Vor 80 Jahren: Nazis ermorden Dietrich Bonhoeffer
8. April 2025
Am Morgen des 9. April 1945 wird Dietrich Bonhoeffer aus seiner Zelle im bayerischen Konzentrationslager Flossenbürg geholt. Ein SS-Offizier führt ihn zur Hinrichtung. Noch wenige Stunden zuvor hatte der evangelische Pfarrer mit seinen Mitgefangenen gebetet. Jetzt steht der 39-Jährige vor seinem Tod. Sein letzter überlieferter Satz: "Das ist das Ende - für mich der Beginn des Lebens." Worte, die Bonhoeffers tiefe christliche Überzeugung widerspiegeln, dass nach dem Tod das ewige Leben wartet. Er wird gehängt - nur einen Monat vor dem endgültigen Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Zweiten Weltkrieg.
Verehrt, aber sehr unterschiedlich vereinnahmt
Bonhoeffer hatte sich der nationalsozialistischen Diktatur Adolf Hitlers nicht mit Waffen, sondern mit Worten, Taten und festem Glauben widersetzt. Er wurde vom Prediger zum Verschwörer. Jemand, der weltweit verehrt, interpretiert und vereinnahmt wird: von liberalen Theologen, Menschenrechtsaktivisten, Demokraten, linken Aktivisten, Konservativen, aber auch von Rechtsextremen, Verschwörungstheoretikern und christlich-nationalen Unterstützern von US-Präsident Donald Trump. Doch warum berufen sich so unterschiedliche Gruppen auf ihn? Wofür stand Bonhoeffer mit seinem Denken und seiner Botschaft wirklich?
Dietrich Bonhoeffer wird 1906 in Breslau als Sohn einer wohlhabenden, intellektuellen Familie geboren. Mit nur 17 Jahren macht er das Abitur. Eine akademische Karriere steht ihm offen. Der hochbegabte junge Mann entscheidet sich für die Theologie. Eine prägende Erfahrung ist sein Studienaufenthalt in den USA 1930/31, wo der Protestant die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung kennenlernt. Der Glaube, wird ihm dort bewusst, kann nicht nur eine persönliche Überzeugung sein - er muss dem Unrecht auch aktiv entgegentreten.
"Bonhoeffer war der Überzeugung, dass Christen nicht nur für sich selbst, sondern für andere und für die Welt mitverantwortlich sind. Wir leben in Beziehungen und tragen in Beziehungen Verantwortung, vor allen Dingen für Schwächere", sagt der Erste Vorsitzende der deutschsprachigen Sektion der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft (IBG), Professor Florian Höhne, im DW-Gespräch.
Vom Theologen zum Widerstandskämpfer
Zurück in Deutschland, beobachtet Bonhoeffer mit wachsendem Entsetzen, wie sich die Kirche dem NS-Staat anpasst. Wie andere Pfarrer und Geistliche Hitler die Treue schwören. Bonhoeffer schließt sich der "Bekennenden Kirche" an, einer Oppositionsbewegung protestantischer Christen. Sie entstand 1934 als Gegenreaktion auf Bestrebungen der Nazis, die evangelische Kirche unter staatliche Kontrolle zu bringen, sie mit nationalsozialistisch-rassistischen Ideen zu durchsetzen. Als einer ihrer führenden Köpfe wehrt sich Bonhoeffer gegen Gleichschaltung und Beeinflussung.
Mit der Zeit erkennt er: Predigen allein reicht nicht. Und so wird er Teil eines Komplottes gegen Hitler. Ab 1939 arbeitet Bonhoeffer für die Spionage-Abwehr des deutschen Militärs. Im Geheimen aber ist er Mittelsmann des Widerstands. "Er hatte nicht selbst bei einem Attentat mitgemacht, aber von den Umsturzplänen gewusst", sagt Florian Höhne.
Umsturzpläne gegen Hitler und Hoffnung auf Frieden
Bonhoeffer übernimmt im Widerstand zwei Hauptaufgaben: "Er sollte seine Kontakte zu christlichen Kirchen und religiösen Gemeinschaften im Ausland nutzen, um Informationen auszutauschen, damit die Alliierten von diesen Umsturzplänen erfuhren. Und um Optionen für die Zeit danach auszuhandeln, um ein Signal von den Alliierten zu bekommen, dass sie diese Umsturzpläne gutheißen und anschließend den Krieg nicht einfach fortführen, sondern zu Friedenverhandlungen bereit sind", erklärt Höhne. Seine zweite Aufgabe sei es gewesen, "sozusagen Seelsorger seiner Mitverschwörer zu sein und sie in Gewissenskonflikten zu beraten."
Bonhoeffers Verbindungen zum Widerstand werden aber aufgedeckt. Am 5. April 1943 verhaftet ihn die Gestapo (Geheime Staatspolizei) der Nazis. Zwei Jahre sitzt er bis zu seiner Hinrichtung ohne reguläre Gerichtsverhandlung in Haft, schreibt weitere theologische und gesellschaftspolitische Texte.
Über seine Motivation, sich dem Kampf gegen die Nazi-Diktatur anzuschließen, formuliert er in dieser Zeit: "Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen. Den Christen rufen nicht erst die Erfahrungen am eigenen Leibe, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um derentwillen Christus gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden.“
Ein Erbe mit vielen Facetten
Nach dem Krieg wird Bonhoeffer zur Ikone, zum Vorbild für einen Glauben, der sich nicht wegduckt, sondern handelt. Viele seiner Bücher werden internationale Bestseller, sein Leben wird verfilmt. Doch sein Erbe findet grundverschiedene Deutungen. Während ihn liberale Theologen, Demokraten und Menschenrechtler als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und christliche Verantwortung feiern, interpretieren ihn rechts-konservative Kreise und christliche Nationalisten vor allem in den USA als Vorkämpfer gegen einen vermeintlich übergriffigen Staat. Christliche Nationalisten sehen ihre Nation als von Gott auserwählt an und wollen ihr sehr konservatives Verständnis von christlichen Werten auch politisch durchsetzen.
Besonders für Trump-Anhänger ist Bonhoeffer eine Symbolfigur der Auflehnung gegen den sogenannten Deep State - der Vorstellung, dass es im Hintergrund einer offiziellen Regierung eine geheime Macht-Struktur gibt, die Politik und Gesellschaft lenkt. Manche ziehen Parallelen zwischen seinem Kampf gegen Hitler und ihrer eigenen Ablehnung von Abtreibung, LGBTQ-Rechten oder Impfvorschriften.
Nachkommen wehren sich gegen Vereinnahmung Bonhoeffers
Theologen aus den USA und Deutschland, Nachkommen Bonhoeffers sowie die Internationale Bonhoeffer-Gesellschaft (IBG) wehren sich entschieden gegen diese Vereinnahmung. In einem offenen Brief vom Oktober 2024 prangerte die IBG an, dass Bonhoeffers Leben und Werk vor allem von christlichen Nationalisten zunehmend dazu benutzt würde, politische Gewalt zu legitimieren.
Zwar setzte sich Bonhoeffer mit der Frage auseinander, wann Ungehorsam zur Pflicht wird. Aber sein Widerstand richtete sich gegen ein totalitäres Unrechtsregime, nicht undifferenziert gegen staatliche Institutionen. "Bonhoeffer war ein christlicher Pazifist, der erst nach intensivem Ringen die Möglichkeit von Gewalt in Erwägung zog. Doch sein Denken war von der Suche nach Frieden geprägt und der Frage, was Christen über nationale Grenzen hinweg verbindet", betont der IBG-Vorsitzende Höhne. "Sein Engagement galt den Schwachen und Entrechteten. Ein Ansatz, der im Widerspruch zu dem steht, was wir heute vom christlichen Nationalismus erleben."
Für Überzeugungen mit dem Leben bezahlt
Höhne sieht Bonhoeffers Einfluss in seiner faszinierenden Lebensgeschichte begründet, die Menschen über politische, theologische und weltanschauliche Grenzen hinweg inspiriert - nicht zuletzt, weil er für seine Überzeugungen mit seinem Leben einstand.
Er ergänzt, dass Bonhoeffer die unterschiedlichsten Strömungen anspreche, weil sein Werk vielschichtig und offen für verschiedene Interpretationen sei. "Gerade die Schriften aus seinen letzten Jahren sind fragmentarisch geblieben und je fragmentarischer ein Werk ist, desto leichter lässt sich Verschiedenes hineinlesen.“
Was lässt sich heute aus Bonhoeffers Denken für aktuelle politische und ethische Fragen gewinnen? Höhne hebt insbesondere sein Verständnis von Verantwortung hervor, "das uns lehrt, nicht nach einer abstrakten, absoluten Moral zu streben, sondern das relativ Beste zu tun - das, was in der jeweiligen Situation notwendig ist." Zudem könne man von ihm viel über die "Verantwortung gegenüber den Schwächeren lernen."