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Politik

Vorstellung beendet, Vorhang zu...

31. März 2017

Ist das wirklich wahr? Das Atomkraftwerk Biblis wird zurückgebaut. Jens Thurau wird wehmütig und erinnert an die spannende Geschichte dahinter.

Atomkraftwerk Biblis
Bild: dapd

Das passiert mir manchmal, ist wahrscheinlich eine Folge des zunehmenden Alters: Man liest eine kleine Agenturmeldung, eine, die kaum einen interessiert. Aber für mich tut sich eine ganze Welt auf. Und zack, bin ich wieder mitten drin in den siebziger und achtziger Jahren.

Die Meldung geht so: Ganz lapidar teilt die Landesregierung in Hessen mit: Das Atomkraftwerk Biblis wird „zurückgebaut". Ein schönes deutsches Wort. Abreißen klingt ja tatsächlich sehr herzlos. Die grüne Umweltministerin Priska Hinz sagt: „Damit ist die Kernenergie in Hessen Geschichte." 

Das kann es nicht gewesen sein

Das ist natürlich eine Folge des Atomausstiegs und somit reine Routine. Aber wieso habe ich das Gefühl, dass da noch mehr kommen müsste? Eine Art Schlussapplaus, zehn Minuten Standing Ovation für ein tolles Theaterstück mit vielen spannenden Darstellern und vor allem: Vielen geheimnisvollen Orten. Ist ja fast respektlos, wenn Biblis jetzt einfach so „zurückgebaut" wird. Etwas mehr Würdigung und Erinnerung darf schon sein.

Mystische Orte

Was war das für mystische Welt damals! Allein die Orte: Biblis, Mühlheim-Kärlich, Brokdorf. Wackersdorf und Gorleben. Und weit, weit entfernt: La Hague und Sellafield. An diesen Orten standen Atomkraftwerke (oder wurden gebaut). Noch geheimnisvoller: Wiederaufarbeitungsanlagen (es wurden gar „Atomfabriken" geplant). Castoren rollten. Meine Generation, auch noch die danach, stand an Bauzäunen davor und war dagegen. Wir trugen die netten gelben Sticker („Atomkraft: Nein Danke!") und waren mit erheblichen Sprit-Schluckern (VW-Käfer, Opel-Kadett, am besten: mit der „Ente") an die mystischen Orte gelangt. Nicht sehr nachhaltig, aber was sollten wir machen? Im Zweifelsfall war das System schuld.

Heute ohne "Atomkraft-Nein-Danke"-Sticker: DW-Korrespondent Jens Thurau.Bild: DW/D. Engels

Echte Typen, prominent bis heute

Und das Personal: Atommanager, abgebrühte Politiker. Und ab Mitte der Achtziger Jahre ein Umweltminister in Turnschuhen (jedenfalls bei der Vereidigung) namens Joschka Fischer von den Grünen. Der trat in Hessen an, um tapfer gegen Biblis zu kämpfen. Später hat er versucht, als Außenminister die Welt zu retten. Sein Büroleiter hieß Tom Koenigs, der bis heute im Bundestag Menschenrechtsexperte der Grünen ist. Ein wilder Haufen, anfangs ohne jede Ahnung. Und es gab einen Ministerialrat („Grundsatzfragen") namens Winfried Kretschmann. Genau, das ist der, der heute von Baden-Württemberg aus für Angela Merkel betet. Fischer forderte die Stilllegung von Biblis, in Bonn (nicht Berlin) war Bundesumweltminister Walter Wallmann von der CDU dagegen. Heftige Kämpfe.

Unerhört: Joschka Fischer wird 1985 Umweltminister in Hessen: In Turnschuhen! Ein damals wirklich großer Skandal...Bild: dpa

..und natürlich: Ein Grenzgänger!

Und jedes gute Theaterstück hat einen Grenzgänger, einen, der die Seite wechselt. Klaus Traube  war erst Atommanager und dann erbitterter Gegner. Der Verfassungsschutz beobachtete ihn. Das „System" und die Atomenergie (wir hatten es immer gewusst): Das war ein- und dasselbe.

Und alle hatten so ein bisschen das Gefühl, dass das Theaterstück ewig dauern würde. Ständig gab es Berichte über Störfälle, und alle waren sich einig: Es ist fünf vor zwölf. Mindestens. Abschalten sofort. Aber ernsthaft hat das keiner erwartet. Wir gegen die Atomenergie: Ein lebenslanger Kampf.

Das war es wohl tatsächlich: Schade eigentlich....

Natürlich: Die Dinge haben sich weiter entwickelt. 2011 war dann (nach Fukushima) auch die Kanzlerin gegen Atomkraftwerke. Da kam das erstemal Wehmut auf. War es das tatsächlich mit dem Theaterstück? Gut: Es gibt noch den Endlagerstreit. Und bis 2022 noch ein paar Atomkraftwerke. Aber mystisch ist das nicht mehr.

Das Theaterstück ist also zu Ende. Jedenfalls in Deutschland. Schön war's. Tolle Orte, echte Typen. Spannende Geschichte. Und Vorhang. Wir gehen jetzt in die Kneipe und erzählen von damals… 

 

 

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