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Von Rom nach Rio

Helle Jeppesen15. Juni 2012

Wachstum, Wirtschaft, Wohlstand – lange Zeit Schlüsselwörter für Entwicklung. Doch die Folgen für Mensch und Umwelt sind heute unübersehbar: Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit, Klimawandel und Ressourcenknappheit.

ARCHIV - Ein Windrad dreht sich vor den Kühltürmen des Kraftwerkes der Vattenfall-Kraftwerke Europe AG im brandenburgischen Jänschwalde (Archivfoto vom 08.12.2006). Ein weltweit beachteter UN-Klimareport, Spitzenthema beim EU- und beim G8-Gipfel, Diskussionspunkt bei den Vereinten Nationen in New York und Friedensnobelpreis - höher kann ein Thema in der Weltpolitik kaum steigen. Der Klimawandel stand in diesem Jahr so weit oben auf der politischen Agenda wie nie zuvor. Foto: Patrick Pleul +++(c) dpa - Bildfunk+++
Bild: picture-alliance/ZB

Seit vier Jahrzehnten warnen Experten vor den Folgen des unbegrenzten Wachstumsdenkens. Die UN rief bereits 1972 zur ersten Umweltkonferenz in Stockholm auf, wo sich die Mitgliedsstaaten zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Umweltschutz - zumindest im Prinzip - bereit erklärten. Die damaligen Ostblockstaaten waren bei der Konferenz nicht dabei. Auf Empfehlung der Stockholmer Konferenz wurde noch im selben Jahr das UN-Umweltprogramm UNEP gegründet. Doch mehr öffentliche Aufmerksamkeit erregte damals der unabhängige, internationale Think Tank "Club of Rome " mit seinem Bericht "Grenzen des Wachstums."

Science Fiction wird zur Realität

Als der Bericht vor 40 Jahren erschien, war er für viele die reinste Science-Fiction und wurde als Schwarzmalerei eingestuft. Damals war der Technologie- und Wachstumsglaube noch ungebrochen; als größtes Risiko für den Planeten galt das nukleare Wettrüsten im Kalten Krieg zwischen Ost und West.

Ölkrise 1973: Ausverkaufte Tankstelle in StuttgartBild: picture-alliance/dpa

Die Fiktion des Club of Rome Berichts wurde jedoch bereits 1973 jäh zur Wirklichkeit, als der Jom-Kippur-Krieg im Nahen Osten die erste Ölkrise auslöste. Die arabischen Ölproduzenten drehten den Ölhahn zu - und gaben damit den westlichen Industrieländern einen ersten Vorgeschmack auf die künftige Ressourcenknappheit. Sechs Jahre später löste die Machtübernahme der Mullahs im Iran die zweite Ölkrise aus. Erneut geriet die Weltwirtschaft ins Taumeln und die Bereitschaft der Weltgemeinschaft ernsthaft über die Grenzen des Wachstums und einen globalen Plan über die Verteilung der Ressourcen nachzudenken, nahm langsam Formen an.

Brundtlandbericht

Vor diesem Hintergrund setzten die Vereinten Nationen 1983 die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung ein. Sie sollte einen Perspektivbericht für eine tragfähigere, umweltschonendere Weltentwicklung erstellen – gewissermaßen ein Zukunftskonzept für das globale Zusammenleben. "Unsere gemeinsame Zukunft“ nannte die Kommission ihren Bericht, der 1987 veröffentlicht wurde. Bekannt wurde er als "Brundtlandbericht", benannt nach der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin und Vorsitzenden der Weltkommission, Gro Harlem Brundtland.

Brundtland (li.) mit UN-Geralsekretär Perez De Cuellar nach der Vorstellung ihres BerichtsBild: AP

“Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ - so lautete der Schlüsselsatz des UN-Berichts, der die Definition für nachhaltige Entwicklung lieferte und seitdem wie kein anderer das Verständnis für die Grenzen des Wachstums gefördert hat. 1992 folgte auf den Brundtlandbericht der erste “Earth Summit“ der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro, auf dem die “Agenda 21“ verabschiedet wurde – der globale Fahrplan für das 21. Jahrhundert.

Neue Partner

Die erste Rio-Konferenz 1992 war ein politisches Bekenntnis zur nachhaltigen Entwicklung und einer gerechteren Verteilung der Ressourcen. Zum ersten Mal bekannten sich die Industrienationen zu ihrer Verantwortung für die nicht nachhaltigen Produktions- und Konsumformen der reichen Länder. Politisch gesehen machte die Rio-Konferenz auch deutlich, dass die globale Zivilgesellschaft eine neue und größere Rolle spielen wollte und musste. An der bis dahin größten internationalen Konferenz der Menschheitsgeschichte nahmen 172 Regierungen teil - und rund 2400 Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen. Parallel zur offiziellen Konferenz kamen außerdem 17.000 Vertreter von Nicht-Regierungs-Organisationen, um sich am internationalen NGO-Forum zu beteiligen. Sie bildeten einen Gegenpol zur offiziellen Politik, die 1992 vor allem durch US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Maggie Thatcher geprägt wurde. Die unerschütterlichen Befürworter der Freien Marktwirtschaft fühlten sich damals durch den Zusammenbruch des ehemaligen Ostblocks bestätigt.

Erdgipfel 1992 in Rio de JaneiroBild: AP

Zehn Jahre später ging es dann bei der Folgekonferenz in Johannesburg 2002 nicht mehr um die Rolle der globalen Zivilgesellschaft. Stattdessen wurde darüber diskutiert, wie man die Wirtschaft für den Wandel hin zur globalen Nachhaltigkeit gewinnen konnte. Ursprünglich sollte der Johannesburg-Gipfel die Ergebnisse prüfen, die die Rio-Beschlüsse bis dahin erreicht hatten. In der Zwischenzeit waren die drei Rio-Konventionen in Kraft getreten, die Konventionen über Artenvielfalt, Klimaschutz und gegen die Wüstenbildung. Doch in Johannesburg lehnte die US-Regierung unter Präsident George W. Bush generell verbindliche Regelungen über nachhaltige Entwicklung ab - und setzte stattdessen auf die Freiwilligkeit privater und öffentlicher Partner. Für viele Nichtregierungs-Organisationen ging der Johannesburg-Gipfel deshalb als “Greenwashing“-Gipfel in die UN-Geschichte ein, als ein Gipfel, auf dem vagen, unverbindlichen Absichtserklärungen ein grüner Anstrich verpasst wurde.

Keine Option, sondern Notwendigkeit

Eine gerechtere Verteilung der weltweiten Ressourcen steht spätestens seit dem ersten “Erdgipfel“ in Rio de Janeiro im Raum. Ein Mensch in Europa verbraucht zehn Mal mehr Ressourcen als ein Mensch in einem Entwicklungsland. Seit 1960 hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt - der Ressourcenverbrauch hat sich jedoch im selben Zeitraum versechsfacht. Immer mehr Menschen fordern immer mehr vom globalen Kuchen und sichern sich ihren Anteil, oft auf Kosten der Natur: Heute stehen weltweit 20.000 bedrohte Tier- und Pflanzenarten auf der Roten Liste der Artenschützer. Experten warnen vor den verheerenden Folgen des Klimawandels und den Folgen sozialer Ungerechtigkeit, die durch die globale Finanzkrise weiter verschärft werden. Im Grunde genommen ist genau das Szenario eingetroffen, dass 1972 im Bericht des “Club of Rome“ als Schwarzmalerei gebrandmarkt wurde.

Kunden mit prall gefülltem Einkaufswagen in den USABild: AP