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Politik

Von Haiti bis Madagaskar: Vergessene Krisen

Helena Kaschel
21. Februar 2019

Rund 132 Millionen Menschen waren 2018 von Krisen und Katastrophen bedroht. Längst nicht jedes Leid machte Schlagzeilen. Die Organisation Care hat untersucht, welche Krisen am wenigsten Beachtung in den Medien fanden.

Philippinen Taifun Yutu
Hurrikan Florence beherrschte im Herbst die Schlagzeilen - aber wer erinnert sich noch an den Taifun Yutu im Westpazifik?Bild: Getty Images/N. Celis

Überschwemmungen, Dürre, Hunger, Gewalt, Vertreibung: Auch im vergangenen Jahr waren wieder unzählige Länder Schauplatz von Naturkatastrophen oder menschengemachten Krisen. Während etwa der Bürgerkrieg im Jemen, die Versorgungskrise in Venezuela und die Waldbrände in Kalifornien immer wieder die internationalen Schlagzeilen beherrschten, spielten sich andere Katastrophen ähnlichen oder noch größeren Ausmaßes abseits der öffentlichen Wahrnehmung ab.

Grund dafür seien unter anderem ein erschwerter Zugang für Medien zu bestimmten Krisengebieten sowie schwindende Budgets von Redaktionen, die "eine echte Herausforderung für die Auslandsberichterstattung" darstellten, heißt es in der Studie "Suffering in Silence" der Nichtregierungsorganisation Care International. Die Untersuchung stellt die humanitären Krisen vor, die 2018 "die wenigste mediale Berichterstattung erhielten".

Im Jemen stirbt alle zehn Minuten ein Kind an vermeidbaren Krankheiten, Hunderttausende leiden an MangelernährungBild: Reuters/K. Abdullah

Dafür hat die Organisation in Zusammenarbeit mit dem Medienbeobachtungsdienst Meltwater mehr als eine Million Online-Artikel in englischer, deutscher und französischer Sprache ausgewertet, die zwischen Anfang Januar und Ende November veröffentlicht wurden. Konkret wurde untersucht, wie häufig Krisen, von denen mindestens eine Million Menschen betroffen waren, in Online-Medien erwähnt wurden. Fernseh- und Radiobeiträge oder für Social-Media-Plattformen produzierte Inhalte wurden nicht berücksichtigt. Trotz der Begrenzung hinsichtlich der untersuchten Sprachen und Ausspielwege zeigten die Ergebnisse "eine klare Tendenz auf", so die Autoren der Studie.

Wir stellen die fünf Krisen vor, über die 2018 laut Care am wenigsten berichtet wurde.

Haiti

Brennende Autos, Straßenbarrikaden, Todesfälle: Die gewaltsamen Proteste gegen die Regierung haben Haiti zuletzt wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Deutlich weniger Beachtung fand dagegen 2018 eine Ernährungskrise in dem Land, die unter anderem auf eine verspätete Ernte im Zuge einer Dürre Anfang des Jahres zurückzuführen ist.

Auch 2018 kam es in Haiti immer wieder zu gewaltsamen Protesten, unter anderem gegen steigende BenzinpreiseBild: picture-alliance/AP Photo/D. Nalio Chery

Im Welt-Hungerindex 2018 nahm der Karibikstaat, der immer wieder von Naturkatastrophen heimgesucht wird und massiv von ausländischen Hilfszahlungen abhängig ist, Platz 113 von 119 Ländern ein. Das politisch instabile Land verzeichne das "höchste Hungerniveau in der westlichen Hemisphäre", heißt es in dem von der Welthungerhilfe und Concern Worldwide veröffentlichten Bericht. Die Ernährungslage sei "sehr ernst". Der Initiative Integrated Food Security Phase Classification (IPC) zufolge fielen zwischen Oktober 2018 und Februar 2019 mehr als 386.000 Haitianer in die Ernährungskategorie "Notfall". Nach Angaben des Welternährungsprogramms ist aktuell die Hälfte der haitianischen Bevölkerung unterernährt.

In den Medien wurde die dramatische Entwicklung laut Care so gut wie nicht abgebildet. "Während das schwere Erdbeben auf Haiti 2010 auf der ganzen Welt Schlagzeilen machte, fand die Nahrungsmittelkrise 2018 in dem Karibikstaat in internationalen Nachrichten kaum statt", ist in der Studie zu lesen. Nur 503 Online-Artikel hätten das Thema aufgegriffen.

Äthiopien

Auch der Vielvölkerstaat am Horn von Afrika war 2018 von einer Ernährungskrise betroffen. Trotz eines rasanten Wirtschaftswachstums leben nach wie vor mehr als 80 Prozent der Bevölkerung in Äthiopien von landwirtschaftlicher Arbeit - eine Einkommensquelle, die immer wieder durch Dürren gefährdet wird.

Im vergangenen Jahr fiel nach zwei Dürrejahren in Folge zwar wieder Regen, in vielen Regionen allerdings nicht genug. In anderen Teilen des Landes wurden Ernten wiederum durch Überschwemmungen zerstört. Nach Angaben der Regierung waren in der Folge rund acht Millionen Menschen dringend auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. 3,5 Millionen Menschen waren laut den Vereinten Nationen akut "mäßig unterernährt", 350.000 "schwer".

In der Liste der 2018 am wenigsten in den Medien beachteten Krisen ist Äthiopien gleich zweimal vertreten. Laut der Care-Studie befassten sich nur 986 Online-Artikel mit dem Hunger in dem Land. Auch über die Vertreibung hunderttausender Menschen wurde demnach kaum berichtet. Zwischen April und Juli mussten nach UN-Angaben rund eine Million Menschen wegen ethnisch motivierter Gewalt in den Regionen Gedeo und West Guji ihre Heimat verlassen. Damit flohen in Äthiopien 2018 mehr Menschen innerhalb der Landesgrenzen vor Konflikten als in jedem anderen Land der Welt.

Madagaskar

Gleich mehrere zerstörerische Wettererscheinungen sorgten im vergangenen Jahr in dem südostafrikanischen Inselstaat für Chaos. Madagaskar gehört zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern. Das Klimaphänomen El Niño ließ 2018 die Reis-, Mais- und Maniokfelder der Insel vertrocknen. Die Tropenstürme Ava und Eliakim zwangen mehr als 70.000 Menschen zur Flucht. Weil durch die schlechten Wetterbedingungen nur wenig Getreide produziert werden konnte, stieg die Zahl der von Hunger bedrohten Menschen im Süden des Landes nach UN-Angaben auf 1,3 Millionen.

Desinfizierung öffentlicher Wege in Antananarivo im September 2017 nach dem Tod eines PestkrankenBild: picture-alliance/dpa/L. Bezain

Zudem erschütterten erneut Masern- und Pestausbrüche das Land vor der Ostküste Mosambiks, nachdem bereits 2017 eine Lungen- und Beulenpest-Epidemie mehr als 200 Todesopfer gefordert hatte. In der Hauptstadt Antananarivo wurden laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis Ende Dezember 2018 6500 Masernfälle gezählt. Grund für den Ausbruch sind vor allem die niedrigen Impfraten: Nur 58 Prozent der Bevölkerung sind gegen die Krankheit geimpft. Berichtet wurde über die Krisen in Madagaskar laut der Care-Untersuchung eher selten.

Demokratische Republik Kongo

Auch die Entwicklungen in der Demokratischen Republik Kongo fanden demnach 2018 in der Online-Berichterstattung wenig Beachtung. Dabei herrscht in dem zentralafrikanischen Land laut Care ein "Teufelskreis von Gewalt, Krankheit und Unterernährung". Die Bilanz des vergangenen Jahres: 12,8 Millionen von Hunger bedrohte Menschen, 4,3 Millionen unterernährte Kinder, 500 neue Ebola-Fälle, von denen laut WHO 280 zum Tod führten, und fast 765.000 Menschen, die vor der Gewalt sich bekämpfender Milizen vor allem in den östlichen Provinzen in Nachbarländer geflohen sind.

Von dem anhaltenden Konflikt sind auch überdurchschnittlich viele Minderjährige betroffen: Laut einer aktuellen Studie der Kinderrechtsorganisation Save the Children und des Instituts für Friedensforschung in Oslo (PRIO) gehört der Kongo zu den Ländern, in denen Kinder am stärksten unter bewaffneten Konflikten leiden.

Büro einer Hilfsorganisation in der Provinz Nord-Kivu, die sich unter anderem gegen geschlechtsspezifische Gewalt einsetztBild: DW/J. Gerding

Auch die Anwendung sexueller Gewalt gegen Frauen als Kriegswaffe reißt im Kongo nicht ab. Insgesamt gehen die Vereinten Nationen von mehr als 200.000 Vergewaltigungsopfern in der ehemaligen belgischen Kolonie aus. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) behandelte von Mai 2017 bis September vergangenen Jahres 2600 Opfer sexueller Gewalt in der Stadt Kananga. 80 Prozent von ihnen hätten angegeben, von bewaffneten Männern vergewaltigt worden zu sein. "Diese Zahlen sind ein Indiz für das hohe Gewaltniveau auch in diesem Jahr", sagte Karel Janssens, MSF-Landeskoordinator für den Kongo.

Im Zuge der Verleihung des Friedensnobelpreises an den Gynäkologen Denis Mukwege wurde die sexuelle Gewalt im Kongo wieder stärker in den Medien thematisiert. Insgesamt gehören die Probleme in dem Land laut Care aber zu den am wenigsten beachteten Krisen des Jahres.

Philippinen

Am 14. September 2018 schaute die Welt gebannt auf die Ostküste der USA, wo das Zentrum des Hurrikans Florence in North Carolina auf den Kontinent traf. Zeitgleich bewegte sich in fast 14.000 Kilometern Entfernung ein noch viel stärkerer Sturm auf die philippinische Insel Luzon zu. Mit 200 Stundenkilometern traf der stärkste tropische Wirbelsturm des Jahres am frühen Morgen des 15. September auf Land. Obwohl sich die Zerstörung auf mehr als 3,8 Millionen Menschen auswirkte und bei der Katastrophe 82 Menschen getötet und 130 verletzt wurden, ist laut Care über Mangkhut verhältnismäßig wenig bekannt.

Bergungsarbeiten in der philippinischen Provinz Benguet nach einem durch den Taifun Mangkhut ausgelösten ErdrutschBild: picture-alliance/dpa/AP/A. Favila

Nur einen Monat später verwüstete der Taifun Yutu zahlreiche von Mangkhut zerstörte Gemeinden, die bereits mit dem Wiederaufbau begonnen hatten.

Insgesamt gehören die Philippinen zu den am stärksten von Naturkatastrophen gefährdeten Ländern Asiens. Rund 20 tropische Stürme treffen jedes Jahr auf den Inselstaat im Westpazifik. Laut der Weltbank fordern die Stürme durchschnittlich 1000 Menschenleben jährlich. Außerdem sei das Land in hohem Maße geologischen Gefahren wie Erdbeben und Vulkanausbrüchen ausgesetzt, heißt es in einer Pressemitteilung. Dennoch gehören Mangkhut und Yutu laut Care zu den unsichtbaren Krisen des Jahres 2018.

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