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PolitikEuropa

Von Belarus nach Lettland und Litauen

Jacek Lepiarz | Witold Janczys
14. November 2021

Auch nach Lettland und Litauen drängen Migranten aus Belarus über die Grenze. Die Länder sind sich einig in ihrer Abneigung gegenüber Lukaschenkos politischen Manövern, nicht jedoch über die Aufnahme von Flüchtlingen.

EU Außengrenze zwischen Litauen und Belarus
Stacheldrahtschneise durch den Wald: Litauen zieht entlang der 679 Kilometer langen Grenze zu Belarus Zäune hochBild: State Border Guard Service/picture alliance/dpa/

Die Berichte aus dem polnisch-belarussischen Grenzgebiet werden immer dramatischer. "In der Nacht zum Samstag wurde im Wald bei Wólka Terechowska (siehe Karte) die Leiche eines etwa 20-jährigen Syrers gefunden. Die Ursache des Todes konnte bisher nicht festgestellt werden", teilte am Samstag der TV-Sender TVN unter Berufung auf den polnischen Grenzschutz mit.

An derselben Stelle und zum selben Zeitpunkt hätten etwa hundert Personen versucht, die Grenzanlagen zu überwinden. Der Versuch sei verhindert worden, hieß es lapidar in dem TV-Beitrag. Außerdem seien ukrainische und polnische Schleuser festgenommen worden, die Menschen in Autos Richtung Deutschland transportiert hätten.

Die täglichen Lageberichte des polnischen Grenzschutzes klingen seit Monaten fast identisch. Polens Regierung hat zusätzliche Polizei- und Armeeeinheiten ins Grenzgebiet geschickt. Im Eiltempo wurde ein provisorischer Zaun aus Stacheldraht errichtet.

"Mit eigener Brust"

Im belarussischen Grenzgebiet zu Polen kampieren laut polnischen Quellen etwa 4000 Menschen, die meisten aus dem Irak, Syrien und Afghanistan. Immer wieder kommt es zu Versuchen, Grenzbefestigungen zu durchbrechen.

Polens Präsident Andrzej Duda stattete den Soldaten am Samstag einen Besuch ab, um ihren Einsatz anzuerkennen. Sie verteidigten Polen und die EU "mit eigener Brust", sagte das Staatsoberhaupt.

Ähnlich sieht es an der litauisch-belarussischen Grenze aus. In den vergangenen Wochen wurden vom litauischen staatlichen Grenzdienst hunderte illegale Grenzübertritte registriert. Seit Jahresanfang haben mehr als 4000 Personen aus Belarus die Grenzen zu Litauen illegal überschritten. Mehr als 6000 Menschen wurden von den litauischen Beamten zurückgewiesen.

In Litauen besteht bei der Beurteilung der Lage nach Ansicht des Politologen Andrzej Pukszto ein breiter politischer Konsens zwischen Regierung und Opposition. Übereinstimmend hielten alle politischen Kräfte im baltischen Staat den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko für den Verursacher der Krise.

Wie viele Flüchtlinge können Litauen und Lettland aufnehmen?

Meinungsunterschiede gibt es allerdings in der Debatte über das Ausmaß der Hilfe, die Litauen den Migranten und Flüchtlingen anbieten kann. "In Litauen gibt es viele bedürftige Menschen, die an der Armutsgrenze oder sogar darunter leben", erläutert der Politikwissenschaftler von der Universität in Kaunas.

Im Jahr 2020 betraf dies laut offizieller Statistik 20 Prozent der Bevölkerung. "Es wird daher heftig darüber diskutiert, wie viele Migranten und Flüchtlinge das Land aufnehmen kann." Andrzej Pukszto betont, dass es bisher in Litauen keine größeren Proteste oder Demonstrationen gegen Flüchtlinge gegeben habe.

Der Konsens in der Migrationsfrage besteht auch in Lettland, sagt Juris Rozenvalds, Soziologie-Professor an der Lettischen Universität in Riga. Er verweist auf die einstimmige Unterstützung im Parlament für die Verhängung des Ausnahmezustandes, der seit dem 11. August dieses Jahres gilt. 

Laut Rozenvaldis wurden mindestens 400 Flüchtlinge aufgenommen, die bis Mitte des Sommers die lettisch-belarussische Grenze überschritten haben. "In den vergangenen Monaten wurden 60 Personen, meistens Frauen und Kinder, aus humanitären Gründen ins Land gelassen", erklärt er.

"Verdammt schwierig"

Der lettische Politiker Boriss Cilevics, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, beschreibt den Spagat der Regierung in Riga: Sie müsse einerseits illegale Grenzübertritte verhindern und gleichzeitig internationale Verpflichtungen zur Wahrung von Menschenrechten erfüllen. Dies, so Cilevics, sei "verdammt schwierig".

Im Gegensatz zu Litauen und Lettland ist die politische Debatte in Polen wesentlich aufgeheizter. Zwar sind sich Politiker aller Parteien darin einig, dass die Verantwortung für die Krise bei dem belarussischen Machthaber Lukaschenko liegt. Auf Unverständnis stößt jedoch bei vielen Oppositionspolitikern die Ablehnung Warschaus, die von der EU angebotene Hilfe bei der Grenzsicherung in Anspruch zu nehmen.

Jaroslaw Kaczynski sucht eigene Wege aus der KriseBild: KACPER PEMPEL/REUTERS

Der Chef der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit PiS, Jaroslaw Kaczynski, scheint woanders Unterstützung zu suchen. Er hat Matteo Salvini, Chef der italienischen Partei Lega Nord, sowie weitere rechtspopulistische Politiker Anfang Dezember (3. bis 4.12.) zu Gesprächen über die "Verteidigung der europäischen Grenzen" nach Warschau eingeladen.

Wie es weitergeht in Warschau, ist nicht abzusehen. Sicher ist nur, dass der Ausnahmezustand in Polen am 2. Dezember ausläuft und aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verlängert werden darf. Kommt danach das Kriegsrecht? Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki schließt das aus. Die geplante fünf Meter hohe Mauer soll erst im Frühling oder Sommer entstehen.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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