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"Mehr Verantwortung übernehmen"

Max Hofmann20. Juni 2014

Trotz eines herzlichen Empfangs ging es für Verteidigungsministerin von der Leyen bei ihrem Antrittsbesuch in Washington auch um brisante Fragen. Im Exklusivinterview mit der DW zeigt sie sich selbstbewusst.

USA Deutschland Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen in New York
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Hat Ihr amerikanischer Kollege Chuck Hagel Sie bei Ihrem Treffen um Hilfe im Irak gebeten?

Ursula von der Leyen: Wir haben miteinander über die Lage im Irak gesprochen und wir teilen die Einschätzung, dass es eigentlich um drei Fragen geht: Erstens, wie kann man ISIS stoppen. Das ist die akute Frage. Zweitens, wie kann man die Regierung Maliki dazu bringen, eine alle Gruppen einschließende Regierungsart zu bilden. Und drittens geht es darum, wie man die Nachbarstaaten in der Region dazu bewegen kann, diesen Kampf zu beenden und eine stabile nachhaltige Lösung zu entwickeln.

Was halten Sie von dem Plan, den Präsident Obama am Donnerstag (19.06.2014) vorgestellt hat?

Es zeigt, dass die USA mit großem Detailwissen und besonnen auf der Suche sind nach einer kohärenten Lösung. Nicht nach einem "quick fix", sondern danach, was auf Dauer Stabilität bringt. Eigentlich müssen alle umliegenden Länder ein Interesse daran haben, dass der Vormarsch der ISIS gebremst wird - sowohl die Türken mit dem Thema Kurden, als auch der Iran als Unterstützer der Schiiten oder Saudi-Arabien als Unterstützer der Sunniten.

Hätten Sie überhaupt "ja" sagen können, wenn US-Verteidigungsminister Hagel Sie um Hilfe gebeten hätte?

Die Frage ist nicht gestellt worden. Aber klar ist, dass wir mehr Verantwortung übernehmen wollen, jedoch nur unter bestimmten Bedingungen: Erstens brauchen wir immer das Dach der Vereinten Nationen, niemals unilateral, immer multilateral. Zweitens ist mir wichtig, dass wir die breite Palette der Möglichkeiten betrachten: die Diplomatie, die wirtschaftliche Entwicklung und nur als Ultima Ratio die Frage des militärischen Einsatzes.

Wir wissen von den Friedensmissionen der UN, dass man manchmal auf militärische Mittel nicht verzichten kann, wenn zum Beispiel ein Genozid droht. Aber wir wissen eben auch, dass es keine Sicherheit gibt ohne wirtschaftliche Entwicklung und politische Versöhnung und umgekehrt natürlich auch keine wirtschaftliche Entwicklung ohne Sicherheit.

Ein bilaterales Vorgehen mit den Amerikanern im Irak wäre nicht möglich?

Das war in der Vergangenheit nicht möglich und wird sich auch in Zukunft ausschließen. Das gebietet einfach der Hintergrund unserer Geschichte, dass wir niemals unilateral, niemals im Alleingang vorgehen, sondern nur unter dem Dach unserer Bündnissen wie NATO, Vereinte Nationen und EU nach klaren, im Völkerrecht verankerten Verfahren.

Es gibt einen gewissen Unmut in den USA, weil die Deutschen die vereinbarten Ausgaben von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das Militär verfehlen. Die Amerikaner sagen, Europa, vor allem Deutschland, muss seine Sicherheit selbst in die Hand nehmen.

Ich möchte widersprechen, dass es Unmut seitens der Amerikaner gäbe, dass wir nicht im Alleingang losgehen wollen. Im Gegenteil, wenn man sich die Rede von Präsident Obama in West Point anschaut, dann hat er ganz deutlich gesagt, für Amerika gilt, außerhalb Amerikas ausschließlich in Bündnissen voranzugehen.

Aber der Unmut richtet sich schon darauf, dass die Deutschen nicht mehr für das Militär ausgeben.

Wir sind nicht nur als Deutsche, sondern als Europäer aufgefordert, unseren Teil der Last zu tragen, gar keine Frage. Da sind wir den Amerikanern gegenüber in der Verpflichtung. Wenn wir von dem Zwei-Prozent-Ziel sprechen, dann ist aber die Frage: zwei Prozent wovon? Es sollen zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsausgaben alloziert werden. Manche Länder in Europa, die gerade aus der Eurokrise kommen, erreichen die zwei Prozent. Aber warum? Sie senken ihren Verteidigungshaushalt, doch gleichzeitig schrumpft das Bruttoinlandsprodukt stärker. Das kann keine gesunde Basis sein.

Wir in Deutschland sind der zweitgrößte Nettozahler in der NATO. Unser Verteidigungshaushalt ist stabil, mit einem leichten Anstieg in den nächsten Jahren, aber das Bruttoinlandsprodukt steigt. Insofern haben wir auch darüber gesprochen, dass diese zwei Prozent nicht die Frage allein sind, sondern wofür wollen wir das Geld einsetzen? Welche Fähigkeiten wollen wir gemeinsam entwickeln? Bei dieser konkreten Frage ist Deutschland dabei, denn es geht um die Zukunftssicherung, auch die der NATO.

Wäre es für Sie vorstellbar, dass die Deutschen in naher Zukunft zum Beispiel eine UN-Friedensmission in Afrika übernehmen?

Wir sind zurzeit schon in sechs Missionen in Afrika engagiert, einige davon Ausbildungsmissionen, aber auch Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika. Und ja, wir würden gerne der Bitte der Vereinten Nationen nachkommen und stärker in Führungspositionen reingehen, also eine Friedensmission in Afrika leiten.

Muss die NATO ihre Strategie überdenken, weil Russland auf einmal wieder als neue Gefahr aufgetaucht ist? Gerade am Donnerstag gab es ja Berichte über neue Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze von Russland.

Die große Stärke der NATO ist die hohe Adaptionsfähigkeit und Flexibilität. Das heißt, man muss nicht mit den Rezepten des Kalten Krieges und der statischen Stationierung kommen, das ist vorbei. Sondern man muss eine flexible, multinationale Projektierung der Konzepte vornehmen, die Deutschland gemeinsam mit anderen NATO-Partnern im Moment auch sehr stark nach vorne trägt. Ich erinnere nur an das Air-Policing in den baltischen Staaten oder die Tatsache, dass wir die maritimen Verbände gestärkt haben.

Glauben Sie, dass Putin eine für ihn günstige Gelegenheit ergriffen hat als er die Krim annektierte? Oder glauben Sie, dass das Teil einer längerfristigen Strategie Russlands ist?

Ich weiß, dass es eine lang angelegte Strategie ist. Putin sagt selber, dass er der Meinung ist, dass gerade die Länder, die in dem Gürtel gewissermaßen zwischen der Europäischen Union und Russland liegen, sich nicht der Europäischen Union zuwenden dürfen.

Ich bin der Meinung, diese Länder können selbst entscheiden, was sie wollen. Und es gibt einen Grund, warum sie sich nach Westen mehr bewegen, weil nämlich das Schützen der Menschenrechte, die Freiheit der Meinung, der Presse, attraktive Werte sind. Das ist der Grundkonflikt, über den wir uns streiten: Ob es sein Recht ist - was ich bestreite - die territoriale Integrität eines Staates zu verletzen, wenn dieser Staat beschließt, sich dem Westen zu öffnen. Ob wir das zulassen? Ich sage, wir lassen das nicht zu.

Aber die Krim scheint der Westen aufgegeben zu haben.

Die Krim hat der Westen nicht aufgegeben. Ich glaube, zwei Dinge hat Putin unterschätzt. Nämlich dass seine Aktivitäten zu einer großen Einigkeit des Westens geführt haben, damit hat er nicht gerechnet. Und zweitens, dass wir mit anderen Stimmen antworten als er. Russland intervenierte auf der Krim asymmetrisch mit paramilitärischen Mitteln. Wir antworten mit wirtschaftlichen Sanktionen. Nicht mir militärischen. Auch weil wir wissen, dass die Wirtschaft die Achillesverse Russlands ist.

Das Gespräch führte Max Hofmann.

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