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Politik

Vor der Wahl: Unterwegs im Herzen NRWs

Carsten Grün
9. Mai 2017

Staus, Arbeitslosigkeit, Integration. Die Probleme im Ruhrgebiet sind vielfältig. Im Kernland Nordrhein-Westfalens wird die Landtagswahl entschieden. Stimmen aus Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland.

Tour de Ruhr - NRW Landtagswahl
Bild: DW/C. Grün

Der Ruhrpott gilt als die Herzkammer der Sozialdemokratie in Deutschland. In einigen Kommunen konnte die SPD hier früher regelmäßig mehr als 60 Prozent der Stimmen holen. Doch es gibt immer mehr Menschen, die die Politik der Genossen im größten Ballungsraum Europas kritisch sehen. Hier hocken die Verlierer der Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010, viele von ihnen klassische Stammwähler. Aber auch Menschen, die nicht von Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg bedroht sind, haben inzwischen ihre Probleme mit der Partei.

Einer von ihnen ist Henryk Burghammer, Heilpraktiker aus Duisburg-Hamborn. Hamborn liegt neben Marxloh, dem oft genannten Negativbeispiel für misslungene Integration in Deutschland. Burghammer ist in Hamborn geboren, hat dort Abitur gemacht und auch die meiste Zeit seines Lebens dort gelebt. Seine Eltern kamen in den 1950er Jahren aus Polen nach Duisburg.

Für Henryk Burghammer macht die Politik zu wenigBild: DW/C. Grün

Burghammer ist politikinteressiert und einer, der mit seinem Unmut an die Öffentlichkeit geht. Dann spricht er über die Probleme in seinem Stadtteil, der geprägt ist von Armut, Verfall und mangelnder Integration. Er wurde auch zur "Wahlarena" eingeladen. Dort präsentierten sich die Spitzenkandidaten der Parteien im Fernsehen.

Die Veranstaltung bestätigte seine Vorurteile: "Worüber haben die die erste halbe Stunde geredet? Über Dieselfahrzeuge. Als ob wir hier nicht andere Probleme hätten." Ein drängenderes Problem ist für den 46-Jährigen der Zuzug von Roma aus Osteuropa. Burhammer erzählt von Familien mit acht Kindern, die im Winter ohne Schuhe auf die Straße gingen. Von lautstarken Feiern in Wohnheimen, die bis tief in die Nacht gingen. "Beschwert man sich, wird man bedroht."

Das zweite Problem für den Heilpraktiker sind Teile der türkischen Community. Viele von ihnen stehen nach Ansicht Burghammmers hinter dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Nach dessen Sieg beim Verfassungsreferendum hätten sie Autokorsos und Fahnenumzüge veranstaltet - mit Symbolen der faschistischen Organisation Graue Wölfe. "Ich sehe hier türkische Männer, die haben auf den Unterarmen die Umrisse des Osmanischen Reiches oder Symbole der Grauen Wölfe tätowiert", erzählt er.

"Niemals AfD"

Wer Burghammer zuhört, wird ein wenig an die Thesen der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) erinnert, doch diese Verbindung weist er vehement von sich. "Ich würde die niemals wählen, aber was hier jetzt schon seit Jahren in Duisburg passiert, macht einen sauer." Er könne das Wort Rechtspopulismus nicht mehr hören, so Burghammer. Sein bisheriges Leben weist auch nicht auf einen rechten Wähler hin. Lange Jahre machte er sein Kreuz bei den Wahlen bei linken Parteien.

Von den Sozialdemokraten hat er jetzt die Nase voll. "Die SPD hatte rund 40 Jahre Zeit und hat nichts gemacht. Wie das hier aussieht: kaputte Straßen, Gewaltkriminalität!" Früher, erzählt Burghammer, sei das ein toller Wohnbezirk gewesen - auch Marxloh: schöne Häuser, Kinos, ein Markt. Die Bauern kamen vom Niederrhein hierher. Heute seien hier nur noch Klamottenhändler und die Junkies, die täglich am Kiosk herumlungern, sagt er resigniert.

Durch Kultur Städte entwickeln

Ortswechsel: Auf kaputten Straßen geht es nach Oberhausen zu Hajo Sommers. Er ist hier geboren und ist Präsident des Fußball-Regionalligisten Rot-Weiß Oberhausen und Kulturmanager. Er betreibt das Ebertbad, ein bundesweit bekannter Kulturtempel für Comedy und Kabarett. In einer Stadt wie Oberhausen, die ansonsten wenig Kulturelles zu bieten hat, ist das schon beachtlich.

Tristesse in kaputten Straßen - die Infrastruktur des Reviers ist mangelhaftBild: DW/C. Grün

Sommers ist liebenswert, aber auch provokant und unbequem. Das stört besonders die, die über die SPD in gut bezahlte Positionen gerückt sind. In der Süddeutschen Zeitung sagte er vor wenigen Monaten zur Zukunft des Ruhrgebiets: "Schippe Sand drauf und gut ist." Da hätten ihn sofort Mitarbeiter der Stadt angerufen und gesagt, er habe Oberhausen damit geschadet, erzählt er. Wie er so etwas sagen könne, nachdem sie gerade das Dach des Ebertbads renoviert hätten. "Ich sagte, ich zahle auch 100.000 Euro jährlich Miete, dann kann man erwarten, dass die Stadt als Vermieter ihren Pflichten nachkommt."

Für den 59-Jährigen arbeiten viele Politiker zum Selbstzweck. Einen der Hauptfehler in der Politik in Nordrhein-Westfalen sieht er darin, das Ruhrgebiet als Metropole zu verkaufen, die mit den Weltstädten wie Paris, London oder Berlin konkurrieren soll.

Hajo Sommers: Kultur als EntwicklungsmotorBild: DW/C. Grün

"Wenn hier nicht endlich ein vernünftiger öffentlicher Nahverkehr geschaffen, das Kirchturmdenken der einzelnen Städte durch eine zentrale Verwaltung beseitigt und endlich mal eine vernünftige Kulturförderung als Entwicklungsmotor angeschoben wird, tut sich hier gar nichts", sagt Sommers. Am liebsten hätte er, dass in allen Ruhrgebietskommunen Quartiersmanager für Kultur arbeiteten. Sie sollten Ladenlokale für Galerien, Cafés, Veranstaltungsorte zur Verfügung stellen, um Kreative in die Region zu locken.

Klare Kante

Mängel in der Landespolitik sieht auch Armando Dente. Er ist Gewerkschaftssekretär der IG Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) in Bochum und SPD-Mitglied. "Die SPD muss viel mehr klare Kante zeigen. Warum ist die Bildung in der Kita nicht komplett kostenfrei?" Auch im sozialen Wohnungsbau sei viel zu wenig geschehen.

Auch auf Bundesebene hadert Dente mit seiner Partei. Am meisten stört ihn die Energiepolitik: "Die IGBCE ist absolut für erneuerbare Energien, aber wir können bei den vielen energieintensiven Unternehmen derzeit nur mit einem Energiemix auskommen. Die SPD muss sich zum Industrieland NRW bekennen." Das ist traditionell von Schwerindustrie geprägt, von Kohle und Stahl. Doch die stecken seit 70 Jahren in der Krise und nicht jeder, der im Strukturwandel seinen Job verlor, ist in einem anderen Sektor fündig geworden. 

Armando Dente: Energieland NRWBild: DW/C. Grün

Dente kommt in NRW viel herum. "Ein Stau nach dem anderen, weil viel gebaut wird - endlich!" In der Vergangenheit sei zu wenig in die Infrastruktur investiert worden. So könne NRW dem Anspruch, Industrieland Nummer eins zu sein, nicht gerecht werden.

Zur AfD hat er ein klares Verhältnis: nicht wählbar. "Sie widersprechen dem Wesentlichen, wofür man als Gewerkschafter steht: Solidarität", sagt der 38-Jährige.

Politik zum Querdenken

Eine, die das Politikparkett neu betritt, ist Sonja Bongers. Sie bewirbt sich für die SPD in Oberhausen erstmals um ein Landtagsmandat. Die Chancen sind nicht schlecht. Bongers verkörpert die Politikergeneration, die Lust hat, sich zu beteiligen und etwas anzustoßen. Unabhängigkeit ist ihr wichtig und sie kann auch auf Konfrontation gehen: "Ich muss das nicht machen, ich habe einen Beruf, der mich ausfüllt. Im Gegensatz zu anderen bin ich nicht bei der Stadt oder der Partei beschäftigt", sagt sie. Daher schätze sie auch Hannelore Kraft. Auch die SPD-Ministerpräsidentin kam auf Umwegen zur SPD und war beruflich unabhängig. "Sie kann die Menschen mit ihrer freundlichen Art überzeugen, sie ist die richtige Ministerpräsidentin", sagt Bongers.

Sonja Bongers möchte für die SPD in den LandtagBild: DW/C. Grün

Die Juristin führt eine eigene Kanzlei. Sie hat viel mit Sozialrecht zu tun. Wer sie beobachtet, merkt, sie setzt sich ein und kämpft. Ihre Kandidatur lief nicht glatt. Sie musste sich gegen drei Männer durchsetzen. 47 Prozent reichten, nicht überragend, aber danach fragt später niemand mehr.

Die Neukandidatin weiß auch um die Versäumnisse innerhalb der SPD. "Es stimmt schon, dass manche den Blick für die Menschen verloren haben." Sie dagegen sehe jeden Tag die Probleme des Ruhrgebiets: Arbeitslosigkeit, Ärger mit dem Jobcenter. "Meine Motivation war, dieses alte Kernthema der SPD, die 'soziale Gerechtigkeit', wieder anzuschieben."

Dafür will sie Perspektiven im Kleinen schaffen. "Viele denken, die Hartz-IV-Empfänger wollen doch gar nicht. Das sind vielleicht fünf bis zehn Prozent." Die meisten, glaubt Bongers, wollten sehr wohl arbeiten, bekämen aber aufgrund fehlender Ausbildung oder Krankheit nicht die verdiente Chance. "Die Menschen wollen nicht zuhause herumhängen. Wenn sie arbeiten, tut ihnen das gut und sie leben ihren Kindern etwas vor."

Bongers hofft auf 45 Prozent bei der Wahl, das würde reichen, um in den Landtag einzuziehen. Früher holte die SPD hier über 60 Prozent, doch die Zeiten sind vorbei.

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