1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Vom Unkrautvernichter zum Koalitionskiller

Richard A. Fuchs
28. November 2017

Der CSU-Agrarminister hat die EU-Zulassung für das Unkrautgift Glyphosat durchgeboxt. Der Noch-Regierungspartner SPD ist erbost – und auch von Kanzlerin Merkel kam eine Rüge. Koalitionsgespräche macht das noch schwerer.

Deutschland Berlin Dieselgipfel Christian Schmidt und Angela Merkel
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Mit diesem turbulenten Tag ist klar: Das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat wirkt potentiell regierungsschädlich. Anders lässt sich kaum beschreiben, was sich da in den letzten 24 Stunden im politischen Berlin abgespielt hat. Es begann mit Agrarminister Christian Schmidt (CSU), der die Zulassung von Glyphosat um weitere fünf Jahre auf EU-Ebene durchgeboxt hatte. Ohne jede Rücksprache mit der Regierungschefin und obwohl er wusste, dass er gegen den erklärten Willen des Noch-Regierungspartners SPD handelte. Bislang hatte sich Deutschland bei solch heiklen Abstimmungen enthalten, weil Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) gegen eine erneute Zulassung des Unkrautgifts war, der CSU-Minister jedoch dafür. Die SPD reagierte erbost. Sein Votum sei ein "glatter Vertrauensbruch", sagten führende SPD-Politiker. Zudem sei es eine schwere Belastung für die anstehenden Gespräche über eine mögliche weitere Zusammenarbeit mit der Union.

"Solche chaotischen Abläufe sind für das größte Land in der EU völlig inakzeptabel", kritisierte der Parlamentarische Geschäftsführer der Sozialdemokraten, Carsten Schneider. Und Parteikollege und SPD-Vize Ralf Stegner nannte das Erlebte eine "ziemliche Unverfrorenheit". Der vielgescholtene Minister selbst hatte sich im Fernsehen für seine Entscheidung gerechtfertigt, hatte dabei aber durchblicken lassen, dass er bewusst an der Kanzlerin vorbei agiert habe. Am frühen Abend wurde berichtet, dass CSU-Parteichef Horst Seehofer über das Vorgehen seines Parteikollegen informiert gewesen sein soll, was – wenn es bestätigt wird - weitere tiefe Gräben aufreißen dürfte.

Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Merkel: "Das entsprach nicht der Weisungslage"

Nach einer Pressekonferenz zum Diesel-Gipfel meldete sich dann auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Wort. Sie rügte den Agrarminister für seinen Alleingang - in betont sachlichem Ton: "Das entsprach nicht der Weisungslage, die von der Bundesregierung ausgearbeitet war." Union und SPD hätten eine andere Geschäftsgrundlage vereinbart, und diese gelte auch für eine geschäftsführende Bundesregierung, so Merkel weiter. An die Adresse des CSU-Ministers direkt gerichtet fügte sie hinzu: "Das ist etwas, was sich nicht wiederholen darf". Von personellen Konsequenzen für den Minister sprach die Kanzlerin nicht.

Interessanterweise wurden solche persönlichen Konsequenzen auch nicht vom düpierten Regierungspartner SPD gefordert. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte nach dem "Affront" ihres Ministerkollegen von Merkel eine "vertrauensbildende Maßnahme" eingefordert – um den entstandenen Glaubwürdigkeitsverlust wieder gutzumachen. Merkels Rüge war Hendricks jedoch zu wenig. Die Kanzlerin habe schließlich nur eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen, nämlich "dass sich alle Minister an die Geschäftsordnung der Bundesregierung zu halten haben". Ein Rücktritt des Ministerkollegen wäre eine solche vertrauensbildende Maßnahme, so Hendricks weiter. Aber diesen Rücktritt wolle sie von der Regierungschefin nicht einfordern. Anders ging Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter mit der Sache um. Schmidt sei als Minister nicht mehr tragbar, weil er "der EU de facto im Alleingang fünf weitere Jahre giftiges Glyphosat beschert" habe. Deshalb sei der CSU-Minister kein Volksvertreter mehr, sondern eben ein Industrievertreter, so Hofreiter.

Sie pochen weiter auf ein EU-weites Verbot für das möglicherweise krebserregende GlyphosatBild: picture-alliance/dpa/A. Heimken

Fehlt Merkel die Kraft zum Führen?

Für Gerhard Baum, einst Innenminister in der Regierung von Kanzler Helmut Schmidt und gefragter Politikbeobachter, zeigen die Querelen vor allem eins: Das eigentliche Problem hat nicht der CSU-Minister, sondern die Kanzlerin selbst, sagt Baum im DW-Interview: "Wenn Merkel von diesen Vorgängen nichts wusste, dann ist das ein Autoritätsverlust." Für mögliche Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD bedeute das nichts Gutes, meint Baum. "Das sind keine guten Vorzeichen für eine große Koalition, weil die SPD jetzt in den Verhandlungen natürlich alles andere als ein einfacher Partner sein wird."

Ähnlich klingt Carsten Schneider von der SPD: "Der Autoritätsverlust der Bundeskanzlerin ist greifbar geworden und beschädigt die vertrauensvolle und reibungslose Zusammenarbeit in der Bundesregierung." Das Kanzleramt sei derzeit offenbar nicht in der Lage, seine Koordinierungsaufgaben wahrzunehmen. Und in der Tat: Schmidts politischer Alleingang kommt für Merkel zur Unzeit. Die erholt sich politisch gerade vom Abbruch der Sondierungsgespräche zwischen Union, FDP und Grünen. Um Neuwahlen zu verhindern, braucht Merkel die SPD für eine große Koalition, oder sie muss es gegen ihren erklärten Willen doch mit einer CDU-Minderheitsregierung probieren.

Umweltministerium erwägt nationale Verbote

An der auf EU-Ebene getroffenen Entscheidung, die jetzt zu einer Verlängerung der Glyphosat-Zulassung um mindestens fünf Jahre führt, gibt es unterdessen nichts mehr zu rütteln, betonte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums auf Nachfrage: "Das Kind ist vom Bundeslandwirtschaftsminister in den Brunnen geworfen worden". SPD-Ministerin Hendricks kündigte daraufhin an, eine Verschärfung der nationalen Regeln zu prüfen. Es solle jetzt untersucht werden, inwieweit die Nutzung des Unkrautvernichters in Deutschland "eingeschränkt und untersagt werden kann." Als Vorbild gilt dem deutschen Umweltministerium eine Initiative der französischen Regierung unter Präsident Emannuel Macron.

Macron hatte in Paris angekündigt, dass der umstrittene Wirkstoff Glyphosat spätestens nach drei Jahren verboten werden solle, sobald die Wissenschaft Alternativen entwickelt hat. Hendricks bezeichnete diesen Plan von Macron als einen möglichen Ausweg aus der festgefahrenen Situation in Deutschland: "Es wäre ein Kompromiss, wenn man nicht fünf Jahre verlängern würde", betonte sie im Deutschlandfunk mit Blick auf die nationale Umsetzung des EU-Beschlusses. Voraussetzung sei aber, dass die Bundesregierung in der Zwischenzeit mit "scharfen Regeln" auf Artenvielfalt und das Tierwohl achte.

"Ein äußerst dämlicher Start"

Und was bedeutet all das für die bevorstehenden Gespräche über eine mögliche Neuauflage einer großen Koalition in Berlin? SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks hält es in jedem Fall für "einen äußerst dämlichen Start". Für die Sozialdemokraten, die nach der bitteren Wahlschlappe eine erneute Regierungsbeteiligung eigentlich ausgeschlossen hatten, dürfte das den Preis für Zugeständnisse weit nach oben treiben. Gerhard Baum zeigt sich im DW-Interview dennoch überzeugt: "Die Lage ist derzeit für die SPD so erdrückend, und deshalb werden sie das jetzt schlucken müssen".

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen