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Politik

Russlands verärgerte Wähler

Aaron Tilton das
8. September 2019

Nach einem Sommer der Unzufriedenheit mit wochenlangen Protesten laufen in Moskau die Wahlen zum Stadtparlament. Die Stimmung ist angespannt - wegen des harten Vorgehens gegen die Demonstranten.

Russland | Protestkundgebung gegen politischen Repressalien in Moskau
Protestkundgebung gegen politischen Repressalien in Moskau Bild: Getty Images/AFP/A. Nemenov

In Moskau lächelten in den vergangenen Wochen Lokalpolitiker von Wahlplakaten und versicherten, dass sie für die Hauptstadt genau die Richtigen seien. Ab und zu sah man in den vergangenen Tagen einen Wahlhelfer, der Flyer an Passanten verteilte - so verhalten und still endete einer der hitzigsten Wahlkämpfe der neueren russischen Geschichte.

Ein Wahlkampf, der Zehntausende Menschen auf die Straße brachte. Sie machten ihrem Ärger Luft, nachdem Dutzende von der Opposition unterstützte Kandidaten von der Wahl für das Moskauer Stadtparlament ausgeschlossen worden waren. Dieser Ärger erreichte seinen Höhepunkt, als Hardliner aus der russischen Regierung, unterstützt von Sicherheitskräften in voller Montur, hart gegen die zum Großteil nicht offiziell genehmigten Kundgebungen durchgriffen. Mehrere Demonstranten wurden verletzt, außerdem kam es zu Tausenden von Festnahmen. 

Protest in Russland gegen unfreie Kommunalwahlen

04:12

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Beliebtheit von Putins Partei nimmt ab

In einem normalen Jahr würden die Wahlen für das Moskauer Stadtparlament außerhalb Russlands kaum Aufmerksamkeit erregen. Aber 2019 ist eben kein normales Jahr. Lange konnte Putins Partei "Einiges Russland" ohne eine nennenswerte Opposition regieren, weil der russische Präsident das öffentliche Leben in Russland dominierte. Doch heute sind die Zeiten schwieriger für seine Partei: Ihre Popularität nimmt ab, denn die Sorgen über die stagnierende russische Wirtschaft und die Verschlechterung des Lebensstandards spielen eine immer größere Rolle in den öffentlichen Debatten. 

Nach einer sehr unpopulären Rentenreform im vergangenen Jahr erreichten die Beliebtheitswerte von Putins Partei historische Tiefen. Dies ebnete den Weg für eine Reihe von Protesten mit sehr unterschiedlichen Themen, von der Müllentsorgung bis zur Pressefreiheit. Zurzeit wird das politische Ansehen von Putins Partei "Einiges Russland" als so problematisch angesehen, dass einige ihrer Vertreter bei den Wahlen für das Moskauer Stadtparlament als unabhängige Kandidaten antreten. Sie befürchten, dass die Verbindung zur Partei ihre Chancen verschlechtern würde.

"Hartes Vorgehen der Sicherheitskräfte treibt Proteste an" 

Die fragmentierte russische Opposition kann sich die wachsende Frustration vieler Bürger über das politische System jetzt zunutze machen. Als die Moskauer Wahlkommission vielen oppositionellen Kandidaten die Registrierung verweigerte, mit der Begründung, in ihren Anträgen wären Tausende von gefälschten oder ungültigen Unterschriften, protestierte die Opposition sofort und mobilisierte ihre Anhänger.

Alexej Nawalny ist der prominenteste Politiker der Opposition Bild: Reuters/E. Novozhenina

Es kam zu wochenlangen Demos. Durch die Bilder von russischen Sicherheitskräften, die friedliche Demonstranten schlagen, wird die öffentliche Unzufriedenheit noch größer, sagt der russische Politik-Berater Abbas Gallyamov: "Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte treibt die Proteste an und garantiert eine hohe Beteiligung. Die Weigerung, Oppositionskandidaten zu registrieren, ist nicht mehr ganz oben auf der Agenda. Im Fokus der negativen Nachrichten sind jetzt die Sicherheitsbehörden - sie sorgen für die Emotionen bei den Protesten."

"Smart voting" als neue Taktik  

Alexej Nawalny, der prominenteste Vertreter von Russlands unterschiedlichen Oppositionsparteien, hofft, aus der brodelnden Unzufriedenheit Kapital zu schlagen. Mithilfe seines beliebten YouTube-Kanals ruft er seine Unterstützer dazu auf, seine "smart voting"-Taktik anzuwenden: Sie sollen den Politiker wählen, der die besten Chancen hat, einen von "Einiges Russland" unterstützten Kandidaten zu besiegen. Das selbsterklärte Ziel dieser Initiative ist, Menschen mit "unterschiedlichen Perspektiven" zu wählen - sowohl auf der lokalen als auch später auf der nationalen Ebene. Wenn sich diese Taktik als erfolgreich erweist, könnte sie ein Modell für zukünftige Wahlen werden - als Teil der Anstrengungen der russischen Opposition, in der Regierung Fuß zu fassen. 

"Die jetzige 'Explosion' im Zusammenhang mit den Wahlen des Moskauer Stadtparlaments ist ein klassisches Beispiel. Die Machthaber haben nicht verstanden, dass die Zeiten sich geändert haben", sagt die renommierte russische Verlegerin Irina Prochorowa im DW-Interview. Die Machthaber in Moskau "verpassen gerade die Wende" - weil sie es nicht geschafft haben, sich an die Veränderungen der Gesellschaft anzupassen. 

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