Von der Kosmetikerin zur Umweltaktivistin
1. Dezember 2009Sharon Henshaw steht auf einem betonierten Parkplatz in Biloxi und zeigt auf eine von Unkraut überwucherte Wiese neben den Autoreihen. Dort stand ihr Haus. Ein paar Meter weiter arbeitete sie über 20 Jahre als Kosmetikerin und Friseuse in ihrem eigenen Salon. Aus ihrer Handtasche zieht sie ein verknittertes Foto. Darauf zu sehen ist ein komplett in sich zusammen gesunkenes Holzhaus, von dem nur noch ein paar hellgrüne Bretter, der Dachfirst und etwas Stahlgeländer erkennbar sind. Henshaw hat es aufgenommen, als sie nach dem Wirbelsturm nach Hause zurückkehrte.
Es ist das Haus, in dem ihre Familie seit Anfang des Jahrhunderts lebte. "Wir hatten Antiquitäten aus den 30er Jahren. Alles weg", erzählt die Pastorentochter mit Tränen in den Augen. "Das Bett meiner Tochter stand im Garten der Nachbarn. Unser Auto irgendwo dort drüben." Die 59-Jährige in weißem T-Shirt und Jeans zeigt auf die gegenüberliegende Straßenseite. Dort wird an einem Kasino mit Wolkenkratzer-Hotel gebaut. Nicht an den versprochenen Wohnungen für Geringverdiener.
Aus der Katastrophe lernen und aktiv werden
Henshaw sagt, sie habe gewusst, dass die Armen beim Wiederaufbau der Stadt verdrängt werden sollten. Sie wollte das nicht einfach hinnehmen. Mit anderen Frauen gründete sie die "Coastal Women for Change", kämpft mit ihnen seither gegen Korruption in der Region und für Klimaschutz. Sie organisiert Datenbanken für medizinische Versorgung in Katastrophenfällen, Kurse in Lesen, Schreiben und Finanzen für Kinder und Erwachsene ohne Schulbildung.
Oxfam, eine internationale Organisation, die sich gegen Armut und für Umweltschutz einsetzt, wurde auf die engagierten Frauen aus Biloxi aufmerksam und machte Sharon Henshaw zur Botschafterin ihrer Gruppe "Sisters on the Planet". Die befasst sich mit den weltweiten Auswirkungen des Klimawandels auf Frauen. Henshaw spricht nun im ganzen Land über Klimawandel und appelliert an Frauen, politisch aktiver zu werden. Sie fordert sie auf, nach Washington und zur UN zu gehen und darüber zu reden, was mit der Umwelt passiert.
Beim von Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger einberufenen Klimagipfel in Los Angeles bekam sie eine Auszeichnung für ihre Arbeit und rief den Anwesenden zu: "Demographisch sind alle Länder unterschiedlich. Aber wir sind eine Welt. Klimawandel betrifft uns alle, wir müssen zusammen halten. Versteht Ihr?"
Von politischem Desinteresse zur Aktivistin
Vor Wirbelsturm Katrina hatte die ehemalige Kosmetikerin keinerlei Interesse an Politik. Danach begann sie, sich mit Themen wie Erderwärmung und Treibhausgas-Ausstoß zu beschäftigen. Als Henshaw erlebte, wie ihre Region während und nach der Katastrophe vernachlässigt wurde, beschloss sie, die Entscheidungen über die Zukunft von Biloxi nicht den Politikern zu überlassen. Sie sprach als Vertreterin der "Coastal Women for Change" mit Bürgermeister und Gouverneur, ging zu Stadtratssitzungen und Pressekonferenzen. Henshaw meldete sich freiwillig, als Sekretärin der Gruppe zu arbeiten, bei ihren Treffen mitzuschreiben, zu Terminen gehen und sicherzustellen, dass Biloxi nicht vergessen wird. "Von da an war ich die inoffizielle Geschäftsführerin. Ohne es zu wissen", erzählt sie lachend.
Henshaw spricht im Ausland über ihre Erfahrung und lernt von anderen Frauen - zum Beispiel von Klimaschützerinnen in Indien, weniger verschwenderisch mit Nahrungsmitteln und Verpackung umzugehen. Sie saugt alles in sich auf, will so viel wie möglich weiter geben. "Sharons Story" heißt ein Video der "Sisters on the Planet". Darin erzählt sie: aus ihrer Sicht war alles vorbestimmt. "Als Wirbelsturm Katrina mein Geschäft zerstörte, mir meine Existenz nahm - das war, als hätte Gott all dies schon für mich geplant. Es war, als hätte ich gar keine Wahl. Von der Kosmetikerin zur Aktivistin - unglaublich!"
Autorin: Kerstin Zilm
Redaktion: Sven Töniges