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Vom Jäger zum Artenschützer

Norbert Lübbers4. Mai 2012

In Australien hat es der Deutsche Hagen Stehr geschafft, den Blauflossen-Thunfisch in Gefangenschaft zum Laichen zu bringen. Der Forschungserfolg könnte dem bedrohten Raubtier das Überleben sichern.

Hagen Stehr (Foto: Norbert Lübbers)
Der Retter des Sushi: Hagen StehrBild: N.Lübbers

Wer den Thunfisch-König Australiens treffen will, muss früh aufstehen. Hagen Stehr ist an Bord der Kingfish, eines seiner vielen Fischkutter. An Deck stapeln sich Dutzende Paletten mit gefrorenem Hering. Sechs Meilen vor der Küste steuert der Kutter riesige Käfige an. In jedem befinden sich rund 3000 hungrige Thunfische. Die Käfige sind Stehrs Schatzkammer: "Es ist Zeit für ihr Frühstück. Das ist jetzt die erste Fütterung des Tages."

Der Bestand des Blauflossen-Thunfischs, der vor allem in den Gewässern südlich von Australien heimisch ist, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch reduziert. Doch Not macht erfinderisch. Die strengen Fangquoten haben Hagen Stehr Anfang der 90er Jahre gezwungen, vom Jäger zum Farmer zu werden. Statt wenige ausgewachsene Fische zu jagen, fängt Hagen Stehr nun kleine Fische und mästet sie in seinen Thunfischfarmen.

Thunfisch ist ein Milliarden-Geschäft

Doch Aquakulturen sind eine teure Investition. Denn die Thunfische sind unersättlich. Die Raubtiere fressen bis zu 25 Kilogramm Futterfisch, um selber ein einziges Kilogramm Gewicht zuzulegen. Jeden Tag müssen 30 bis 40 Tonnen Heringe und Sardinen verfüttert werden. Für Hagen Stehr ein Glücksspiel: "Das ist so, als würde man jeden Tag 30.000 bis 40.000 Dollar in die Hand nehmen und ins Meer kippen. Und dann betest du zu Gott, dass es sich am Ende auszahlt." Nach sechs Monaten geht ein Großteil der Thunfische dann tiefgefroren nach Japan und landet als Sushi auf dem Teller.

Um ein Kilo Gewicht zuzulegen, müssen die Tiere bis zu 25 Kilo Fisch fressen.Bild: N.Lübbers

Der Blauflossen-Thunfisch ist einer der beliebtesten und damit auch einer der bedrohtesten Speisefische. Angetrieben wird das globale Thunfisch-Geschäft von der riesigen Nachfrage aus Japan. In den Auktionshallen in Tokio erzielen die Thunfische Rekordpreise. Ein ausgewachsenes 200-Kilo-Prachtexemplar kann es schon mal auf über 100.000 Euro bringen.

Vom Bootsjungen zum Thunfisch-Millionär

Der weltweite Appetit auf Thunfisch und das richtige Händchen für ein gutes Geschäft haben Hagen Stehr in den vergangenen Jahrzehnten zum Multimillionär gemacht. Geboren wurde Stehr in Salzgitter. Mit zwölf Jahren verlässt er sein Zuhause und geht auf die Schiffsjungenschule in Elsfleth bei Oldenburg. Sein Traum, Seemann zu werden, wird wahr. Er malocht auf einem Frachtsegler, kämpft in der französischen Fremdenlegion und landet mit gerade mal 18 Jahren in Port Lincoln an der Südküste Australiens.

Australien: Der Retter des Sushi - Vom Thunfischjäger zum Artenschützer

06:32

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Hagen Stehr arbeitet sich vom Thunfischjäger zu einem der 200 reichsten Menschen Australiens hoch. So manche Fanglizenz, die er damals für 15 Dollar gekauft hat, ist heute Millionen wert. Mit einer Handvoll Konkurrenten baut er Port Lincoln im Bundesstaat Südaustralien zur Hauptstadt der Fischer auf. Die Kleinstadt rühmt sich heute der höchsten Millionärsdichte des Kontinents.

Thunfisch-Zucht: die nächste Revolution

Hagen Stehr könnte sich eigentlich zur Ruhe setzen. Doch einer wie er denkt nicht daran, sich aufs Altenteil zurückzuziehen. In Arno Bay, einem abgelegenen Kaff rund 200 Kilometer von Port Lincoln entfernt, arbeitet er an einem Projekt unter höchster Geheimhaltung. Er will sich nicht nur auf hochgepäppelte Exemplare verlassen, sondern den Thunfisch in Gefangenschaft zum laichen bringen - ein Unterfangen, das bisher als nahezu unmöglich galt.

Das Gelände seiner Firma Clean Seas in Arno Bay gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Stehr hat Wissenschaftler aus Dänemark, Japan und den USA angeheuert und bisher 35 Millionen Dollar in die Forschung investiert. "Thunfische sind sehr viel sensibler als andere Fische", so der Biologe Morton Deichmann. "Wenn sie Stress empfinden, hören sie auf zu fressen und sterben. Es ist schwierig, sie in Gefangenschaft zu halten, ohne sie zu verletzen. Wir mussten anfangs erst lernen, wie das geht!"

Von der Südküste Australiens an der Westküste vorbei bis Papua Neuguinea: Blauflossen-Thunfische legen hunderte Kilometer zurück bevor sie laichen.

Ein virtueller Abenteuertrip für Thunfische

Das Problem: Der Blauflossen-Thunfisch ist freiheitsliebend. Er laicht erst, wenn er eine bestimmte Strecke zurückgelegt hat. In freier Wildbahn sind das hunderte Kilometer, von der Südküste Australiens an der Westküste vorbei bis Papua-Neuguinea und zurück. Um diese Strecke zurückzulegen, brauchen die Thunfische rund fünf Monate.

Stehrs einfache und geniale Idee: die Fische austricksen, sie auf eine Reise schicken, die nur in ihrem Kopf stattfindet. In einem 40 Meter langen Becken werden Strömung, Salzgehalt und Wassertemperatur ständig verändert und angepasst. Das größte Geheimnis ist eine computergesteuerte Lichtinstallation, mit der Stehr den Fischen sogar Mondphasen und Sternbilder vorgaukelt: "Wir erschaffen einfach das richtige Gefühl für unsere Thunfische, damit sie Liebe machen und viele kleine Thunfische produzieren."

Der lange Weg zur erfolgreichen Thunfischzucht

Das Experiment beginnt im Oktober 2006. Hubschrauber bringen die über 200 Kilo schweren Muttertiere in das Forschungsbecken an Land. Die Weibchen lassen sich zunächst über zwei Jahre Zeit. Dann, am 12. März 2009, der Durchbruch. Die Fische laichen zum ersten Mal in Gefangenschaft. Das sei ein historischer Moment gewesen, so Stehr, der ihm noch heute die Tränen in die Augen treibe. Doch bis zu einer erfolgreichen Zucht ist es noch ein weiter Weg. Ende des Jahres will Stehr versuchen, die zehn Zentimeter großen Thunfische in den Käfigen im Meer zu mästen. 2015 soll der Zucht-Thunfisch dann auf den Markt kommen.

Schon im nächsten Jahr soll der gezüchtete Blaufossen-Thunfisch in Aquakulturen gemästet werdenBild: N.Lübbers

Wenn alles klappt, verspricht das ein Millionengeschäft. Doch Hagen Stehr geht es um mehr: "Die weltweiten Thunfischbestände sind immer mehr in Gefahr. Was wir hier machen, ist der richtige Weg, wenn wir auch in Zukunft noch Fisch essen wollen. Dazu gibt es keine Alternative." Ausgerechnet Stehr, der mit seiner Fischereiflotte maßgeblich an der Überfischung beteiligt war, könnte jetzt dem Blauflossen-Thunfisch das Überleben sichern.