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Politik

Von der Leyen: Schönwetter in Warschau

25. Juli 2019

Nach Paris ist Warschau die zweite Hauptstadt, die Ursula von der Leyen als designierte EU-Kommissionspräsidentin besucht. Sie muss einen Brückenschlag versuchen, der gewaltig scheint. Ein diplomatischer Besuch.

Polen, Warschau: Ursula von der Leyen und Premierminister Mateusz Morawiecki
Bild: Reuters/K. Pempel

Selten sah man Premierminister Mateusz Morawiecki so locker, geradezu strahlend wie nach dem Gespräch mit der künftigen Präsidentin der EU-Kommission. Kurz vor der Unterredung hatte Ursula von der Leyen zwar angedeutet, dass es Fragen gäbe, bei denen man sich einig sei und auch solche, bei denen es "Differenzen" gebe. Dazu zähle sie die Frage der Rechtstaatlichkeit und die Migrationspolitik. Bei diesem Nebensatz aber ließ sie es bewenden.

Gut zwei Stunden später antwortete der polnische Premierminister erst auf die Frage eines Journalisten, er hätte das Thema Rechtsstaat auch nicht selbst angesprochen, da er der Meinung sei, man solle dieses Kapitel so schnell wie möglich abschließen, denn es sei "voll von unnötigen Emotionen, die ein bestimmter Kommissar verbreite". Seitdem er als Rechtsstaatskommissar scharfe Kritik an der polnischen Justizpolitik äußert, ist Frans Timmermans vom Regierungslager zu einem der größten Feinde der Nation erkoren. Die Debatte um die Rechtsstaatlichkeit in Polen - nur der Spleen eines einzelnen Kommissars?     

Rechtsstaatlichkeit als Spleen eines einzelnen EU-Kommissars: Frans TimmermansBild: picture-alliance/XinHua

Die Europäische Kommission hat diverse Verfahren gegen das Land eingeleitet, auch eines, das am Ende auf den Verlust der Stimmrechte hinauslaufen könnte. In Ursula von der Leyen sieht die polnische Regierung nun eine Hoffnungsträgerin. Warschau erwartet eine Art Neuanlauf Europas, wie es nach Europaminister Konrad Szymanski nun auch der Regierungschef formulierte. Freilich ist bislang unklar, was der polnische Beitrag zum Neustart sein soll.

Seit sie unter Mithilfe auch der polnischen Regierung nominiert und schließlich gewählt wurde, wird Ursula von der Leyen im Land zu einer Art von weißem Ritter stilisiert, der all die festgefahrenen Konflikte Europas auflösen könne, der den Osten einfach besser verstehe. Die regierungsnahen Medien betonen gerne ihre Russland-kritische Haltung und Ihren Einsatz für weitere Verteidigungsanstrengungen. Bisweilen scheint sie alles zugleich zu sein: Während rechtsorientierte Kommentatoren aus ihren vielen Kindern herauslesen, dass sie konservative Ansichten habe, betonen linksliberale Autoren, dass von der Leyen das beste Beispiel dafür sei, dass man sowohl an Gott glauben als auch für gleiche Rechte für alle streiten könne

Gutes Klima

Seit Tagen spekulierten die Medien im Land, ob Frau von der Leyen in der polnischen Hauptstadt für ein genau so gutes Gesprächsklima wie in Brüssel sorgen würde. Gutes Wetter brachte Ursula von der Leyen mit nach Warschau; Reizthemen vermied sie. Vor dem Treffen sagte von der Leyen, sie wolle sich mit Morawiecki unter anderem über Nachhaltigkeit, Entwicklung und Sicherheit unterhalten.

EU-Thema Klimawandel: Thermometer am UN-Gebäude in BonnBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Alle wüssten, dass man sich dem Klimawandel stellen und eine saubere Erde hinterlassen müsse. "Aber man muss die Menschen dabei auch mitnehmen. Es wird große Investitionen brauchen, und deswegen schaffen wir einen Fonds der gerechten Transformation für besonders betroffene Regionen." Nach den Gesprächen sagte Premierminister Morawiecki vor der Presse, man würde sich in den nächsten Jahren bemühen, gemeinsam ein "Europa der Kompromisse" aufzubauen. Auch Personalfragen wurden besprochen: Polen ist besonders ein Kommissar im Wirtschaftsbereich wichtig.

Polnische Hoffnungen

Von der Leyen positioniere sich als Vermittlerin zwischen der "neuen" und der "alten" EU, meint Adam Szostkiewicz, Publizist der Wochenzeitung "Polityka" in einem Gespräch mit der DW. "Man kann es lesen als die Aufnahme eines politischen Vertrauenskredits, als Streben nach Kompromiss und Einheit in der ganzen EU", fügt der Journalist hinzu. In einem Interview für die Süddeutsche Zeitung (SZ) hatte von der Leyen etwa beim Thema Rechtstaatlichkeit um mehr Verständnis für Polen und Ungarn geworben. "Wir alle müssen lernen, dass volle Rechtsstaatlichkeit immer unser Ziel ist, aber keiner ist perfekt", sagte von der Leyen.

Bartosz Wielinski, Journalist der liberalen "Gazeta Wyborcza", der mit von der Leyen kurz nach der SZ sprach, meint nüchtern: "Ich habe eine eindeutige Antwort bekommen, was die Rechtstaatsfrage und das Problem der Pressefreiheit angeht. In beiden Fragen wird es keine Kompromisse geben. Meiner Meinung nach wird von der Leyen die Rolle des „guten Polizisten" in der Kommission annehmen, ähnlich wie Juncker, aber das heißt nicht, dass in den genannten Punkten nachgegeben wird."

"Konstytucja": Ein Transparent am Obersten Gericht in Warschau feiert die VerfassungBild: picture-alliance/dpa/N. Skrzypczak

Wer genau hinschaut, erkennt schnell: Von der Leyens Worte sind Gesten, die nicht viel kosten - und der Regierung in Warschau helfen könnten, auf gesichtswahrende Weise unhaltbare Positionen zu räumen. Von der Leyen setze auf "intelligente Weise die Bedingungen, auf Basis derer vielleicht Kompromisse erzielt werden können", so Europaminister Konrad Szymanski gegenüber der Zeitung Rzeczpospolita. In der Rechtsstaatsfrage bot sie neben "Versachlichung" bislang allerdings nur einen EU-weiten Prüfmechanismus an, der die Rechtsstaatlichkeit regelmäßig in allen EU-Ländern gleichermaßen prüft, damit nicht nur die beiden "schwarzen Schafe" aus dem Osten - Polen und Ungarn - Fragen beantworten müssen. Doch wird die PiS-Regierung die Chance nutzen? Bedeutet ein "Europa der Kompromisse" auch Kompromisse der PiS etwa bei der Justizpolitik, der laut Parteichef Kaczynski wichtigsten aller Reformen, ohne die alles andere keinen Sinn habe? Darauf deutet wenig hin.

Bis zum offiziellen Amtsantritt von der Leyens stehen zwei Weichenstellungen an: einerseits weitere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu zentralen Teilen der Justizreform - und andererseits die Parlamentswahlen in Polen im Oktober, bei der die Regierungspartei PiS sich eine Verfassungsmehrheit erhofft. Auf dem Weg dahin könnte ihr von der Leyen sogar helfen, denn der Eindruck, aller Streit mit der EU sei quasi beigelegt, dürfte gut ankommen im Land, wo auch im politisch rechten Spektrum die EU-Mitgliedschaft selbst ausdrücklich bejaht und geschätzt wird, trotz aller Klagen über angebliche Brüsseler Bevormundung.

Spätestens im grauen Herbst wird dann aber die politische Schönwetterphase vorbei sein - wenn es nämlich um die Sache geht, ums Geld, um die Grundsätze, darum, dem Ruf nach Kompromissen auch echte Lösungen folgen zu lassen.

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