Der Aufstieg der Wahhabiten
17. Dezember 2013Wir schreiben das 18. Jahrhundert. Die Osmanen kontrollieren weite Teile der arabischen Halbinsel, vor allem den Pilgerstrom in die heiligen Städte Mekka und Medina. Es ist eine Zeit der Unsicherheit und der Konflikte. Mit ihrem liberalen Islam stoßen die Osmanen viele der traditionellen Beduinenstämme vor den Kopf.
Der Prediger Muhammad ibn Abd al-Wahhab – er lebte von 1703 bis 1792 - gibt deren Unmut eine Stimme. Er wirft den Osmanen vor, sie würden den ursprünglichen Islam verdrehen und durch volksislamische Elemente wie den populären Heiligenkult verfälschen.
Die Muslime müssten zurückkehren zum reinen, unverstellten Islam des siebten und achten Jahrhunderts, so die Forderung von Abd al-Wahhab. Nur der Koran und die verlässlich überlieferten Aussprüche des Propheten sollten gültig sein.
Abd al-Wahhab und seine Anhänger wollten den Islam auf seine Ursprünge zurückführen. Es ist der Beginn des Wahhabismus. Was sie als ursprünglich vertreten, ist allerdings ein Konstrukt, das den historischen Anfängen des Islam nicht entspricht.
Auf dem Weg zur Staatsreligion
Die Ideen Abdel al-Wahhabs kamen beim mächtigen Clan der Al-Saud trotzdem gut an und beide gingen eine enge Verbindung ein. Unter der militärischen Führung von Mohammed Ibn Saud und mit der religiösen Ideologie Abd al-Wahhabs eroberten sie später große Teile des Nadschd, der zentralen Region der arabischen Halbinsel, fallen in Kuwait und in den Irak ein.
Rund anderthalb Jahrhunderte später, im Jahr 1932, proklamierte Abd al Aziz Al-Saud nach jahrelangen Feldzügen schließlich das saudische Königreich und der Wahhabismus wurde zu einer Art Staatsreligion.
Im Konflikt mit den Herrschern
Das heißt jedoch nicht, dass in Saudi-Arabien der wahhabitische Islam Eins zu Eins umgesetzt wird. Für Ulrike Freitag, Leiterin des Zentrums Moderner Orient in Berlin, war die Allianz zwischen Wahhabiten und dem saudischen Königshaus nicht immer stabil. Die Durchsetzung der "reinen Lehre" sei durchaus schon in Konflikt geraten mit den Interessen der saudischen Staatsräson. Etwa 1979, als extreme Wahhabiten die große Moschee von Mekka besetzten. "Zur Niederschlagung dieses kleinen Aufstands wurden nicht nur saudische Truppen, sondern auch ausländische Truppen eingesetzt", so Freitag.
Ein anderes Beispiel: der Irakkrieg 1990. "In großen Umfang kamen amerikanische Truppen nach Saudi-Arabien und Amerikanerinnen traten in Kampfanzügen auf. Bestimmte saudische Frauen sahen sich dadurch ermutigt, ihrerseits mehr Rechte zu fordern. Das hat auch zu einer ganz starken Krise in diesem Verhältnis geführt."
Gegen Liberale und andere
Allerdings sind die Wahhabiten keine einheitliche Bewegung. Unter ihren Gelehrten gibt es zahlreiche Debatten. Zum Beispiel darüber, unter welchen Umständen sie die Anwendung von Gewalt für erlaubt halten oder wie man mit den Körperstrafen verfahren soll. In Rechtsgutachten, den Fatwas, aber auch in Blogs oder Predigten wird darüber diskutiert.
Allen Strömungen gemeinsam ist aber, dass sie scharf zwischen Gläubigen und Ungläubigen unterscheiden. Als Ungläubige gelten nicht nur die Angehörigen anderer Religionen sondern auch alle Muslime, die einem anderen Islamverständnis folgen. Dazu gehören traditionelle Sunniten, liberale Muslime, Sufis, und vor allem Schiiten.
Schiiten als Feindbild
In Saudi-Arabien führt das dazu, dass Schiiten wichtige Bürgerrechte vorenthalten werden. Sie sind religiös, kulturell und politisch Bürger zweiter Klasse. Das Verhältnis zwischen Wahhabiten und Schiiten ist deshalb sehr spannungsgeladen, sagt der Islamwissenschaftler Michael Kiefer. "Das fand auch in Gewalt seinen Ausdruck. Wenn Schiiten demonstrieren, ihre Religionsfreiheit einfordern, dann gab es dort mehrfach brutalste Polizeieinsätze."
Versuche des derzeitigen Machthabers, König Abdullah, den Schiiten mehr Rechte zu gewähren, haben teilweise zu heftigen Gegenreaktionen bei wahhabitischen Gelehrten geführt. Auch hier prallen Staatsräson und wahhabitische Ideologie aufeinander.
Hinaus in alle Welt
Trotz aller Konflikte: Als Ideologie des saudischen Königshauses wird der Wahhabismus mit enormen Geldsummen in die gesamte arabischen Welt verbreitet und darüber hinaus, nach Schwarzafrika und Indien, nach Pakistan, Indonesien sowie in die muslimisch geprägten ehemaligen Sowjetrepubliken.
Für den Islamwissenschaftler Michael Kiefer bildet ihre Ideologie auch den geistigen Bezugspunkt für die salafistischen Bewegungen, die in Europa immer mehr Anklang finden. "Ich finde, man kann das eigentlich gar nicht richtig unterscheiden", so Kiefer. "Die Saudis tun auch sehr viel für die Ausbreitung des Salafismus, einerseits mit Geld, aber auch dadurch, dass sie zum Beispiel Gelehrte an saudischen Universitäten fortbilden und auch dadurch, dass saudische Gelehrte in der Welt herumreisen und predigen.“
Was einst als kleine Sekte begann, die sich dem osmanischen Verständnis des Islam entgegen stellte, ist so zu einer weltweiten Bewegung geworden. Im Zeitalter der Globalisierung ist der Wahhabismus ein Grenzen und Kulturen übergreifendes Phänomen.