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Vor 75 Jahren: Deutschlands erste Bundestagswahl

13. August 2024

Vier Jahre nach Diktatur und Krieg durften die Deutschen 1949 wieder ein demokratisches Parlament wählen, allerdings nur im Westen. Es war auch eine Bewährungsprobe für den jungen Staat Bundesrepublik Deutschland.

Schwarzweißbild: Mann wirft seinen Stimmzettel in die Wahlurne
14. August 1949: Dieses Wahllokal befand sich im Hauptbahnhof von Frankfurt am MainBild: dpa/picture alliance

Deutschland liegt 1949 in Trümmern. Nationalsozialismus und Krieg sind erst vier Jahre vorbei, die letzten freien Wahlen liegen 17 Jahre zurück, kurz bevor Adolf Hitler die Demokratie beseitigte. 

Nur wenige Monate nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland war es wieder soweit: Am 14. August 1949 waren die Deutschen aufgerufen, in einer freien, demokratischen Wahl ein Parlament zu wählen.

"Es war nicht nur die erste Bundestagswahl, sondern es war auch die erste freie Wahl seit dem Herbst 1932 in der krisenhaften Endphase der Weimarer Republik", sagt der Historiker Benedikt Wintgens der DW.

"Der Zivilisationsbruch und der Zweite Weltkrieg mit all den Folgen" lagen dazwischen. "Insofern war es ein Neuanfang im Wählen, in der Demokratie, auch im Ankommen in einem staatlichen Rahmen, den es so nicht gab."

Das stark beschädigte Reichstagsgebäude in Berlin 1945: Bonn als Parlamentssitz war als Provisorium gedacht. Es blieb bis zum Jahr 2000Bild: Usis-Dite/Leemage/picture alliance

Allerdings dürfen nicht alle Deutschen wählen. Das Land ist nach dem Krieg eingeteilt in Besatzungszonen der vier Siegermächte. Nur die drei westlichen Siegermächte USA, Großbritannien und Frankreich lassen die Wahl zu, während die Sowjetunion in ihrer Besatzungszone im Osten ein kommunistisches System ohne freie Wahlen installiert.

Große Auswahl an Parteien

Die rund 31 Millionen Wahlberechtigten haben eine breite Auswahl an Parteien. Wintgens weist darauf hin, "dass 1949 die Parteien noch eine Lizenz durch die alliierten Besatzungsmächte brauchten".

Neben konservativen Christdemokraten (CDU/CSU) und arbeitnehmernahen Sozialdemokraten (SPD) sind darunter beispielsweise die liberale Freie Demokratische Partei FDP, die Kommunistische Partei, die nur in Bayern wählbare Bayernpartei, die nationalkonservative Deutsche Partei und die katholisch geprägte Zentrumspartei. Einige der damaligen Parteien sind längst wieder verschwunden.

Zu den Besonderheiten des Wahlsystems gehört eine Fünfprozentklausel. Sie besagt, dass nur Parteien, die mindestens fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, in den Bundestag einziehen können.

Ein Seifenhersteller machte sich einen Spaß daraus, neben den Parteiplakaten für seine Seife zu werbenBild: dpa/picture alliance

Als Tagungsort für das Parlament ist Bonn vorgesehen, damals als Übergangslösung gedacht. Das Provisorium hielt bis nach der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990. Im Jahr 2000 zog das Parlament wieder nach Berlin.

Wahlaufruf von Adenauer und Schumacher

Aber würden die Deutschen in den Westzonen überhaupt ihr wiedergewonnenes Wahlrecht nutzen und so dem jungen Staat Bundesrepublik Legitimität verliehen? Da haben offenbar die Spitzenkandidaten der aussichtsreichsten Parteien, Kurt Schumacher von der SPD und Konrad Adenauer von der CDU, ihre Zweifel. Beide rufen die Menschen eindringlich zum Wählen auf.

"Am 14. August darf keiner zuhause bleiben. Alle müssen zur Wahlurne gehen", so Adenauer. Und Schumacher sagt zur Bedeutung der Wahl: "Die Bundesrepublik im deutschen Westen soll geeinigt sein, das Fundament der deutschen Einheit zu bilden, es soll den Deutschen die Möglichkeit geben, gleichwertiger Bestandteil in einem neugeordneten Europa zu werden."

Scharfe Angriffe im Wahlkampf

Der Wahlkampf wird mit harten Bandagen geführt. Schumacher war gezeichnet von zehn Jahren Haft im Konzentrationslager. Er hatte politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet. Er nannte Adenauer einmal "Lügenauer". Die CDU sei eine Interessensvertretung des "Mammons" und der "Kriegsgewinnler".

Der damals 73jährige Adenauer, früher Oberbürgermeister von Köln, nannte Schumacher einen "Rattenfänger". Er griff dessen kirchenkritische Tiraden auf und rückte ihn in die Nähe der Kommunisten.

SPD-Kanzlerkandidat Kurt Schumacher war kriegsversehrt aus dem Ersten Weltkrieg und hatte im Nationalsozialismus fast zehn Jahre im Konzentrationslager verbrachtBild: dpa/picture alliance

Noch herrscht überall im Land die nackte Not. Überall ist Wohnraum knapp. Gebäude sind durch den Krieg zerstört. Millionen deutscher Flüchtlinge, die aus den verlorenen Ostgebieten in die Bundesrepublik strömten, suchen Unterkunft. 

Die Preise sind hoch, ebenso die Arbeitslosigkeit. Wirtschaftspolitisch steht die CDU zum Konzept der sozialen Marktwirtschaft, in dem der freie Markt durch einen Sozialstaat unterstützt wird. Die SPD setzt dagegen auf eine Verstaatlichung von Schlüsselindustrien und auf stärkere staatliche Planung.

Auch die Frage einer Wiedervereinigung ist ein wichtiges Wahlkampfthema. Schumacher gibt sich hier betont national und fordert vehement die deutsche Einheit. Adenauer ist die Westintegration der Bundesrepublik wichtiger.

Stark zersplitterter Bundestag

Am Tag nach der Wahl ist der Sprecher der populären Wochenschau, eines Kino-Nachrichtenformats, begeistert: "Westdeutschland wählte seinen ersten Bundestag. Von der Meeresküste bis zum kleinen Gebirgsdorf folgten die Angehörigen aller Klassen und Schichten den Aufrufen zur Wahl."

78,5 Prozent der Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben. Die hohe Wahlbeteiligung wird als breite Zustimmung der Bevölkerung zur neuen politischen Ordnung gewertet.

Elf Parteien ziehen in den Bundestag ein. Stärkste Fraktion werden die Unionsparteien CDU und CSU mit 31 Prozent der Stimmen und 139 von insgesamt 402 Bundestagsmandaten.

Die SPD bekommt 29,2 Prozent der Stimmen und damit 131 Sitze. 52 Abgeordnete stellt die FDP als drittstärkste Kraft, jeweils 17 die konservative Deutsche Partei sowie die Bayernpartei. Die Kommunistische Partei zieht mit 15 Abgeordneten in den Bundestag ein. Heute sprechen viele von einem stark aufgesplitterten Bundestag, doch damals war das Parlament weit vielfältiger.

Noch längst kein souveräner Staat

Der erste Bundestag konstituiert sich am 7. September 1949. Nach zähen Koalitionsverhandlungen bildet die Union eine Koalition mit der FDP und der Deutschen Partei. Konrad Adenauer wird am 15. September mit einer Stimme Vorsprung – seiner eigenen - zum Bundeskanzler gewählt.

Konrad Adenauer (links) bei seiner Vereidigung zum Kanzler: "Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe."Bild: dpa/picture alliance

Als Preis für die Koalition mit der FDP muss die Union für Theodor Heuss von den Liberalen als Bundespräsidenten stimmen. Heuss wird bereits drei Tage vor Adenauer, am 12. September, in sein Amt gewählt.

Der neue Staat hat damit entscheidende Hürden genommen. Aber wie begrenzt sein Spielraum noch ist, sieht man an Adenauers erster Amtshandlung als Kanzler: Das ist sein Besuch bei den Hohen Kommissaren, den Vertretern der westlichen Siegermächte, die die neue Regierung beaufsichtigen. Trotz Staatsgründung bleiben wichtige Bereiche wie Außenpolitik und Wirtschaft unter ihrer Aufsicht.

Demokratische Bewährungsprobe bestanden

Aber die erste innere Bewährungsprobe ist bestanden. Die Lehren für heute? Der Historiker Benedikt Wintgens verweist auf heutige Ängste vor politischem Extremismus und einem Parteiensystem im Umbruch.

Die deutschen Bundeskanzler seit 1949 (von links nach rechts): Konrad Adenauer (CDU), Ludwig Erhard (CDU), Kurt Georg Kiesinger (CDU), Willy Brandt (SPD), Helmut Schmidt (SPD), Helmut Kohl (CDU), Gerhard Schröder (SPD), Angela Merkel (CDU). Der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fehlt noch in der GalerieBild: AP Photo/picture alliance

"Wenn man auf 1949 schaut, sieht man, wie sich auch damals alles sortieren musste und sich neu sortiert hat. Und es wurde durch politische Angebote, durch politische Führung, durch den politischen Prozess eine Entwicklung in die Wege geleitet, die aus diesem unsortierten und sehr stark durch den Nationalsozialismus und den Kalten Krieg belasteten Land eine stabile Demokratie haben werden lassen. Die Lehre ist vielleicht, dass sich Dinge durch politisches Tun und Mitmachen regeln lassen."

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