Der Boykottaufruf hat offenbar gewirkt. Laut Opposition gaben bei der Parlamentswahl in Venezuela weniger als 20 Prozent der Berechtigten ihre Stimme ab. Davon profitieren wird wohl der autoritäre Staatschef Maduro.
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Bislang kontrollieren die Gegner von Nicolás Maduro die Nationalversammlung in der Hauptstadt Caracas. Doch nach der Wahl steht dem Triumph der regierenden Sozialisten kaum etwas entgegen.
Beobachter gehen davon aus, dass Maduros Partei PSUV die Mehrheit erzielen dürfte. Große Teile der Opposition boykottierten die Abstimmung, weil sie mit Betrug rechneten. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hatte bereits vor der Wahl erklärt, die Voraussetzungen für eine freie und faire Wahl seien nicht gegeben.
Maduro rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, das Wahlergebnis zu akzeptieren. "Wir respektieren das Selbstbestimmungsrecht der Völker", schrieb er auf Twitter. "Wir fordern Respekt vor der Souveränität des venezolanischen Volkes."
Sollte die Mehrheit im Parlament erwartungsgemäß an die Regierungsanhänger gehen, würde die Opposition die letzte von ihr kontrollierte staatliche Institution in dem südamerikanischen Land verlieren. Ohne Mehrheit in der Nationalversammlung dürfte auch die Legitimität des selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó infrage gestellt werden.
Nach Angaben der Opposition folgten zahlreiche Venezolaner ihrem Boykottaufruf. Die Wahlbeteiligung habe bei unter 20 Prozent gelegen, sagte der Vizepräsident der Nationalversammlung, Juan Pablo Guanipa. Das Wahlamt verlängerte am Abend die Öffnungszeiten der Wahllokale um eine Stunde.
"Die Wahl ist ein Betrug der von Nicolás Maduro angeführten Diktatur und wird die Krise im Land nur verschärfen", schrieb der Außenminister von Guaidós Gegenregierung, Julio Borges, in einem offenen Brief an die internationale Gemeinschaft. "Was Venezuela braucht, sind freie Präsidenten- und Parlamentswahlen."
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Humanitäre Krise bahnt sich an
Venezuela steckt in einer tiefen Krise. Guaidó hatte sich Anfang 2019 selbst zum Interimspräsidenten erklärt und war von zahlreichen Ländern - darunter Deutschland und die USA - als legitimer Staatschef anerkannt worden. Allerdings gelang es ihm bislang nicht, sich gegen Maduro durchzusetzen. Der autoritär regierende Staatschef wird in dem Machtkampf vom mächtigen Militär gestützt. Die Vereinten Nationen werfen den Sicherheitskräften schwere Menschenrechtsverletzungen vor.
Während es Guaidó zunächst noch gelungen war, die Opposition hinter sich zu vereinen, traten mit andauernder Erfolglosigkeit auch die Gräben zwischen moderaten Regierungsgegnern und Hardlinern wieder offen zu Tage. Sollte Maduro nun auch die Mehrheit in der Nationalversammlung an sich ziehen, hätte er wieder alle wichtigen Staatsgewalten unter seiner Kontrolle. Erneut wäre es ihm gelungen, den Aufstand gegen seine autoritäre Regierung auszusitzen.
Unterdessen steuert das einst reiche Land auch immer tiefer in eine humanitäre Krise hinein. Aus Mangel an Devisen und wegen zahlreicher Sanktionen kann es kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs importieren. Selbst Benzin ist in dem Land mit den größten Ölreserven der Welt mittlerweile Mangelware. Laut einer Studie der katholischen Universität Andrés Bello leben 96 Prozent der Haushalte in Armut. Millionen von Venezolanern haben ihre Heimat verlassen.
Venezuela: ein ausgeblutetes Land
In südamerikanischen Venezuela finden Parlamentswahlen statt - mitten in der schlimmsten Krise seit Jahren. Der Alltag in Venezuela ist geprägt von Hunger und Mangel. Die Not zeigt sich in vielen Facetten.
Bild: Cristian Hernandez/AFP/Getty Images
Leere Kühlschränke
2018 verzeichnete Venezuela die höchste Inflation in der Geschichte des Landes: 65.374 Prozent im Jahr 2018 (Statista). Der Internationale Währungsfonds berechnete im gleichen Jahr die Inflation sogar mit 1.370.000 Prozent. Aufgrund des Devisenmangels können kaum noch Waren eingeführt werden. Ein Einkauf in Supermärkten ist wegen der hohen Preise für die allermeisten Venezolaner unerschwinglich.
Bild: Alvaro Fuente/ZUMA Press/imago images
Armenspeisung
Oft bekommt nur, wer einen eigenen Teller oder Schüssel mitbringt, bei den Suppenküchen etwas zu essen - so wie hier in der venezolanischen Stadt Valencia. Denn selbst den Hilfsorganisationen fehlt es an Einweggeschirr. Das einst reiche Venezuela leidet seit Jahren unter einer schweren Versorgungskrise. Es mangelt an allem: Nahrung, Medikamenten und einfachsten Dingen wie Seife oder Windeln.
Bild: Juan Carlos Hernandez/ZUMA Wire/imago images
Die Kinder hungern
In Caracas strecken Kinder verzweifelt die Arme aus, wenn die Caritas oder andere Hilfsorganisationen Essen verteilen. Viele haben tagelang nichts gegessen. 96 Prozent der Haushalte in Venezuela leben in Armut, 64 Prozent in extremer Armut (laut einer Studie der katholischen Universität Andrés Bello). Fleisch, Fisch, Eier, Obst und Gemüse kommen nur noch bei den wenigsten Familien auf den Tisch.
Bild: Roman Camacho/ZUMA Press/imago images
Gesundheitssystem vor dem Kollaps
Wer ins Krankenhaus muss, wie hier ins Hospital San Juan de Dios in Caracas, muss Medikamente und Hilfsmittel wie Katheter und Spritzen selbst bezahlen. Mehr als ein Drittel der 66.000 zugelassenen Ärzte hat das Land bereits verlassen. Auch die Zahl anderer medizinischer Fachkräfte ist geschrumpft, was das Gesundheitswesen in Venezuela an den Rand des Zusammenbruchs geführt hat.
Bild: Dora Maier/Le Pictorium/imago images
Lehm und Holz als kostenloses Baumaterial
Ein Kind spielt in seinem Bahareque-Haus. Das sind Häuser, die aus Holzstöcken und Lehm gebaut sind und deren Bauweise aus der präkolumbianischen Zeit stammt. Durch die wachsende extreme Armut in ländlichen Gebieten wird diese Bauweise wieder häufiger. Wasser- und Stromanschluss gibt es in diesen Unterkünften nicht.
Bild: Jimmy Villalta/UIG/imago images
Kein Strom in Venezuela
Permanente Blackouts legen das Land regelmäßig lahm. Die Opposition nennt verschleppte Investitionen, Korruption und mangelhafte Wartung der Strom-Anlagen als Grund für die ständigen Stromausfälle. Die Regierung traf deshalb teilweise drastische Maßnahmen um Strom zu sparen. Zeitweise wurde die Arbeitswoche von Beamten auf zwei Arbeitstage reduziert, um Energie zu sparen. Ohne Erfolg.
Bild: Humberto Matheus/ZUMA Press/imago images
Leben auf der Straße
Wenn der Strom ausfällt, ist es ohne funktionierende Klimaanlagen unerträglich heiß in den Häusern: Die Menschen verlegen ihr Leben auf die Straße - wie hier in Maracaibo. Schon seit Jahren gibt es in Venezuela immer wieder regionale, aber auch landesweite Stromausfälle. Präsident Nicolás Maduro behauptet, seine politischen Gegner würden gezielte Sabotageakte gegen die Infrastruktur ausüben.
Bild: Humberto Matheus/ZUMA Press/imago images
Akuter Wassermangel
Im Bezirk Santa Rosa in Valencia ist die Wasserversorgung zusammengebrochen - mal wieder. Die Menschen baden und waschen sich in einer Pfütze am Straßenrand. In Venezuela gibt es mancherorts nur an drei Tagen pro Woche für ein paar Stunden fließend Wasser. Viele Familie füllen dann schnell alle verfügbaren Flaschen und Gefäße, damit sie etwas Wasser haben, wenn die Leitung wieder trocken bleibt.
Bild: Elena Fernandez/ZUMA Wire/imago images
Strom und Wasser
Im Rio Guaire fließen nur noch Abwasser und giftige Chemikalien. Wasser und Elektrizität stehen in Venezuela in einer heiklen Abhängigkeit zueinander: Durch den Strommangel und die mangelnde Wartung bekamen die Mauern der Stauseen des Landes Risse, der Wasserspiegel sank. Dadurch konnte in den Wasserkraftwerken weniger Strom erzeugt werden und es kam zu den Blackouts. Ein Teufelskreis.
Bild: Adrien Vautier/Le Pictorium/imago images
Mit Öl verseucht
Die Venezolaner schwimmen im Öl, aber nicht auf die gute Weise: auf dem Maracaibo-See werfen Fischer ihre Netze von alten Autoschläuchen aus ins Wasser, obwohl dieser mit Öl verseucht ist. Auch die Küsten sind betroffen: Wegen Lecks in Öl-Pipelines und einer Panne in einer Raffinerie in der Nähe von Puerto Cabello im Nordwesten des Landes sollen rund 20.000 Barrel Rohöl ins Meer gelaufen sein.
Bild: Miguel Gutierrez/Agencia EFE/imago images
"Das Volk braucht Benzin"
In Guacara im Bundesstaat Carabobo stehen die Autos seit über zwei Wochen vor der Tankstelle und warten auf Benzin. Venezuela muss Öl aus dem Iran importieren, weil die eigenen maroden Erdöl-Anlagen kaum noch Öl fördern können. Vor zehn Jahren lag die Fördermenge noch bei gut 2,3 Millionen Barrel pro Tag, inzwischen ist sie auf weniger als die Hälfte zurückgegangen.
Bild: Juan Carlos Hernandez/ZUMA Wire/imago images
Energieversorgung zusammengebrochen
In Caracas warten die Menschen auf der Straße mit ihren leeren Gasflaschen und hoffen, dass diese endlich wieder aufgefüllt werden können. Da in Venezuela die Energiequellen Strom und Benzin immer wieder ausfallen, sind die Menschen auf Gas ausgewichen. Dadurch ist auch das knapp geworden.
Bild: Miguel Gutierrez/Agencia EFE/imago images
Der Heiligenschein ist verblasst
Die Konterfeis von Hugo Chávez, Fidel Castro, Evo Morales und Rafael Correa blicken von einer Hauswand in Caracas auf einen überquellenden Müllcontainer. Viele Venezolaner haben die sozialistischen Staatsführer von Venezuela, Kuba, Bolivien und Ecuador lange wie Heilige verehrt. In Venezuela hat der Sozialismus des 21. Jahrhunderts sein Versprechen von Wohlstand für alle nicht einlösen können.
Bild: Miguel Gutierrez/Agencia EFE/imago images
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An diesem Montag befassen sich die EU-Außenminister bei ihrem Treffen in Brüssel mit der Parlamentswahl in Venezuela. EU-Vertreter machten im Vorfeld klar, dass der Urnengang als weder frei noch fair betrachtet und somit nicht anerkannt werden kann.