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Politik

Stresstest in Straßburg

Barbara Wesel
3. Juli 2019

Die als EU-Kommissionspräsidentin nominierte Ursula von der Leyen hatte ihren ersten Auftritt im EU-Parlament: Sie stellte sich der EVP-Fraktion vor. Von den anderen Parteienfamilien bekam sie bereits Gegenwind.

EU-Parlament | Ursula von der Leyen
Bild: picture-alliance/AP Photo/J.-F. Badias

Seit dem Morgen lag ein Gefühl von Aufruhr im sonst so reibungslos funktionierenden Europaparlament. Und es waren nicht wie sonst die Brexit-Partei oder die Populisten, die für Unruhe sorgten; es gärte bei Sozialdemokraten und Grünen. Die meiste Aufmerksamkeit aber zog der Antrittsbesuch von Ursula von der Leyen, der designierten EU-Kommissionspräsidentin, bei der konservativen EVP-Fraktion auf sich. Ein Riesenschwarm von Kameraleuten und Journalisten wartete vor dem Sitzungssaal. Doch sie zog wortlos an der Meute vorbei, mit dem unterlegenen Kandidaten Manfred Weber an ihrer Seite.

Ein paar Stunden später, nachdem sie hinter verschlossenen Türen mit der eigenen Fraktion geredet hatte, fand Ursula von der leyen dann doch noch ein paar Worte für die wartende Presse. Es sei eine Ehre für sie, nominiert zu sein: "Ich will hier viel zuhören und in einen Dialog mit dem Parlament eintreten." Die Kandidatin regte auch an, das Verfahren der Auswahl von Spitzenkandidaten im Parlament, das diesmal so kläglich gescheitert war, bei den nächsten Europawahlen "auf ein breitere Basis" zu stellen. Eine freundliche Geste in Richtung der frustrierten Abgeordneten, mehr nicht. Es wird eine Weile dauern, bis sie sich programmatisch festlegen lässt. Hinter verschlossenen Türen bei den anderen EP-Fraktionen wird sie das allerdings tun müssen, sonst könnte sie am Ende tatsächlich in zwei Wochen bei der Abstimmung scheitern. .

Gibt es eine Mehrheit für von der Leyen im Parlament?

Heute wollte die Grünen-Fraktion sich nicht mit ihr treffen, und bei den Sozialdemokraten herrschte noch totale Desorganisation. Von dort schlägt ihr wohl auch der stärkste Widerstand entgegen. Die eigenen Christdemokraten und Konservativen lassen sich wegen der Fraktionsdisziplin wohl noch am ehesten überzeugen. Das jedenfalls glaubt David McAllister, ehemaliger Ministerpräsident des norddeutschen Bundeslandes Niedersachsen und heute Europaabgeordneter der CDU: "Meine Stimme hat sie", sagt er, auch wenn er eigentlich Manfred Weber unterstützt habe. Gegen ihn aber gab es im Rat der Regierungen eine Blockade-Minderheit, also musste man einen Ausweg finden: "Es ist ein typischer Kompromiss nach Art der EU", sagt McAllister. Auf jeden Fall brauche man für die nächste Europawahl in fünf Jahren andere Verfahren, um die Auswahl der Topjobs für Bürger nachvollziehbarer zu machen.

Kandidatin und Ex-Kandidat auf dem Weg zur EVP-Fraktion: Ursula von der Leyen und Manfred WeberBild: DW/B. Wesel

Dennoch findet McAllister es falsch, Ursula von der Leyen grundsätzlich abzulehnen. "Sie ist eine überzeugte Europäerin, die erste Frau in diesem Amt. Wir sollten ihr eine Chance geben, und ihre Pläne hören". Man könne doch nicht einfach "Nein!" sagen, ohne überhaupt mit ihr geredet zu haben.

Unruhe bei den Sozialdemokraten

Die größte Unruhe herrscht bei den Sozialdemokraten. Die neugewählte Abgeordnete Katarina Barley sagt, sie sei "überhaupt nicht glücklich" mit der Nominierung von der Leyens. "Es geht nicht um die Person, sondern um das Paket und das Verfahren". Man habe den Wählern etwas anderes versprochen. "Wir hatten eine Mehrheit für Frans Timmermans, ich kann jetzt nicht ein ganz anderes (Personal-)Paket akzeptieren, und andere im EP werden es auch nicht tun". Sogar in der EVP gebe es Widerstand gegen von der Leyen.

An diesem Mittwoch wäre die nominierte EU-Kommissionspräsidentin in Straßburg also mit Pauken und Trompeten durchgefallen. In zwei Wochen, wenn die Abstimmung tatsächlich stattfindet, könnte es schon anders aussehen. Zuvor müssen aber die nationalen Parteichefs noch viel Überzeugungsarbeit bei ihren Europaabgeordneten leisten. Ansonsten kommt es zu einer institutionellen Krise zwischen Parlament und Europäischem Rat. Katarina Barley findet, das sei jetzt schon der Fall: "Wir haben immer gesagt, wir würden nur für einen Spitzenkandidaten stimmen", und jetzt werde alles über Bord geworfen.

Ist mit der Nominierung von der Leyens nicht einverstanden: die SPD-Europaabgeordnete Katharina BarleyBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Was sie vergisst zu erwähnen, ist allerdings, dass Frans Timmermans zwar im Rat der Regierungen eine knappe Mehrheit hatte, nicht aber im Parlament. Und das Gleiche gilt übrigens für Manfred Weber, der sich darauf berief, aus der stärksten Fraktion zu kommen.

Grüne mit Hintertür

Im Prinzip lehnen auch die Grünen die Personalvorschläge der Regierungen ab. Sie lassen sich jedoch eine Hintertür offen: "Wir haben nicht kategorisch Nein gesagt", erklärt Fraktionschef Philippe Lamberts. Aber man müsse die Person von der Leyen kritisch anschauen, die eine "scheidende Ministerin ist, die immer treu zu Angela Merkel gestanden hat".

Den Grünen gehe es hier um das Programm. Sei die Kandidatin jemand, der Klimapolitik verstehe, die Bedrohungen der Demokratie, soziale Herausforderungen? In der nächsten Woche werden die europäischen Grünen Ursula von der Leyen in Brüssel treffen und mit ihr reden. Vielleicht könne sie seine Gruppe ja umstimmen, sagt Lamberts: "Ich muss Wunder aber erst sehen, bevor ich an sie glaube."

Für die Widerstandsgesten bei den Sozialdemokraten hat Lamberts hingegen nur Spott übrig. "Am Ende werden sie nicht aus der Reihe tanzen und zustimmen". Schließlich gebe es genügend Posten für die ESP-Fraktion, angefangen vom neuen Parlamentspräsidenten, dem Italiener David Sassoli, bis zum Job des Chefdiplomaten der EU, für den der spanische Außenminister Josep Borrell nominiert ist.

Neuer EP-Präsident macht schwache Figur

Sassoli, selbst ein ehemaliger Journalist, räumt in seiner ersten Pressekonferenz ein, dass er auch überrascht gewesen sei, als man ihn am Dienstagabend plötzlich gedrängt habe, für das Präsidentenamt im EU-Parlament zu kandidieren. Ein Sozialdemokrat sollte es sein, der Rat hatte den früheren bulgarischen Ministerpräsidenten Sergej Stanischew nominiert. Weil diese Empfehlung aber von den Staats- und Regierungschefs kam, auf die das Parlament fuchsteufelswild ist, trat der Bulgare lieber gar nicht erst an. Warum sollte er sich eine Ohrfeige abholen?

Der Italiener David Sassoli ist neuer Präsident des EuropaparlamentsBild: picture-alliance/AP Photo/J.-F. Badias

In Windeseile wurde also ein weiterer Italiener aus dem Hut gezaubert, der jetzt seinem konservativen Vorgänger Antonio Tajani folgt. Sassoli sprach zu den Journalisten aber nur auf Italienisch, seine übrigen Sprachkenntnisse sollen schwach sein. Keine besondere Empfehlung in einem Amt, in dem man mit 28 Nationen kommunizieren muss. 

Und auch seine Wahl war eine ziemlich schwache Aufführung. Im ersten Wahlgang verfehlte er knapp die nötige Stimmenzahl, im zweiten schaffte er es mit elf Stimmen Mehrheit gerade eben über die Hürde. Rund 100 Abgeordnete von EVP, Sozialdemokraten und Liberalen verweigerten ihm bis zuletzt die Gefolgschaft. Geschlossenheit ist derzeit ein knappes Gut im Europaparlament, und Sassoli scheint auch als Notlösung nicht unumstritten. Eine Stärkung des Europaparlamentes sieht anders aus. Auch weil sichere Mehrheiten, da man jeweils die drei größeren Parteien dafür braucht, sich schwieriger organisieren lassen als in der Vergangenheit.

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