Fische sind die vielleicht missverstandensten Tiere der Welt. Lange Zeit hielt man sie für gefühllose, einfältige Kreaturen. Aber neue Studien stellen unser Bild von den Unterwasserlebewesen auf den Kopf.
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Es ist eins der bekanntesten Mythen über Fische: das Drei-Sekunden-Gedächtnis. Selbst, wenn das Aquarium klein und eng ist, das macht dem Goldfisch nichts aus. Er schwimmt fröhlich seine Runden - und bis er die erste Runde zurückgelegt hat, hat er schon wieder vergessen, wo er ist. Für dieses kleine Dummerchen ist es jedes Mal wieder ein neues Abenteuer.
Doch dieser Mythos ist falsch. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich Goldfische an bis zu fünf Monate zurück erinnern können. Andere Fischarten wie der Karpfen haben eine noch längere Merkspanne. Sie vermeiden einen bestimmten Angelköder für drei Jahre, nachdem sie einmal auf ihn hereingefallen sind.
Das vermeintlich kurze Gedächtnis ist aber nur eins von vielen Missverständnissen über Fische. Die Unterwasserwesen haben viel mehr drauf, als wir denken. Forscher fangen gerade erst an zu verstehen, wie intelligent und sozial Fische eigentlich sind.
Auch Fische haben Gefühle
Fische wurden lange unterschätzt. Aber es sind hochkomplexe Tiere, die Angst haben, Schmerzen empfinden und gerne Zeit mit Freunden verbringen. Sehen Sie hier, wie sie leben, fühlen und lieben.
Bild: Imago/Imagebroker/N. Probst
Nicht nur hübsch anzusehen
Wissenschaftler finden immer mehr Hinweise darauf, dass Fische viel komplexer sind als wir bisher dachten. Sie trauern um verstorbene Gruppenmitglieder, jagen gemeinsam nach Beute und manche führen ein ziemlich abgefahrenes Sexleben. Hier ist eine kleine Unterwasserreise zu den vielleicht missverstandensten Arten der Tierwelt.
Bild: Fotografie Dos Winkel, www.dos-bertie-winkel.com & www.seafirst.nl
Bodyguards
Fische halten einander die Rückenflosse frei. Kaninchenfische etwa gehen gemeinsam zu Mittag essen: Während der eine sich den Bauch mit Algen von Riffen in den Tiefen des Ozeans vollschlägt, hält der andere Ausschau nach potenziellen Feinden. Dann wechseln sie. Wissenschaftler nennen dies tugendhaftes Verhalten: Sie bringen Opfer für einander, indem nicht beide gleichzeitig fressen.
Bild: gemeinfrei
Angst und Anspannung
Lange Zeit glaubte man, dass Fische keine Angst empfinden. Ihnen fehle der Teil des Gehirns, in dem andere Tiere und wir Menschen diese Gefühle verarbeiten, sagten Wissenschaftler. Doch neue Studien haben gezeigt, dass Fische schmerzempfindlich sind, ängstlich und gestresst sein können.
Bild: picture-alliance/blickwinkel/H. Goethel
Rote Lippen soll man küssen
Diese Lippen laden zum Knutschen ein. Viele Fischarten benutzen ihren Mund dagegen für etwas anderes: für die Fortpflanzung. Das Weibchen trinkt das Sperma, das dann in Sekundenschnelle durch ihren Verdauungstrakt wandert und ihre Eier befruchtet. Das ist eine ziemlich ungewöhnliche Sexpraktik im Tierreich. Der Rotlippen-Fledermausfisch (Foto) pflanzt sich hingegen auf die traditionelle Art fort.
Bild: Imago/Imagebroker/N. Probst
Fisch-WGs
Der weltberühmte Clownfisch ist sehr sozial: Er teilt sich sein Zuhause - die Anemone - mit vielen anderen Artgenossen. Die giftigen Tentakeltiere bieten den kleinen Fischen lebenswichtigen Schutz und sind deswegen als Wohnort heiß begehrt. Es kann recht voll werden in ihrer gemütlichen WG.
Bild: Fotografie Dos Winkel, www.dos-bertie-winkel.com & www.seafirst.nl
Jagdkumpels
Der Zackenbarsch und die Muräne machen gemeinsame Jagd. Der Zackenbarsch holt die Muräne ab, indem er mit seinem Kopf gegen sie schlägt, und führt sie zu einem Loch, in dem sich Beute versteckt hält. Die Muräne dringt in das Versteck, kesselt die Beute ein und frisst sie direkt. Oder die kleinen Fische entkommen dem Loch, landen dafür aber direkt im Maul des Zackenbarsches, der draußen wartet.
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Schlechtes Image
Fische könnten eine PR-Kampagne gut gebrauchen, denn ihr Image als dümmliche, glubschäugige Tiere werden sie einfach nicht los.
Der Tierverhaltensforscher Jonathan Balcombe hat es zu seiner Aufgabe gemacht, den schlechten Ruf der Fische aufzupolieren. "Fische bekommen nicht so viel Mitgefühl von uns wie andere Tiere", sagt Balcombe der DW. Der Grund: "Wir können sie nicht sehen, wir teilen nicht dieselbe Welt. Und sie sind nicht Teil von unserem Leben - außer sie landen auf unserem Teller."
In seinem Buch "What a Fish Knows" (was Fische wissen) widerlegt er Mythen über Fische und enthüllt, was sie alles können, wie sie es tun und warum. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass sich Fische gegenseitig erkennen. Sie können sogar lernen, die Gesichter von Menschen zu identifizieren. Viele Fischarten sind sehr sozial. Sie leben in Gruppen, gehen gemeinsam auf Jagd und halten sich den Rücken frei in gefährlichen Gegenden.
Und ja, auch das: Fische empfinden Schmerzen - sowohl körperlich als auch psychisch. Legt man sie in einen Eimer, der nur mit wenigen Zentimetern Wasser gefüllt ist, zeigt ihr Cortisonspiegel nach einer halben Stunde, dass sie gestresst sind - kaum verwunderlich.
Fische wissen auch, wie sie Schmerzen lindern können. Wissenschaftler haben Schmerzmittel an einer Stelle im Wasser aufgelöst, die die Fische normalerweise meiden. Plötzlich sind viele Fische in diese Ecke geschwommen.
Das sind bahnbrechende Erkenntnisse, sagt Balcombe. Aber sie sind auch umstritten. "Wir wollen uns nicht eingestehen, dass Fische schmerzempfindlich sind. Wenn wir wissen, dass sie leiden, dann müssten wir das Thema Angeln in Frage stellen", argumentiert er. "Es ist unangenehm, aber wir müssen uns mit dem neuen Wissen anfreunden."
Auch Fische sollen nicht leiden
Einige haben bereits erkannt, dass bei Fischen sehr viel mehr los ist als lange gedacht. Einer von ihnen ist Douglas Waley. Er arbeitet bei der Tierschutzorganisation Eurogroup for Animals. Er ist, einfach ausgedrückt, ein Lobbyist für Fische.
Und so einen braucht es dringend, sagt Waley der DW. "Mehrere Billionen Fische werden jedes Jahr gefangen oder in Fischfarmen gezüchtet - doch kaum jemand kümmert sich darum, ob es ihnen gut geht."
In den frühen 2000er Jahren gab es eine Reihe von neuen Tierschutzregelungen auf europäischer Ebene - Fische aber wurden darin nicht beachtet. Damals wusste man noch nicht sehr viel über das innere Leben der Fische. Die Wissenschaft war noch nicht so weit.
Tierschutzgesetze auch für Fische
Vorschriften legen genau fest, wie Kühe, Schweine, Hühner und andere Tiere, die wir essen, zu schlachten sind. Für die Fischindustrie gelten solche Vorschriften nicht. Fische werden oft in großen Netzen gefangen und stundenlang übers Meer gezogen, bevor sie auf dem Schiff abgeladen werden und ersticken.
Jetzt, wo man aber weiß, dass Fische Schmerzen empfinden, gilt diese Methode als grausam, sagen viele Experten. Fischlobbyisten wie Waley setzen sich deswegen für neue internationale Vorschriften ein. "Fische sollten schnell mit einer Angelschnur gefangen und sofort betäubt und getötet werden", sagt er. Für Freizeitangler in Deutschland gilt das bereits.
Es könnte Jahre dauern, bevor internationale Gesetze dementsprechend angepasst werden. Wie schnell es geht, hängt auch davon ab, wie sehr die Bevölkerung es fordert. Bisher ist die öffentliche Unterstützung für so ein Vorhaben gering. Es sei einfach schwer für Menschen, sich mit den schuppigen Tieren zu identifizieren, meint Waley: "Fische haben kein Fell, sie sind nicht kuschelig. Und weil sie unter Wasser leben, können wir sie nur selten und kurz besuchen."
Der Fischlobbyist findet trotzdem, dass Fische unsere Liebe und Aufmerksamkeit verdient haben - so wie alle anderen Tiere auch.
Unterwasserwunder
In den Ozeanen gibt es wirklich die erstaunlichsten Lebewesen, wie diese unbekannten Wesen, die gerade zufällig in der Antarktis entdeckt wurden. Hier eine Auswahl der skurrilsten Wassertiere der Welt.
Bild: British Antarctic Survey/dpa/picture alliance
Unbekanntes Leben
Unter Hunderte Meter dickem Eis haben Forschende in der Antarktis zufällig an extreme Bedingungen angepasste sessile Tiere (ähnlich den Schwämmen) entdeckt - 260 Kilometer Entfernung zum offenen Meer, Dunkelheit und Minusgrade. Zu welcher Art die sesshaft an den Fels gebundenen Wesen gehören, wie und wann sie an die abgelegene Stelle gelangten, wovon sie sich ernähren - das ist bisher unklar.
Bild: British Antarctic Survey/dpa/picture alliance
Wasserdrache
Sieht zwar aus wie ein Seepferdchen - ist aber keins! Der Rote Seedrache ist ein seltener Meeresfisch. Er wurde 2015 das erste Mal beschrieben, aber erst jetzt haben Forscher vor der Küste Westaustraliens auch lebende Exemplare bewundern können. Die Tiere wurden in 50 Metern Tiefe beim Fressen beobachtet.
Bild: picture-alliance/dpa/Scripps Oceanography/UC San Diego
Seepferdchen
Auch die "echten" Seepferdchen sind durchaus ungewöhnlich. Sie sind eine der wenigen Arten, die vertikal schwimmen. Da das aber nicht wirklich gut klappt, sind sie nur schlechte Schwimmer. Die Männchen tragen bei den Seepferdchen die befruchteten Eier aus und gebären die Jungen.
Bild: picture-alliance/ dpa
Zitteraal
Der Zitteraal ist überhaupt kein Aal, sondern ein Neuwelt-Messerfisch. Aber seine Gabe lässt seine Beute erzittern: Er erzeugt Stromstöße mit Spannungen von bis zu 600 Volt. Damit tötet er zum Beispiel kleine Fische. Forscher fanden jetzt, dass er mit seinem Stromorgan gleichzeitig auch Beute ortet - ähnlich wie Fledermäuse mit ihrem Echolot.
Bild: imago/Olaf Wagner
Schützenfisch
Der barschverwandte Schützenfisch lebt in Brackwasser und hat sich einen anderen Trick überlegt, seine Beute zu erlegen: Er spuckt einen Wasserstrahl in die Luft. Getroffene Insekten fallen ins Wasser - und schon hat der Schützenfisch sein Mittagessen. Größere Fischexemplare spucken zwei bis drei Meter weit.
Dieser Fisch versteckt sich im Sand und wartet darauf, dass Beute an seinem Kopf vorbeischwimmt. Dann schießt er blitzschnell nach oben und genießt sein Essen. Himmelsgucker haben große Köpfe mit einem großen, nach oben gerichteten Mund. Und erst diese Riesenaugen! Wer die Art in der Natur findet, sollte vorsichtig sein: Sie ist giftig.
Bild: picture-alliance / OKAPIA KG
Steinfisch
Giftig und gut in der Tarnung? In beidem ist der Steinfisch Experte! Er sieht aus wie ein von Algen überwucherter Stein - aber wer drauftritt, bekommt seine Giftstacheln zu spüren. Das Gift tut unheimlich weh und kann auch Menschen töten.
Bild: gemeinfrei
Kugelfisch
Kugelfische haben so eine Art Gummimagen - sie können ihn blitzschnell mit sehr viel Wasser füllen, wenn sie sich bedroht fühlen. So werden sie größer und kugelrund. Sie produzieren aber auch das Gift Tetrodotoxin; kleinste Mengen töten Menschen schnell. In Japan sind Kugelfische trotzdem eine Delikatesse - wenn sie jemand zubereitet, der weiß, wie das geht.
Bild: picture alliance/Arco Images
Anglerfisch
Ein Anglerfisch lockt Beute mit einer Art Angel an: einem fleischigen Auswuchs am Kopf, der sich Illicium nennt. Der leuchtet sogar, um Beute neugierig zu machen. Die Opfer nähern sich an und - zack - landen sie im Riesenmaul des Raubfischs. Anglerfische leben fast überall auf der Welt - sogar in der Tiefsee.
Bild: Flickr/Stephen Childs
Viperfisch
Wer verrückt aussehende Fische sucht, ist in der Tiefsee genau richtig! Hoher Druck, kaum Licht und nur wenig zu Fressen - Tiere müssen sich gut anpassen, um hier zu leben. So wie der bis zu 35 Zentimeter lange Viperfisch. Wenn in der Tiefsee doch einmal Beute vorbeikommt, will er sichergehen, sie auch zu erwischen - daher hat er einen so großen Mund und so viele scharfe Zähne.
Bild: picture-alliance/dpa
Scholle
Ja, Plattfische sind platt - keine Frage. Schollen sind zudem extrem gut getarnt und verbuddeln sich im Sediment. Während sich eine kleine Scholle entwickelt, wandert ein Auge um den Kopf herum auf die andere Seite, damit beide Augen auf einer Seite des Fischs liegen.
Bild: picture-alliance/dpa/H.Bäsemann
Schlammspringer
Schlammspringer konnten sich offensichtlich nicht entscheiden, ob sie Wasser oder Land bevorzugen - und haben sich für beides gleichzeitig entschieden. Sie leben auf Mangrovenwurzeln oder - wie der Name schon sagt - im Schlamm. Ihre Brustflossen sind ungewöhnlich kräftig, sodass sie sich damit übers Land bewegen können. Sie atmen durch die Haut wie Amphibien. Aber sie sind ganz klar Fische.
Bild: picture-alliance/dpa/MAXPPP
Hammerhai
Wer würde diese Kopfform nicht skurril nennen? Forscher glauben, dass der flache, zur Seite auseinandergezogene Kopf mit den zwei Augen am Ende den Hammerhaien eine bessere Umsicht verschafft. So sehen sie mehr.