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Vor 40 Jahren: Urteile im Majdanek-Prozess

30. Juni 2021

Es war einer der größten deutschen NS-Prozesse. Am Ende fällte das Landgericht Düsseldorf umstrittene Urteile gegen frühere SS-Wachen und Aufseherinnen des Konzentrationslagers Majdanek.

Polen | NS-Vernichtungslager Majdanek
Bild: picture-alliance/akg-images

474 Tage lang wurde vor dem Landgericht Düsseldorf verhandelt, rund 350 Zeugen aus dem In- und Ausland angehört: Das Gerichtsverfahren um die NS-Verbrechen im Konzentrationslager Majdanek war eines der aufwendigsten und aufsehenerregendsten Deutschlands.

Eine Verhandlung, die emotional aufwühlte. "Das war der schwerste Prozess meiner Karriere. Am schlimmsten waren die Grausamkeiten, die wir uns anhören mussten. Von Opfern und von Tätern. Das war eine enorme Belastung", so erinnert sich der Pflichtverteidiger Lothar Lindenau später in einem Zeitungsbericht.

Nur eine lebenslängliche Freiheitsstrafe

Das Gerichtsverfahren begann am 26. November 1975. Ein breites öffentliches Interesse und Demonstrationen begleiteten die Verhandlungen. Nach fast sechs Jahren endete der Prozess am 30. Juni 1981 mit einer zehneinhalbstündigen Urteilsverkündung.

Nur acht der 15 Angeklagten wurden verurteilt: Eine ehemalige KZ-Aufseherin bekam lebenslänglich wegen gemeinschaftlichen Mordes. Eine weitere frühere Aufseherin sowie sechs SS-Wachen wurden wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord mit Gefängnis zwischen drei bis zwölf Jahren bestraft.

Dicht gedrängt stehen Pressefotografen vor der Anklagebank, wo sich Ex-Lagerführer Hermann Hackmann (2.v.l.) mit seinem Anwalt unterhält: Hackmann wird mit 10 Jahren Haft bestraftBild: Hartmut Reeh/dpa/picture-alliance

Die Urteile standen zum Teil unter heftiger Kritik. Gemessen an den schweren Tatvorwürfen erschien das Strafmaß vielen Beobachtern aus dem In- und Ausland als empörend gering. Schließlich hatte die Staatsanwaltschaft den Angeklagten unter anderem die Beteiligung an organisierten Massentötungen zur Last gelegt.

Wie etwa an der sogenannten 'Kinderaktion' von Mai bis September 1943, wo Kinder vor den Augen der Mütter verladen und in die Gaskammer geschickt wurden. Oder wegen der sogenannten 'Aktion Erntefest' Anfang November 1943, bei der an einem Tag rund 18.000 Jüdinnen und Juden bei Massenerschießungen ermordet wurden.

Nach jüngsten Schätzungen kamen rund 80.000 Menschen aus verschiedenen Teilen Europas in Majdanek ums Leben. Internierte Juden, Roma und Sinti, Homosexuelle, Behinderte, Oppositionelle, sowjetische Kriegsgefangene – sie wurden fast alle vergast, erschossen, totgeschlagen, verbrannt. Oder sie gingen an Erschöpfung und Krankheiten zu Grunde. Im Juli 1944 befreiten sowjetische Truppen das NS-Konzentrationslager nahe Lublin. Hitler-Deutschland hatte die polnische Stadt wie den Rest des Landes während des Zweiten Weltkriegs besetzt.

Den Opfern eine Stimme geben

215 KZ-Überlebende schilderten in dem Düsseldorfer Mammutprozess eindrücklich die erlebten Grausamkeiten. Sie erzählten ihre Geschichte, gaben den Toten eine Stimme. "Unsere Aufgabe im Lager war es, geschlagen, getreten und gedemütigt zu werden, wir durften arbeiten und hungern. Was war Montag, Sonntag, Juli oder August? Wir haben doch gelebt wie die Tiere in den Lagern", erzählte eine Zeugin vor Gericht, festgehalten in einer Dokumentation der Erinnerungsstätte "Memorium Nürnberger Prozesse".

Anfang November 1943 waren bei der 'Aktion Erntefest' 43.000 Juden aus drei Konzentrationslagern von der SS erschossen worden - die Gräben, in denen die Opfer für die Massenerschießungen getrieben wurden, hatten sie vorher selbst ausheben müssenBild: picture-alliance/Zuma Press/Keystone Pictures USA

"In der Gesellschaft hat der medial sehr präsente Prozess das Bewusstsein von den deutschen Verbrechen, vor allem im besetzten Osteuropa, nochmal vertieft. Er führte vor Augen, dass es jenseits von Auschwitz, was ja das bekannteste Vernichtungslager war, noch andere Lager gegeben hat, in denen Menschen aus vielerlei Ländern ermordet und gequält wurden", sagt Markus Roth vom Fritz-Bauer- Institut zur Geschichte und Wirkung des Holocausts im DW-Gespräch.  

Wie in anderen Verfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen war es schwierig, die Täter mit den Mitteln des damaligen deutschen Strafrechts zu überführen. Für das Gerichtsverfahren hatten deshalb die Aussagen der Überlebenden zentrale Bedeutung. "Weil es nach damaliger Rechtsprechung immer darum ging, dass mit einzelnen Beschuldigten immer konkrete Taten verbunden werden müssen, um eine Verurteilung überhaupt ermöglichen zu können", sagt Markus Roth.
Wie der Historiker weiter erklärt, waren die Aussagen auch insofern wichtig, "weil die schriftliche Überlieferung lückenhaft war, weil die SS vieles vernichtet hat. Und einzelne Taten natürlich nicht dokumentiert waren, auch gar nicht dokumentiert werden sollten", so Roth.

Proteste vor dem Landgericht Düsseldorf gegen die Freisprüche im Majdanek-ProzessBild: Klaus Rose/picture alliance

Hinzu kam die schleppende systematische Aufklärung der NS-Verbrechen deutscher Behörden. Dabei fanden die beiden ersten Verfahren zu den NS-Verbrechen in Majdanek bereits 1944 und 1948 statt - allerdings im polnischen Lublin. Erst rund 30 Jahre später wurden die Taten vor einem deutschen Gericht juristisch aufgearbeitet. Der große zeitliche Abstand zu den Taten erschwerte die Beweiserhebung.

Im Konzentrationslager Majdanek mussten die Häftlinge eng zusammengepfercht auf Holzpritschen liegenBild: picture-alliance/C.Arce

Man müsse bedenken, dass das gesellschaftliche Interesse nach dem Krieg  nicht sonderlich ausgeprägt gewesen sei, "die Verbrechen der Nationalsozialisten - also in gewissem Grade die eigenen Verbrechen - aufzuklären", erklärt Roth. Denn die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sei in weiten Teilen die gleiche gewesen, "die noch vor 1945 das NS-Regime getragen hat. Das gilt auch für die Justiz und die Polizei als genau diejenigen Organe, die solche Verbrechenskomplexe hätten ermitteln müssen", so der Mitarbeiter vom Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main.

Die Häftlingsbarracken im ehemaligen KZ Lublin-MajdanekBild: DW/G. Szymanowski

Nach einer kurzen Übergangsphase in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als die Alliierten die Aufklärung angetrieben hätten, seien die Ermittlungen in den Fünfzigerjahren fast ganz zum Erliegen gekommen. "Erst gegen Ende der 50er Jahre, Anfang der 60er Jahre, unter anderem mit dem Auschwitz-Prozess in Frankfurt 1963 bis 65, kam eine breite, systematische Ermittlung der Verbrechen wieder in Gang", sagt Roth.

 Frauen als NS-Verbrecherinnen

Ebenso rückte der Majdanek-Prozess die Tatsache ins Blickfeld, dass Frauen als Täterinnen im Holocaust aktiv waren. Eine der Hauptangeklagten war die Österreicherin Hermine Braunsteiner-Ryan. Eine besonders brutale und gefürchtete Aufseherin. Sie wurde 'Schindermähre' oder 'Stute von Majdanek' genannt, weil sie mit ihren eisenbeschlagenen Stiefeln Häftlinge trat und mit der Peitsche auf sie einschlug. Braunsteiner-Ryan zeigte vor Gericht wie die anderen Beschuldigten kaum eine Regung, keine Reue. Sie bezeichnete sich als "kleines Rad im Getriebe".

Die ehemalige KZ-Aufseherin Hermine Braunsteiner-Ryan berät sich mit ihren AnwältenBild: picture-alliance / dpa

Das Gericht verurteilte Braunsteiner-Ryan zu zweimal lebenslänglicher Haft: wegen Selektion mit Mord an 80 Menschen, Beihilfe zum Mord an 102 Menschen ('Kinderaktion') und Selektion mit gemeinschaftlichem Mord an 1000 Menschen. Nachdem sie 1996 wegen ihres schlechten Gesundheitszustands begnadigt wurde, verstarb sie 1999 als Achtzigjährige in Bochum.

Automatische Verantwortung für KZ-Verbrechen

Trotz seiner Mängel setzte der Majdanek-Prozess und ähnliche Verfahren vieles in Bewegung. Die deutsche Gesellschaft schaute selbstkritischer auf ihre Vergangenheit und schärfte ihre juristischen Waffen.

"Die großen Auschwitz-Prozesse und der Majdanek-Prozess waren natürlich Verfahren, die sehr stark in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Es war allerdings so, dass konkrete Taten angeklagt waren. 30 Jahre später, mit dem Urteil über den ehemaligen Wachmann des KZ Sobibor, John Demjanjuk, das 2011 ergangen ist, haben wir angefangen, einen neuen Weg zu beschreiten - jenseits der konkret nachzuweisenden Tat hin zur Mitwirkung als Gehilfe einer systematischen mörderischen Massentötung", sagt der Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, Thomas Will, im DW-Gespräch.

Der frühere KZ-Wachmann John Demjanjuk wird nach der Urteilsverkündung am 12.05.2011 aus dem Landgericht in München gebrachtBild: picture alliance/dpa

Das Personal von Vernichtungs- und Konzentrationslagern kann damit automatisch zur Verantwortung für die Verbrechen in dieser Zeit gezogen werden. "Alleine schon durch das Zur-Verfügung-Stehen und das Aufrechterhalten der tödlichen Umstände in den Lagern durch Bewachung der Häftlinge ist dieses Massenmorden möglich gewesen", erklärt Oberstaatsanwalt Will.

In Folge dessen wurden weitere Nazis angeklagt. Dazu gehörten Oskar Gröning im Jahr 2015 und im Juli 2020, Bruno D. Dessen Gerichtsprozess wurde in Hamburg vor der Jugendstrafkammer verhandelt, weil er seine Zeit als Wachmann im Konzentrationslager Stutthof als 17-Jähriger angetreten hatte. 

Neben allen Defiziten bei der Verfolgung von NS-Verbrechen zeige der Stand heute das gesellschaftliche Bemühen, "diese ungeheuren Taten strafrechtlich zu bewältigen, auch bis zu hin zur Beihilfe durch allgemeine Dienstausübung", resümiert Will. Diese Rechtsprechung der letzten Jahre sei unbedingt noch erforderlich gewesen. "Das hat die Justiz jetzt bewältigt, wenn natürlich auch spät."

Reporter - Holocaust: Bilder gegen das Vergessen

12:35

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