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Politik

"Visegrád" bleibt beim Nein

Friedel Taube
6. Juli 2017

Vor dem EU-Innenministertreffen und dem Migrationsgipfel in Rom bleibt die Union gespalten. Die Länder der "Visegrád"-Gruppe werden wohl bei ihrem "Nein" zu Flüchtlingen bleiben.

Polen | Ministerpräsidenten der Visegrad-Staaten in Warschau
Bild: picture-alliance/dpa/PAP/R. Pietruszka

"Uns Polen müssen Flüchtlinge mehr am Herzen liegen als allen anderen Nationen der Welt. Denn seit 200 Jahren haben unsere Landsleute immer wieder flüchten müssen. Wir haben heutzutage die moralische Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen, wir können nicht mit Gleichgültigkeit und Zynismus reagieren". Diese Worte stammen tatsächlich aus dem Munde eines Abgeordneten der polnischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (Prawo i Sprawiedliwość, PiS). Das Video von Mariusz Kamiński verbreitete sich in den vergangenen Tagen viral in den sozialen Netzwerken in Polen. Einzig: Die Rede stammt von 2002.

Seitdem hat bei Kamiński und vielen seiner Parteikollegen ein bemerkenswerter Sinneswandel stattgefunden. Von der angesprochenen Solidarität ist in der Partei nichts mehr übrig. Im Gegenteil: Von Hilferufen, wie dem aus Italien Ende Juni, zeigt man sich in Polen vollkommen ungerührt.

"Das moralische Recht, Nein zu sagen"

In Warschau sieht man sich im Recht. Erst beim Parteitag der PiS am vergangenen Wochenende sagte Parteichef Jarosław Kaczyński, dass die Schuld für den Flüchtlingszustrom vor allem die ehemaligen Kolonialmächte und andere starke Staaten unter den heutigen EU-Mitgliedern tragen würden. "Nicht wir haben die Länder ausgebeutet, aus denen heute die Flüchtlinge nach Europa kommen. Auch haben wir nicht ihre Arbeitskraft ausgenutzt und wir haben sie auch nicht nach Europa eingeladen. Wir haben daher das volle moralische Recht, Nein zu sagen", so der Parteichef.

Als weiteres Argument wird immer wieder die Angst der polnischen Bevölkerung vor islamistischem Terror angeführt. Dass bislang noch keine derartigen Terroranschläge in Polen passiert sind, verbucht die seit 2015 alleinregierende PiS für sich. Zudem lässt die Regierungspartei keine Gelegenheit aus, auf das katholische Erbe Polens zu verweisen und sich so vom Islam abzugrenzen.

Sieht ein "moralisches Recht zum Nein": Jarosław KaczyńskiBild: picture-alliance/AP Photo/A. Keplicz

Strafen für ausbleibende Solidarität?

Mitte Juni 2017 sah sich die EU-Kommission gezwungen, Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, Ungarn und Tschechien einzuleiten. Denn nicht nur Polen wehrt sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Auch die anderen Mitglieder der Visegrád-Gruppe - Ungarn, Slowakei und Tschechien - sind strikt dagegen. Erst recht, seitdem Quoten aus Brüssel vorgegeben wurden. Die EU-Innenminister hatten im September 2015 gegen den Widerstand aus Osteuropa die Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen zur Entlastung von Ländern wie Italien und Griechenland beschlossen.

Passiert ist seitdem in den vier Ländern so gut wie nichts, es wurden keine oder nur sehr wenige Flüchtlinge aufgenommen. In Ungarn ist man nach wie vor der Meinung, die Flüchtlingskrise sei vornehmlich ein deutsches Problem, schließlich wollten ja die meisten Flüchtlinge nach Deutschland. In Polen verweist man auf die angeblich bereits hohe Belastung durch Flüchtlinge aus dem ukrainischen Bürgerkrieg. Tatsächlich befinden sich rund 800.000-1.000.000 Ukrainer im Land, Kritiker geben aber an, dass viele von ihnen Wirtschaftsmigranten seien und aus dem Westen der Ukraine, nicht aus dem Kriegsgebiet kommen. Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka und sein slowakischer Kollege Robert Fico lehnen die vereinbarte EU-Quote ab und fordern stattdessen eine "flexible Solidarität". Ihre Länder seien zwar bereit zu helfen, aber eher in den Herkunftsländern, nicht durch die Aufnahme von Flüchtlingen. Ungarn und die Slowakei haben inzwischen sogar gegen den Umverteilungsbeschluss vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. 

Flüchtlinge in der Nähe des ungarischen Röszke: 2015 nahmen hier viele den Weg über UngarnBild: picture-alliance/dpa/MTI/S. Ujvari

Experten sind skeptisch, ob sie damit Erfolg haben werden. Doch selbst wenn - ob das abschreckt, ist fraglich. Polens Innenminister Mariusz Błaszczak hatte schon vor dem Einleiten des Verfahrens durch die Kommission in einem Radiointerview im Polnischen Rundfunk klargemacht, dass die Migrationsquoten schlimmer seien als jede Bestrafung aus Brüssel.

Polen: Lieber EU-Austritt als Flüchtlinge aufnehmen

Ihre jeweilige Bevölkerung haben die "Nein"-Sager übrigens auf ihrer Seite - gerade in Polen. Der jüngsten Umfrage zufolge würde mehr als die Hälfte der Polen (51,2 Prozent) sogar an ihrer Ablehnung festhalten, wenn ihr Land dann aus der EU austreten müsste. 37,5 Prozent sind dagegen für die Aufnahme Hilfesuchender aus Nahost.

Die Umfrage, die das Institut IBRiS für die Wochenzeitung "Polityka" durchgeführt hat, umfasst des Weiteren die Frage: "Sind Sie gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, auch, wenn das die Kürzung von EU-Mitteln bedeutet?" Darauf antworten sogar mehr als 56 Prozent mit Ja. Zuletzt hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich irritiert darüber gezeigt, dass mit den Visegrád-Staaten ausgerechnet einige der größten Nehmerländer von EU-Mitteln sich am wenigsten solidarisch zeigten. Europa sei kein Supermarkt, sondern eine Schicksalsgemeinschaft, betonte er Ende Juni in der "Süddeutschen Zeitung". Das Junktim zwischen dem Erhalt von EU-Mitteln und der Aufnahme von Flüchtlingen wiesen Polen und Ungarn postwendend zurück.

Ein Einlenken ist vor dem anstehenden EU-Innenministertreffen und dem Migrationsgipfel in Rom kaum zu erwarten - und ein Umdenken noch viel weniger. Nun - im Fall von Polens Ministerpräsidentin Beata Szydło bleibt vielleicht noch die Option, dass sie im Internet auf das 15 Jahre alte Video ihres Parteifreundes Kamiński trifft und sehr genau zuhört. 

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