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Von der Nerdshow zum Massenphänomen

Rodion Ebbighausen26. September 2016

eSports hat heute Millionen Fans. Die Erfolgsgeschichte fing vor 20 Jahren in tausenden Jugendzimmern an. Die Spieler von damals sind mit eSports älter geworden, wie die Geschichte von DW-Autor Rodion Ebbighausen zeigt.

Online-Gaming: Private LAN-Party in Bielefeld
Bild: J. Ebbighausen

In meinen kühnsten Träumen hätte ich mir Mitte der 90er Jahre nicht vorstellen können, dass Online-Gaming und eSports im Jahr 2016 weltweit mehr als 210 Millionen Zuschauer begeistern und ein weltweites Marktvolumen von etwa 900 Millionen US-Dollar erzielen könnte. Diese Zahlen zumindest veröffentlichte Super Data Research, ein US-Unternehmen, das sich auf Marktdaten der Spieleindustrie spezialisiert hat und schon mit fast allen großen der Branche zusammengearbeitet hat.

Während mich Sportveranstaltungen wie Fußball-WM, Wimbledon oder die Tour de France seit jeher kalt lassen, schaue ich mir heute Matches der Starcraft 2 World Championship Series (WCS) oder der Intel Extreme Masters (IEM) an. eSport-Events von denen die meisten Menschen meiner Generation (Jahrgang 1977) noch nie etwas gehört haben.

Bei der WCS handelt es sich um eine das ganze Jahr umfassende Turnierserie in der Spieler aus aller Welt im Echtzeitstrategiespiel Starcraft 2 gegeneinander antreten. Sie sammeln Punkte, um dann am Jahresende in einem finalen Turnier den besten Spieler der Saison zu küren. Insgesamt werden zwei Millionen US-Dollar an Preisgeldern ausgeschüttet. Die IEM sind ebenfalls eine Serie, die etwa in China, Korea, Polen und den USA Turniere in Starcraft 2, Counterstrike oder League of Legens ausrichten. Es geht um insgesamt fünf Millionen US-Dollar.

Im Keller mit C&C

Der Grundstein meiner Begeisterung wurde in meiner Jugend gelegt. Damals schleppten die Jungs aus der Nachbarschaft und ich unsere Rechner zusammen, um per LAN unzählige Pixelschlachten Command & Conquer (1995) zu schlagen oder Doom 2 (1994) gegeneinander zu spielen. Ich kann mich erinnern, wie wir, um zwei Häuser miteinander zu vernetzen, ein Kabel von Fenster zu Fenster über die Straße gespannt haben.

DW-Autor Rodion Ebbighausen (l.) war begeisterter "Starcraft"-Gamer - und ist bis heute treuer eSports-AnhängerBild: J. Ebbighausen

Das Nerdimage war durchaus verdient: Durchgespielte Nächte, Coca-Cola, Chipstüten und Fertigpizzen gehörten dazu. Der Frauenanteil lag bei null. Auf dem Schulhof konnten wir uns stundenlangen über einen "Rush" (eine schnell ausgeführte Attacke, die bei Fehlschlag in der Regel eine Niederlage bedeutete) oder verschiedene "Build-Orders" (verschiedene strategische Grundentscheidungen) unterhalten, während Freunde, die nicht dem Virus Online-Gaming verfallen waren, genervt die Augen verdrehten. Viele Zocker, die ich kannte, gehörten dem Typ intelligent, technikaffin, aber sozial unbeholfen an. Das Gegenteil also des Klischees vom sportlichen Mädchenschwarm.

Spreu und Weizen

Schon damals war klar, wer im Online-Gaming Erfolg haben wollte, musste bereit sein, in unendlichen Wiederholungen komplexe Handlungsabläufe zu perfektionieren - nicht anders als in jedem anderen Sport, wo regelmäßiges Training die Voraussetzung für den Sieg ist. Erfolg hieß damals allerdings noch: Anerkennung von Gleichgesinnten und nicht die Bewunderung von Mädchen oder Geld.

So weit ging mein eigenes Engagement allerdings nie. Ich war nicht bereit, über einen längeren Zeitraum täglich mindestens vier oder fünf Stunden zu trainieren. Ich war eher der Typ Strohfeuer: Drei Tage am Stück daddeln und dann erstmal eine Woche Pause. Insofern blieb ich immer ein ehrgeiziger Amateur.

LAN-Parties, Clans und Flatrates

Die erste Erweiterung des Gaming-Radius kam mit den sogenannten LAN-Partys. Gerade erst im Besitz eines Führerscheins packten wir die Kombis unserer Eltern voll und fuhren quer durch Deutschland, um in Sporthallen, Veranstaltungs- oder Gemeindezentren Gleichgesinnte zu treffen. Es gab Turniere mit Sachgeschenken oder kleinen Preisgeldern. In den Pausen, wenn die Bandbreite gerade nicht zum Zocken genutzt wurde, gab es einen regen Austausch von MP3s, Kinofilmen und Pornos. Eine Art Subkultur ohne jeden höheren Anspruch, die den Mitgliedern erlaubte für 48 oder 72 Stunden aus der Welt zu verschwinden.

Ziemlicher Kabelsalat: Wer früher gemeinsam zocken wollte, musste eine lange Leitung haben - am besten mehrereBild: J. Ebbighausen

Nach zwei oder drei Tagen Dauerzock mit wenig Schlaf, wenig Sauerstoff und viel Fastfood fühlte ich mich zwar völlig gerädert, doch habe ich die Zeit in guter Erinnerung. Insbesondere die kleineren Treffen mit etwa zehn Gamern hatten etwas Familiäres. Und wenn wir dann im Morgengrauen zusammenstanden und eine Zigarette rauchten, stellten wir uns vor, wie es wäre, wenn die Szene aus der Nerdecke herauskäme, wenn Fernsehsender die großen Spiele übertragen würden.

Internationalisierung

Mit den ersten Internetflatrates veränderte sich noch einmal alles. Statt dem unmittelbaren Freundeskreis stand einem plötzlich die ganze Welt offen. Wir gründeten Clans, gestalteten Webseiten und trainierten zusammen, um uns auf Turniere vorzubereiten. Eine meiner Studenten-WGs bestand aus drei Gamern. Ich erinnere mich an Spiele gegen Clans aus Schweden und Frankreich. Man hatte den Eindruck Teil einer verschworenen internationalen Gemeinschaft zu sein. Erste internationale Szenestars wie der Kanadier Grrrr (bürgerlich Guillaume Patry) oder der Südkoreaner BoxeR (Lim Yo Hwan) trugen viel zur Popularisierung des eSports bei. BoxeRs Fanclub hatte damals weltweit 600.000 Mitglieder, seine Spiele wurden in kurzen Videos - damals gab es noch kein YouTube - veröffentlicht.

Online-Gamer in südkoreanischem Internet-CaféBild: picture-alliance/dpa/Ahn Young-joon

Das Mekka des eSports war und ist bis heute Südkorea. Die Regierung hatte nach der Asienkrise von 1997 den Ausbau von Breitbandinternet vorangetrieben, außerdem waren im ganzen Land Internetcafés sehr beliebt. Spieler trafen sich dort, um gemeinsam ihrem Hobby zu frönen. Das südkoreanische Kabelfernsehen berichtete regelmäßig. Zum Beispiel in dem auf eSports spezialisierten Fernsehkanal Ongamenet, den es bis heute gibt. In Starcraft und Starcraft 2 sind die südkoreanischen Spieler bis heute ähnlich dominant wie etwa die Chinesen im Tischtennis.

Abschied und Wiederkehr

Doch mit der Zeit verblasste der Stern von Starcraft und mein Interesse am eSport ließ nach. Ich spielte zwar weiter, aber nicht mehr mit dem Ehrgeiz und dem Zeitinvestment von damals. Wie viele andere, die in ihrer Jugend jede freie Minute im Fußballverein verbracht haben und später vor allem Zuschauer wurden, habe ich mich vom Spieler zum Zuschauer gewandelt. Das kostet weniger Zeit. Manchmal setze ich mich abends vor den PC, öffne eine Flasche Bier und schaue mir zwei drei Spiele Starcraft 2 an.

Unsere jugendlichen Träumereien, dass Online-Gaming einmal die Nerdecke verlässt und einen gewissen Glanz ausstrahlt, haben sich zumindest teilweise erfüllt. Superstars wie MC, Polt, Bomber, sOs, Snute und andere verdienen viel Geld und haben weltweit Fans - auch weibliche. Spielerinnen gibt es bis heute allerdings nur sehr wenige. Die bekannteste und erfolgreichste in Starcraft 2 ist die Kanadierin Scarlett (Sasha Hostyn).

Im August 2016 versammelten sich in Köln, Stockholm, New York und Seoul insgesamt 100.000 Zuschauer in Sportarenen, um ihren Gaming-Helden bei Turnieren zuzusehen. Zeitgleich wurden die Events gestreamed. Millionen Menschen sahen zu. Ich war einer von ihnen.

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