter Opioide.

Morphinampulle
Bild: picture alliance/dpa/F. Leonhardt

Es ist eine beängstigende Zahl: Fast 100 Menschen sollen täglich in den USA an einer Opioid-Überdosis sterben, weil sie entweder Heroin oder ein opioidhaltiges Schmerzmittel eingenommen haben. US-Präsident Trump sprach deshalb am Freitag von der "schlimmsten Drogenkrise in der amerikanischen Geschichte" - und rief den nationalen Gesundheitsnotstand aus.

Es ist eine Epidemie, die sich schon länger angekündigt hatte: Komplette Regionen werden schon seit Jahren von Opioiden überschwemmt. Besonders schlimm ist es in strukturschwachen Regionen im sogenannten Rust Belt, der ältesten und größten Industrieregion im Nordosten der USA oder den Apalachen - also dort, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und der soziale Riss in der Gesellschaft immer weiter wächst. Viele der Abhängigen sind über Oxycodon oder andere verschreibungspflichtige Medikamente in die Sucht gerutscht. Andere nehmen anfänglich ein opioidthaltiges Medikament und steigen nach einer Weile auf Heroin um.

Auch in Europa und Deutschland könnten Opioide zum Problem werden - wenn auch bisher in weitaus geringerem Maße. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht schlug im Sommer Alarm. Denn die Zahl der Drogentoten in Europa ist gestiegen. 8440 Menschen starben 2015 an einer Überdosis. Und in fast 80 Prozent aller Fälle hatten die Menschen Opioide - also Heroin oder opioidhaltige Medikamente genommen. 2014 waren es mit 7950 Drogentoten noch etwas weniger. Und wenn es um einen Therapieplatz ging, gaben fast 40 Prozent der Menschen an, dass Opioide zu ihren Hauptdrogen gehörten, so die Behörde.

Droge auf Rezept - in Deutschland eher schwierig

In Deutschland starben im vergangenen Jahr laut einem Bericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung etwa 1.400 Menschen durch illegale Drogen. Zu den Toten durch Opioide liegen keine Zahlen vor. "Es ist aber denkbar, dass - ähnlich wie in den USA - manche nach langem Schmerzmittelkonsum auf illegale Drogen umsteigen, die dann zum Tod führen können", sagt Arzneimittelmarkt-Experte Gerd Glaeske von der Universität Bremen der DW. Doch auch die Nebenwirkungen starker Opioide, wie zum Beispiel Atemnot und Brechreiz, können schlimmstenfalls den Tod verursachen. 

Vor allem in Ohio ist die Zahl der Drogenkonsumenten drastisch angestiegen Bild: Getty Images/S.Platt

Nicht alle Konsumenten bekommen ihre Opioide auf dem Schwarzmarkt, sondern vielfach auch über ein Arztrezept. Doch das ist in Deutschland nicht so einfach. "Solche Schmerzmittel sind immer verschreibungspflichtig und werden auch nicht so leichtfertig eingesetzt, wie es scheinbar in den USA der Fall ist", sagt Peter Raiser von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen der DW. Denn Opioide unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz. Wenn ein Arzt ein opioidhaltiges Medikament verschreiben will, braucht er spezielle Rezeptvordrucke, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegeben und auch dort verwaltet werden.

Doch auch andere Gründe sprechen aus Expertensicht gegen eine ähnliche Epidemie wie in den USA. So dürfe in den USA öffentlich für verschreibungspflichtige Arzneimittel - so auch für Opioide - geworben werden, sagt Arzneimittelmarkt-Experte Glaeske. Das ist in Deutschland nur für rezeptfreie Medikamente möglich. Außerdem war Deutschland bis vor einigen Jahren eher unter- als überversorgt. "Vor allem Menschen in Hospizen oder mit schweren Tumorerkrankungen wurden zum Teil nicht ausreichend mit adäquaten Schmerzmitteln therapiert", sagt Glaeske. Die Ärzte hatten zu viel Angst vor einer möglichen Abhängigkeit. "Doch die Lage für die Patienten hat sich nun verbessert."

Ein Riesengeschäft: Opioide auf dem Rücken

Kritisch sieht Arzneimittel-Experte Glaeske dagegen die Behandlung von Patienten, die unter chronischen Schmerzen im Rücken leiden - und mittlerweile oft von ihren Ärzten opioidhaltige Pflaster empfohlen bekommen. "Bei rund 70 Prozent der Patienten wird zudem schon am Anfang der Therapie die stärkste Dosierung verschrieben", sagt Glaeske. Der Körper gewöhne sich schnell an die Opioide - und die schmerzlindernde Wirkung lasse nach. Patienten müssten sich deshalb immer öfter das Pflaster auf die schmerzende Stelle kleben, um Linderung zu erfahren. Zudem würden die Schmerzen nur einseitig behandelt. "Was hilft es zum Beispiel, ein Schmerzpflaster einzusetzen, aber nichts für die Rücken-Muskulatur zu tun?" 

Ein Leben ohne Medikamente? Für viele nicht mehr vorstellbar Bild: picture-alliance/dpa/D. Reinhardt

Auch wenn der Substanzmissbrauch nicht ganz so stark verbreitetet ist wie in den USA: Mittlerweile sind in Deutschland etwa 1,9 Millionen Menschen medikamentenabhängig, schätzt Glaeske. Rund 1,5 Millionen von ihnen benötigen dauerhaft Schlaf- und Beruhigungsmittel. Den Anteil der Schmerzmittelabhängigen schätzt er auf etwa 100.000 bis 200.000. "Das Ganze ist auch ein Riesengeschäft für die Pharma-Industrie", sagt er.

Raiser von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen wendet sich dennoch gegen eine zu rasche Verurteilung der Opioide. "Man kann nicht pauschal sagen: diese Medikamente sind gut oder schlecht. Aber man kann immer wieder daran erinnern, dass gerade bei solchen Medikamenten eine besondere Sorgfalt geboten ist", sagt er. "Gerade bei Krebspatienten kann es ja sein, dass der Arzt sagt, dass die Abhängigkeit das kleinere Übel ist - gegenüber den starken Schmerzen durch die Tumore."

 

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