Von der Bundesstadt zur Salafistenhochburg
13. November 2014 Die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn möchte eher mit den hier ansässigen UN-Institutionen und Dax-Konzernen in Verbindung gebracht werden, mit Rheinromantik, Beethovenfest und Karneval. Aber in jüngerer Zeit taucht das beschauliche Bonn in den Medien vermehrt im Umfeld von Begriffen wie Salafismus, Islamismus, Terrorismus und Dschihad auf.
So muss sich zur Zeit vor dem Landesgericht Düsseldorf ein zum Islam konvertierter Mann aus Bonn wegen des gescheiterten Bombenattentats am Bonner Bahnhof verantworten. Frank Vallender, als Redakteur beim Bonner General-Anzeiger seit Jahren mit dem Thema islamischer Extremismus in Bonn befasst, erinnert im Gespräch mit der Deutschen Welle daran, wie vor einigen Jahren das Thema mit dem Bonner Dschihadisten Bekkay Harrach aufkam. Harrach wurde 2010 in Afghanistan getötet. Zuvor hatte er in Internetvideos den vermeintlich heiligen Krieg verherrlicht. Vallender erinnert auch an die Bonner Brüder Yassin und Mounir Chouka. Die haben in ihren Videobotschaften aus dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet auch zu Anschlägen in Deutschland aufgerufen. Bei dem Bonner Bombenleger fielen diese Appelle sichtlich auf fruchtbaren Boden.
Sorge vor Islamfeindlichkeit
Dass Bonn offenbar ein Zentrum radikaler Salafisten geworden ist, treibt auch die Integrationsbeauftragte der Stadt um. Coletta Manemann macht sich Sorgen gleich in mehrfacher Hinsicht. Einmal wegen der Radikalisierung vor allem junger Männer. Und wegen einer drohenden Islamfeindlichkeit. Auf die Frage, warum es gerade in Bonn so auffallend viele extremistische Salafisten gebe, verweist die engagierte Frau mit dem modernen Kurzhaarschnitt auf die Vergangenheit der Stadt als Bundeshauptstadt: Deshalb habe es in Bonn schon sehr früh viele arabische Moscheen gegeben. Die Botschaften der arabischen Länder hätten großen Wert darauf gelegt, dass ihre Mitarbeiter hier beten können. Einige dieser Moscheen wurden allerdings mindestens zeitweise zu Treffpunkten extremistischer Muslime. Bonn böte Islamisten ein gutes Netzwerk, zitiert der Bonner General-Anzeiger Polizeikreise.
Arabisch sei in Bonn die zweithäufigst gesprochene Sprache, erklärt die Integrationsbeauftragte Manemann. Speziell im südlichen Stadtbezirk Bad Godesberg komme man prima klar, selbst wenn man nur Arabisch spricht. Deshalb zöge es ja auch so viele Medizintouristen aus der arabischen Welt an den Rhein. Leider gilt das aber auch für radikale Islamisten. Nach der Schließung ihrer Treffpunkte in Hamburg und auch in Ulm sollen 2005 ganze Gruppen polizeibekannter Islamisten nach Bonn gekommen sein.
Das Straßenbild im Zentrum von Bad-Godesberg ist geprägt von arabischen Restaurants, von Läden, die mit arabischen Schriftzügen um Kunden werben, von arabischen Callshops. Es scheint einfacher, islamischen Ernährungsvorschriften zu folgen, als eine Bratwurst zu finden. Immobilienagenturen bieten auf Arabisch möblierte Wohnungen und Häuser auf Zeit an. Vollverschleierte Frauen schlendern durch die Fußgängerzone. Im Sommer hat ein Geschäft eröffnet, dass "Islamische Kleidung für Frauen" anbietet.
Anknüpfungspunkt König-Fahd-Akademie
Weiter im Süden Bad Godesbergs erhebt sich das Gebäude der König-Fahd-Akademie. Äußerlich an eine Moschee erinnernd ist es eine saudi-arabische Auslandsschule. Immer wieder wird die König-Fahd-Akademie genannt, wenn man fragt, wieso der radikale Salafismus in Bonn Fuß fassen konnte. Der seit vier Jahren agierende Direktor der Schule gibt sich alle Mühe, diesen Eindruck zu zerstreuen.
Bei Kaffee und Gebäck berichtet Ibrahim Al-Megren in seinem geräumigen Büro von jährlich überarbeiteten Schulbüchern und einer engen Zusammenarbeit mit deutschen Behörden, sogar mit Bonner Sicherheitsbehörden. Besonders stolz ist Al-Megren darauf, dass seine Schule jetzt neben dem saudi-arabischen Abitur auch einen international anerkannten Abschluss anbieten kann. Es gab allerdings auch andere Zeiten. 2003 war die Schule ins Visier des Verfassungsschutzes geraten. Ein Lehrer soll zum "Heiligen Krieg" aufgerufen haben. Auf einmal fiel deutschen Schulbehörden auf, dass an der Schule in manchen Klassen lediglich eine Stunde Deutsch pro Woche unterrichtet wurde.
Die saudischen Schulbücher wurden einer Prüfung unterzogen. Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung war darin der "Kampf gegen Ungläubige" verherrlicht und Märtyrern "Belohnung" im Paradies versprochen worden. Noch etwas anderes fiel auf. Zu den Schülern zählten nicht nur die Kinder von Diplomaten oder anderen Familien, die nur vorübergehend in Deutschland leben. Zwei Drittel der Kinder an der Fahd-Akademie hatten damals die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Schulbehörde hatte freizügig Ausnahmeregelungen zur Befreiung von der deutschen Schulpflicht erteilt. Im Ergebnis waren stark religiös ausgerichtete Familien aus ganz Deutschland eigens nach Bonn gezogen. An der Fahd-Akademie wollten sie ihre Kinder streng konservativ und abgeschottet von westlichen Einflüssen erziehen lassen. Als Jugendlicher hatte auch der Bonner Dschihadist Bekkay Harrach in der Fahd-Akademie verkehrt.
Inzwischen gibt sich die Schule offen und transparent. Es gibt Tage der offenen Tür, man beteiligt sich an Lesefestivals, sucht den Dialog mit Nachbarn, anderen Schulen und Religionen. Auf den Fluren sind auch Frauen ohne Kopftuch unterwegs. Man sieht allerdings auch, dass es viel Platz gibt: Die Akademie wurde für 600 Schüler gebaut. Aktuell wird sie von gerade mal 150 Schülern besucht. Die Schulbehörden gehen mit der Befreiung von der deutschen Schulpflicht seit dem Skandal von 2003 deutlich restriktiver um.
Einfache Erklärungen für komplizierte Welt
Die stark religiös ausgerichteten Familien und ihre Kinder sind allerdings immer noch in Bonn. Ihre Kinder gehen jetzt auf deutsche Regelschulen. Bei einer Schule in der Nähe der Fahd-Akademie beträgt der Anteil von Schülern mit muslimischem Glauben rund 80 Prozent. An einem Tag der offenen Tür Ende Oktober sitzen vollverschleierte Frauen mit ihren Kindern bei Kaffee und Kuchen zusammen. Die Schulleiterin legt allerdings Wert auf die Feststellung, dass diese Frauen im Gespräch mit den Lehrern den Schleier ablegen. Mimik sei schließlich ein wichtiger Teil der Kommunikation. Einen Einfluss islamistischer Prediger kann die Direktorin bei ihrer Schülerschaft nicht erkennen. Wohl aber sieht sie ein gesteigertes Interesse an Fragen der Religion und der Politik – etwa zum Krieg in Syrien, im Irak oder zum sogenannten Islamischen Staat. Zum Teil werde da auch versucht, zu provozieren mit Thesen, die sie in den Moscheevereinen oder in den Familien gehört hätten. Etwas resigniert stellt sie fest, der Extremismus habe es leicht, weil er einfache Erklärungen für eine komplizierte Welt liefere - und starke Orientierung gebe, indem er klar sage, was vermeintlich richtig und was falsch sei.