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Politik

Vor Demos: Russische Schüler unter Druck

Roman Goncharenko
11. Juni 2017

Schon im März waren russische Schüler in Massen gegen Korruption auf die Straße gegangen. Vor einer zweiten Protestwelle wächst der Druck. Ein Demonstrationsverbot ist im Gespräch.

Proteste in Russland Festnahmen
Bild: Reuters/M. Shemetov

Alexej Nawalny sitzt vor der Kamera und erzählt mit ernstem Gesicht, wie er in Kindergärten für sich geworben habe oder Jugendliche mit seinen Fahnen marschieren lasse. Dazu eingeblendet werden Veranstaltungen der Kreml-Partei "Geeintes Russland". Sarkasmus ist die Antwort des Oppositionellen auf die von hochrangigen Politikern verbreitete Botschaft, Minderjährige sollen sich von Protestaktionen fernhalten. In seinem Video wendet sich der 41-Jährige gezielt an Schüler und Studenten und ruft sie auf, am Montag, dem 12. Juni an einer landesweiten Protestwelle gegen Korruption teilzunehmen.

Der Zeitpunkt für die Proteste wurde offenbar mit Bedacht gewählt. Es ist der "Tag Russlands", ein Feiertag, der an die russische Unabhängigkeitserklärung 1990 erinnert. In einigen Städten wurden Demos genehmigt, in anderen nicht. Die Feierlichkeiten dürften der Polizei Festnahmen von Protestierenden jedenfalls erschweren.

Der Kreml-Kritiker Nawalny rief seine Anhänger zu Protesten am nationalen Feiertag aufBild: picture-alliance/AP Photo/P. Golovkin

Medwedew als Zielscheibe

Es ist bereits die zweite derartige Aktion von Nawalnys "Stiftung gegen Korruption". Beim ersten Mal, am 26. März, gingen Tausende von Moskau bis Wladiwostok auf die Straßen. Dabei waren besonders viele junge und sehr junge Gesichter, was die meisten Beobachter überraschte.

Nawalny mobilisierte seine Anhänger vor allem mit einem über soziale Netzwerke und die Videoplattform YouTube verbreiteten Dokumentarfilm über den Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedew, dem er verschleierten Besitz von "Palästen, Jachten und Weingütern" vorwarf. Medwedew dementierte. Seine Sprecherin spielte den Film als "Wahlkampfrhetorik" herunter. Nawalny hat bereits seine Kandidatur bei der Präsidentenwahl 2018 angekündigt. Seine Teilnahme dürfte jedoch wegen einer Verurteilung scheitern. Ein Moskauer Gericht hat vor wenigen Tagen Nawalny aufgefordert, dem Film über Medwedew zu löschen. Geklagt hat ein schwerreicher Oligarch, der dem Oppositionellen Lüge vorwarf.

Der Wunsch nach Veränderung

Überrascht von der Teilnehmerzahl bei der ersten Kundgebung war man offenbar auch in Regierungskreisen. Immer wieder kommen Berichte aus Russland, wonach Lehrer, Hochschuldozenten oder Richter versuchen, die Jugend von den Protesten auf der Straße abzubringen.

Junge Menschen bei den Protesten gegen die Korruption im März 2017, hier in Sankt PetersburgBild: DW/V.Ryabko

"Sie haben gesagt, dass ich noch zu klein bin und keine Ahnung habe", erzählt Dmitrij (Name v.d. Red. geändert) über sein Gespräch vor einer Jugendkommission in einem Moskauer Gericht. Der 17-Jährige war sowohl am 26. März als auch am 2. April bei den Protestaktionen dabei gewesen, allerdings nicht als Teilnehmer, sondern als Zuschauer, wie er sagt. Der junge Mann wurde beide Male von der Polizei festgenommen und später freigelassen. In einem Fall entschied die Jugendkommission, Dmitrij habe an einer nicht genehmigten Kundgebung teilgenommen und den Straßenverkehr behindert. Seine Familie muss eine Geldstrafe zahlen, will aber in die Berufung gehen.

Dmitrij findet Nawalny als Politiker glaubwürdig: "Er beschreibt oft objektive Entwicklungen, die er mit Fakten untermauert." Die große Zahl seiner Altersgenossen bei Nawalnys Kundgebungen erklärt er mit dem Wunsch jüngerer Leute, "etwas im Land zu verändern und sich daran zu beteiligen."

Demo-Verbot für Minderjährige

Doch die Regierung überlegt, diese neue Gruppe junger Russen von politischen Protesten auszuschließen. Ihre Argumentation lautet, Minderjährige würden von Oppositionspolitikern wie Nawalny für eigene Zwecke missbraucht.

Als Erste hat im Mai Valentina Matwijenko, die mächtige Vorsitzende des Föderationsrates, der Länderkammer des russischen Parlaments, ein gesetzliches Verbot ins Gespräch gebracht. "Minderjährige können bei weitem nicht immer abgewogene Entscheidungen treffen", sagte die Politikerin in einem Zeitungsinterview. Unterstützung bekam Matwijenko von der Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa. "Menschen, die in ihren politischen Überzeugungen noch nicht reif sind, dürfen nicht Objekte von Manipulationen und Provokationen sein", sagte Moskalkowa.

Ein Lied gegen Schüler als "Marionetten"

Inzwischen werden russische Jugendliche auch von Popstars aufgerufen, lieber zu Hause zu bleiben und nicht zu Demos zu gehen. Rund ein Monat vor der Protestaktion am 12. Juni veröffentlichte die bekannte Sängerin Alisa Vox ihr neues Musikvideo unter dem Titel "Kleiner". Darin spottet die als Lehrerin verkleidete Vox über Schüler, die zu Nawalnys Demos gehen. Solche Jugendliche seien "Marionetten". Die Sängerin appelliert an diejenigen, "die Veränderungen wollen, bei sich anzufangen." Später berichtete der russische TV-Sender "Doschd", das Lied solle ein ehemaliger Mitarbeiter der Präsidialverwaltung in Auftrag gegeben haben. Aus dem Kreml hieß es, man habe damit nichts zu tun.

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