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Berlin in den Augen von Sinti- und Roma-Künstlern

Robert Rigney jhi
22. Oktober 2018

Eine Million Sinti und Roma wurden während des Holocaust ermordet. Bis heute hat die Volksgruppe gegen Vorurteile zu kämpfen. Die Berliner Galerie Kai Dikhas lässt die Sinti und Roma selbst ihre Geschichte(n) erzählen.

Galerie Kai Dikhas
Gabi Jimenez: "Violon Peint" (2010), "Guitare Potence" (2010), "Carnet de Circulation" 1 und 2 (2010/2011)Bild: Nihad Nino Pušija

Sinti und Roma, laut Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) die "in Deutschland und Europa unbeliebteste Volksgruppe", haben vielerorts gegen Vorurteile zu kämpfen: Sie gelten als "exotisch" und "altertümlich", als ein Volk, das ein Leben führt, das vielen fremd erscheint. Geschichten über Roma - man denke an "Carmen", Franz Liszt und die Gemälde des als "Zigeuner-Maler" bekannten Expressionisten Otto Mueller - verfolgten oft gute Absichten, bedienten dann aber doch alte Feindbilder. Ihre Geschichten selbst erzählen konnten Roma selten.

Die Gründung der Galerie Kai Dikhas 2011 in Berlin ist auch als Antwort darauf zu verstehen. Sie hat sich ganz den Arbeiten von Sinti-und-Roma-Künstlern verschrieben - und das mit dem Ziel, die Wahrnehmung von Europas größter Minderheit (ca. 12 Millionen) zu verändern. "Die Idee der Galerie ist es, als Plattform für die Künstler dieser Minderheit zu fungieren und so die Minderheit sich selbst darstellen zu lassen, ihre eigenen Themen und ihre eigene Perspektive", sagt Moritz Pankok, künstlerischer Leiter und Gründer von Kai Dikhas. 

Ein "Ort des Sehens"

Der Name der Galerie bezieht sich auf ein Roma-Wort, das etwa so viel heißt wie "Ort des Sehens". Und genau das ist auch Programm: Die Galerie will eine offene Plattform sein, auf der Interessierte mit den oft marginalisierten Sinti und Roma in Dialog treten können. Weltweit ist es die einzige Galerie, die sich ausschließlich Künstlerinnen und Künstlern dieser Herkunft widmet.

Delaine le Bas: "Performance Costume" (2015)Bild: Nihad Nino Pušija

Die Galerie Kai Dikhas, gelegen in Berlin-Kreuzberg, ist Teil des Aufstiegs der Kunst von Sinti und Roma, der mit dem ersten Roma-Pavillon auf der Venedig Biennale 2007 begonnen hatte: Die transnationale Ausstellung "Paradise Lost" erregte international viel Aufmerksamkeit. Es war, wie Kuratorin Timea Junghaus im Ausstellungskatalog verkündete: "Eine neue Generation von Roma-Intellektuellen und Kunstschaffenden tritt an - und mit ihnen eine neues Bewusstsein der Roma."

Finanziert vom ursprünglich aus Ungarn stammenden US-amerikanischen Milliardärs George Soros war der Pavillon in vielerlei Hinsicht radikal: Zum ersten Mal in der Geschichte der Venedig Biennale wurde ein Pavillon transnational zusammengestellt - er konnte sich mit 16 Künstlerinnen und Künstlern schmücken, die aus acht Ländern stammten.

"Wir waren wirklich der erste Ort für zeitgenössische Kunst von Sinti und Roma in Europa", sagt Pankok über die zentrale Rolle der Kai-Dikhas-Galerie für die Weiterentwicklung des künstlerischen Ausdrucks von Sinti und Roma. "Bis heute hat sich das Bewusstsein deutlich ausgeweitet." 

Verfolgung malen

Tatsächlich gab es 2011 noch eine weitere bedeutende Ausstellung in Berlin. "Reconsidering Roma - Aspects of Roma and Sinti Life in Contemporary Art" zeigte Roma-Künstler und Holocaust-Überlebende: Der österreichische Roma-Schriftsteller Karl Stojka und seine Schwester, die Malerin Ceija Stojka, legten das Augenmerk auf die verheerenden Konsequenzen des Massenmords der Nationalsozialisten an ihrer Gemeinschaft (der von der deutschen Regierung erst 1982 offiziell anerkannt wurde).

Delaine le Bas: "Witch Hunt" (2009–2011)Bild: Reconsidering Roma/Moritz Pankok

Die 2013 verstorbene Ceija Stojka - bekannt für ihre Bilder von den Todeslagern der Nazis, aber auch für ihren Bericht als Holocaust-Überlebende "Wir leben im Verborgenen" - erzielt mittlerweile hohe Preise auf dem Kunstmarkt.

Im Mai 2018 präsentierte Kai Dikhas eine Schau von Stojkas expressionistischen Werken, die oft die tristen, erschreckenden "Landschaften" des Holocaust zum Thema haben. Es war die siebte Ausstellung von Stojkas Arbeiten in der Galerie. Sie fand zeitgleich mit einer Stojka-Retrospektive im renommierten "Maison Rouge" in Paris statt. Ihr Titel: "Ceija Stojka - Roma-Künstlerin des 21. Jahrhunderts".

"Es waren hunderte Besucher, Kritiker und Sammler da - die ganze Pariser Kunstszene", erinnert sich Pankok. "Die Leute realisierten, dass Ceija Stojka nicht nur ein Opfer war oder jemand, der Zeugnis ablegte von der Verfolgung der Roma während des Genozids. Sondern dass sie einfach eine großartige Künstlerin war."

Ceija Stojka: "Die Angst war groß hinter dem Stacheldrahtzaun im KZ Auschwitz" (2009)Bild: Nihad Nino Pušija

Moritz Pankok stammt aus Mülheim an der Ruhr in Westdeutschland. Für die Gründung der Galerie Kai Dikhas scheint er prädestiniert gewesen zu sein: Er ist der Großneffe des expressionistischen Malers Otto Pankok aus der Weimarer Ära, der für seine Holzdrucke und Kohlezeichnungen deutscher Sinti bekannt wurde.

Die eigene Geschichte schwingt mit

"Er wurde als Künstler von den Nazis verfolgt und als entartet diffamiert. Seine Werke waren Teil der Ausstellung 'Entartete Kunst' in München", erzählt Pankok. "Er setzte sich mit den Sinti auseinander, porträtierte ihre Siedlungen in der Umgebung von Düsseldorf, und führte die Arbeiten auch während des Nazi-Regimes fort."

Peter Pichler: Ceija Stojka auf einem 10-Euro-Schein Bild: Peter Pichler

Otto Pankok dokumentierte die Verfolgung der Sinti durch die Nazis. "Mit seinen Kohlezeichnungen wurde er zu dem Künstler, der die Verfolgung der Menschen porträtierte, die im Holocaust umgebracht wurden. Dafür ist er unter den Sinti bekannt", so sein Großneffe. 2010 stellte Moritz Pankok die Werke seines Großonkels in Berlin aus, als Teil des "Monats der Roma, Sinti und Fahrenden Leute" im britischen Greenwich.

"Wir sind Magier"

Ab dem 23. Oktober zeigt die Galerie Kai Dikhas jetzt Arbeiten von Lita Cabellut, einer gefeierten spanischen Sinti-Künstlerin, die auch schon bei der Eröffnungsausstellung 2011 dabei war. Die Katalanin, die in den Niederlanden wohnt und als Sinti-Weise in den Strassen Barcelonas aufwuchs, wurde mit ihren ausdrucksvollen Ölgemälden - darunter auch Porträts von Frida Kahlo und Billie Holiday - international ausgestellt. "Ich bin besessen von der Idee, Menschlichkeit zu malen", sagte sie einst.

In einem Interview mit dem Literaturmagazin "Southeast Review" bestärkte Lita Cabellut werdende Roma-Künstler: "Wir sind außergewöhnlich, wir haben das Kreative in unserem Blut, wir sind Magier in einem 'Raum des Dazwischen', zwischen einem Stern und dem anderen." Dieser Esprit hat ihr Werk weiter befeuert. "Kommerziell gesehen ist sie die erfolgreichste unserer Künstlerinnen", so Pankok.

Lita Cabellut: Ölgemälde der berühmten spanischen Flamenco-Sängerin Camarón de la IslaBild: DW

Ihre großformatigen figürlichen Gemälde waren zuletzt in der Inszenierung einer Rossini-Oper zu sehen, für die sie das Setdesign kreierte und darin auch acht ihrer eigenen Arbeiten zeigte. "Diese acht großformatigen Werke werden wir ausstellen, hier in der Galerie und im Dokumentations-Zentrum für Sinti und Roma", erklärt Pankok. "Es wird eine wirklich wichtige Ausstellung. Wir werden für die Künstlerin den roten Teppich ausrollen, denn sie ist die erfolgreichste Künstlerin der Sinti und Roma."

Die Galerie Kai Dikhas verspricht, wichtige und ungehörte Geschichte(n) zu erzählen - auch die von der Magie der Kreation im "Dazwischen".

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