1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie wir auf Überwachung reagieren

Femke Colborne ad
16. Februar 2017

Früher fürchteten die Menschen das alles sehende Auge Gottes, heute den Überwachungsstaat. Gleich drei Ausstellungen rund um das Thema Überwachung eröffnen nun in Berlin. Was teils witzig daherkommt, ist bitterer Ernst.

Deutschland Berliner Ausstellungen - Harsh lessons
Bild: Hito Steyerl, courtesy of the artist and Andrew Kreps Gallery, New York

Fotos von todernst dreinschauenden Männern in 70er-Jahre-Kleidung erwarten die Besucher am Ende der Ausstellung "Watching You, Watching Me: A Photographic Response to Surveillance" im Museum für Fotografie in Berlin.

Nur nicht auffallen...

Doch irgendetwas scheint an ihnen nicht zu stimmen: Ihre übergroßen Kragen, die verspiegelten Sonnenbrillen und die Pelzhüte sind so, wie man sie in den Siebzigerjahren schick fand. Aber der strenge Ausdruck auf ihren Gesichtern scheint nicht zu ihrem Äußeren zu passen. Man hat fast den Eindruck, diese Herren hätten sich verkleidet. Und tatsächlich - so ist es. Die DDR-Geheimpolizei Stasi nutzte diese Bilder, um ihren Agenten plastisch vor Augen zu führen, wie sie sich verkleiden sollten, um nicht aufzufallen. Und jetzt nutzt der deutsche Künstler Simon Menner diese Bilder für eines seiner Projekte.

Die Fotografien sind ein echter Hingucker bei den drei Berliner Ausstellungen, die sich derzeit dem Umgang mit der Überwachung in der Kunst widmen. "Watching You, Watching Me" zeigt Werke von zeitgenössischen Künstlern wie Mari Bastashevski, Josh Begley, Mishka Henner und Tomas van Houtryve. Diese beschreiben die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum sowie die Rolle von Regierungen in Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und die Psychologie des Überwachtwerdens.

Es ist witzig - aber nur, solange man nicht begriffen hat, was dahinter steckt

"Die Ausstellung macht das Unsichtbare sichtbar und fragt nach den Konsequenzen des Überwachungssystems für Freiheit und Bürgerrechte", beschreibt Yukiko Yamagata, eine der Kuratorinnen.

Die Stasi-Fotos sind exemplarisch für die Art und Weise, wie die Ausstellung verschiedene Reaktionen auf Überwachung untersucht, meint Yamagata: "Sie sind recht lustig. Zunächst ist man sich nicht sicher, was man da sieht. Aber sobald man das begriffen hat, wird's ernst."

Fotografie kann Überwachung dokumentieren

Teil der Ausstellung ist auch weiteres Archivmaterial - darunter Fotos und Videoaufnahmen, die Überwachungskameras von Banküberfällen gemacht haben. Es sind aber auch Kunstwerke zu sehen, die unsere Wahrnehmung von Überwachung herausfordern sollen.

"Wir interessieren uns für die Rolle der Fotografie als ein Mittel der Überwachung, aber gleichzeitig auch als ein Mittel, um die negativen Auswirkungen von Überwachung zu dokumentieren", erklärt Yamagata. "Die Überwachung soll allgegenwärtig sein, aber gleichzeitig auch verdeckt und versteckt. Die Herausforderung besteht darin, etwas zu zeigen, das von der Öffentlichkeit nicht bemerkt werden soll. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie Bilder von Überwachungskameras genutzt werden, um geheime Aktivitäten aufzudecken. Aber gleichzeitig dient die Fotografie wiederum dazu, die Überwachung zu erforschen und Widerstand dagegen zu leisten."

Drei Aspekte des Themas Überwachung

Videoaufnahmen eines Banküberfalls in den USA in der Ausstellung "Das Feld hat Augen" Bild: Günter Karl Bose

Zwei weitere Berliner Ausstellungen gehen aktuell ebenfalls dem Thema Überwachung auf den Grund. "Das Feld hat Augen. Bilder des überwachenden Blicks", ebenfalls im Museum für Fotografie, erforscht das Thema aus historischer Perspektive und geht dabei bis ins 16. Jahrhundert zurück. Und direkt um die Ecke, im C/O Berlin, nimmt "Watched! Surveillance Art and Photography" hauptsächlich moderne digitale Überwachungsmethoden in den Fokus.

Das Ausstellungstrio ist das erste gemeinsame Projekt des Museums für Fotografie und des C/O Berlin. "Watching You, Watching Me" und "Watched!" wurden zuvor auch schon in anderen Ländern gezeigt. In Berlin sind jedoch auch neue Werke für ein speziell deutsches Publikum dabei.

Nur die Ausstellung "Das Feld hat Augen" wird zum ersten Mal überhaupt gezeigt. Die Schau zeigt Drucke, Bücher, Fotografien und Geräte, die zur Überwachung genutzt wurden. Die Exponate stammen aus den Sammlungen der staatlichen Berliner Museen, aus Bibliotheken und Archiven sowie aus privaten Sammlungen.

Deutsche sind misstrauisch gegenüber Überwachung

Die Deutsche Bevölkerung ist international bekannt für ihre niedrige Toleranzschwelle gegenüber Überwachung. So sind deutsche Gesetze zum Einsatz von Überwachungskameras viel strikter als in anderen Ländern. Die deutsche Öffentlichkeit hat mit Wut auf das Abhören der Kommunikation deutscher Politiker reagiert. Die deutsche Wirtschaft ist im globalen Vergleich an der Spitze, wenn es um das Bezahlen mit Bargeld geht. Die Deutschen mögen es eben nicht, dass ihre privaten Angelegenheiten über das Internet zurückverfolgt werden können.

Diese Einstellung ist teilweise auch den traumatischen Erinnerungen an die Stasi geschuldet - eine Zeit, die von in Handtaschen versteckten Kameras, winzigen durch Wohnungswände gebohrten Löchern und einem allgemeinen Vertrauensverlust geprägt war. 

Das Misstrauen weicht der Angst vor Terroranschlägen

Berlin nach dem Terroranschlag auf einen WeihnachtsmarktBild: Getty Images/S. Loos

Während der vergangenen fünfzehn Jahre und insbesondere nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im vergangenen Dezember, beginnt sich diese Einstellung zu verändern. Im Dezember genehmigte die Regierungskoalition eine Ausweitung der Videoüberwachung. Anfang des Jahres wurden weitere Sicherheitsmaßnahmen angekündigt, darunter elektronische Fußfesseln für sogenannte Gefährder. Das sind Menschen, von denen die Behörden annehmen, dass sie schwere Straftaten begehen könnten. 

"Deutschland ist bekannt für seine zahlreichen strikten Datenschutzgesetze. Aber wenn Ängste provoziert werden, dann entstehen Spannungen zwischen den Anforderungen des Datenschutzes und der nationalen Sicherheit", erläutert Yamagata. "Seit dem 11. September hat sich die Toleranzschwelle für Überwachung nach oben bewegt."

Auch Ann-Christin Bertrand, Kuratorin am C/O Berlin, ist eine Veränderung der Einstellung zu Überwachung in Deutschland aufgefallen: "Seit dem 11. September sind die Überwachungsmaßnahmen ausgedehnt worden, aber zunächst geschah das vor allem in den USA. Nach den Terroranschlägen in Paris und kürzlich auf dem Berliner Weihnachtsmarkt ist diese Entwicklung auch in Europa angekommen", sagt sie.

"Wir alle sind Teil des Überwachungssystems"

Die Ausstellung im C/O Berlin fokussiert sich allerdings nicht auf die staatliche Überwachung, sondern auf digitale Kontrolle. Die Objekte sind ausschließlich zeitgenössische Werke, die seit 2002 entstanden sind, einige davon erst in diesem Jahr. Unter den dort vertretenen Künstlern sind Paolo Cirio, Hasan Elahi, Hito Steyerl und Ai Weiwei.

"Für uns war wichtig, das Thema Überwachung von diesem hohen, abstrakten Level herunterzubrechen", erklärt Bertrand. "Denn wir alle nehmen am Überwachungssystem teil - mit unseren Smartphones, Google Street View, Instagram und Facebook. Alles, was wir tun, wird ständig beobachtet. Wir alle geben unsere Daten her, weil Apps uns helfen und etwas Positives bewirken. Wir sind uns der Überwachung bewusst, machen aber trotzdem damit weiter".

Die Angst vor einem alles sehenden Gott

Auch, wenn wir Überwachung als ein modernes Phänomen ansehen, geht dieses bis zu den Anfängen der Zivilisation zurück. Das jedenfalls ist die Idee, die die dritte Ausstellung beflügelte: "Das Feld hat Augen. Bilder des überwachenden Blicks."

"Irgendwie gab es dieses Thema doch schon immer", sagt der Kurator von Michalis Valaouris. "Für uns ist es wichtig, das zu verstehen. Unsere Ausstellung versucht, eine neue Perspektive zu eröffnen und zu fragen, was die Vergangenheit uns lehren kann."

Vom Heiligen Auge Gottes zur Stasi

Einige der Bilder stellen das heilige Auge Gottes dar und illustrieren die Idee eines allgegenwärtigen Wesens, dessen Blick man nicht entkommen kann. Das Bild, das der Ausstellung ihren Namen gegeben hat, wird auf das Jahr 1546 datiert. Es zeigt einen Mann, der auf einen finster wirkenden Wald zukriecht. Vom Boden her blinzeln ihm Augen entgegen und an den Bäumen wachsen Ohren. 

Dieses Bild weise auf ein wichtiges und universelles Element von Überwachung hin, nämlich Paranoia, meint Valaouris. "Die Menschen sollen glauben, dass sie beobachtet werden", sagt er. "Die Macht über den Menschen ist von der Religion und dem Auge Gottes auf den Staat und die Polizei übergegangen. Heute gibt es andere Überwachungstechniken und eine andere Art der Paranoia."

Valaouris glaubt auch, dass Paranoia unsere Reaktion auf die Stasi-Bilder erklärt: "Viele Leute lachen, wenn sie diese Bilder sehen. Gelächter ist eine interessante Antwort. Tatsächlich lachen wir vielleicht deshalb, weil wir Angst haben."

Die Ausstellungen "Watching You, Watching Me: A Photographic Response to Surveillance" und "Das Feld hat Augen. Bilder des überwachenden Blicks" eröffnen am 17. Februar im Museum für Fotografie in Berlin. "Watched! Surveillance Art and Photography" im C/O Berlin kann ab dem 18. Februar besucht werden.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen