Vorzeitige Wahlen in Frankreich: Weg aus der Krise?
7. Oktober 2025
Der Moderator der satirischen Informationssendung "Quotidien" im französischen Fernsehen trug am Montagabend eine rote Clownsnase und hielt bunte Jonglierbälle in der Hand. Im Hintergrund lief Zirkusmusik und auf einem Zirkusschild stand "France" (Frankreich). Diese Symbolik war allzu offensichtlich, denn die französische Politik hat sich in ein schwer nachvollziehbares Spektakel verwandelt. Und davon könnten vor allem die Extremisten profitieren.
Angefangen hatte der Tag mit einem Paukenschlag: Der nun ausscheidende Premierminister Sébastien Lecornu reichte überraschend seinen Rücktritt und den seiner 14 Stunden zuvor ernannten Minister ein. Sie wurden zur kurzlebigsten Regierung seit 1924.
Lecornu trat zurück, weil Bruno Retailleau von den konservativen Republikanern (LR), der als Innenminister weitermachen sollte, am Sonntagabend seinen Missmut über die neue Regierung bekannt gegeben und ein Treffen seiner Parteispitze für Montagmorgen einberufen hatte. Der Premier kam damit einem eventuellen Rückzug der Republikaner aus der Regierung zuvor.
Sind vorgezogene Wahlen unausweichlich?
Jedoch ist Lecornu noch nicht von der politischen Bildfläche verschwunden. Präsident Emmanuel Macron hat ihn beauftragt, bis Mittwochabend "letzte Verhandlungen zu führen, um eine gemeinsame Plattform des Handeln und der Stabilität zu finden".
Darin sieht Pierre Allorant, Professor für Geschichte des Rechts und der Institutionen an der Universität Orléans, keinen Sinn: "Lecornu konnte in vier Wochen keine Regierung bilden. Und nun soll ihm das in zwei Tagen gelingen?" Das aktuelle Parlament liege in "Agonie", sagt er im Gespräch mit der DW. Dort gibt es seit den vorgezogenen Parlamentswahlen von 2024 drei etwa gleichgroße Blöcke und keine Mehrheit.
"Macron kann das noch ein paar Monate in die Länge ziehen. Er kann eine Regierung der Technokraten oder von Mitte-Links ernennen. Dennoch bräuchte jegliche Regierung die Unterstützung der Mehrheit der Parlamentarier, was sehr schwierig würde", meint Allorant, der erneute vorgezogene Parlamentswahlen für praktisch unausweichlich hält.
"Mit dem Rücken zur Wand"
So sieht das auch Anne-Charlène Bezzina, Verfassungsrechtlerin und Dozentin für Öffentliches Recht an der Universität Rouen Normandie. "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Rechtsaußenpartei Rassemblement National (RN) will nur mit einer Parlamentsmehrheit, die sie derzeit nicht hat, die Regierung übernehmen", erklärt Bezzina gegenüber der DW. "Und eine linksgerichtete Regierung könnte sich nicht lange halten, weil sich inzwischen sogar der Block der Mitte zerschlagen hat."
Laut Umfragen der vergangenen Monate könnte der RN bei erneuten Parlamentswahlen den größten Anteil der Stimmen bekommen. Solche Ergebnisse sind allerdings mit Vorsicht zu behandeln, weil sie nur die Stimmenverteilung auf Landesniveau widerspiegeln. In den 577 Wahlkreisen werden die Kandidierenden hingegen direkt gewählt.
Neuwahlen sind für Bezzina jedoch der einzige Weg nach vorne. "Das Risiko einer Rechtsaußenregierung müssen wir eingehen", findet sie. "Auch wenn der RN keine Mehrheit bekommen sollte, würden unsere Politiker vielleicht trotzdem verstehen, dass sie endlich zusammenarbeiten müssen, um wenigstens den Haushalt für das kommende Jahr zu verabschieden."
Erdrückende Schuldenlast
Frankreichs Staatsschulden übersteigen bereits 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Lecornus Vorgänger François Bayrou war an der Vertrauensfrage im Parlament gescheitert. Eigentlich hatte er sich die Unterstützung für drastische Einsparungen in Höhe von 44 Milliarden Euro sichern wollen, um Frankreichs Haushaltsdefizit von voraussichtlich 5,4 Prozent in diesem Jahr auf 4,6 Prozent im nächsten Jahr zu senken. Doch der Staatshaushalt ist längst zum Stolperstein für jegliche Regierung geworden. Denn während der linke Flügel des Parlaments höhere Steuern für Reiche und höhere Löhne fordert, will der rechte Flügel weder das eine noch das andere, sondern Kürzungen beim Sozialstaat.
Deshalb hat Luc Rouban, Politologe am Forschungsinstitut Cevipof der Universität Sciences Po Paris, jede Hoffnung auf politische Einsicht aufgegeben. "Das Zeitfenster für Kompromisse hat sich geschlossen. Die Parteien wollen jetzt nur noch ihr Profil schärfen, sie blicken auf die nächsten Präsidentschaftswahlen." Die finden planmäßig 2027 statt.
Die neue Stärke der extremen Rechte
Man könne in ganz Europa beobachten, wie die Rechtsaußenparteien erstarken, so der Politologe. "Die linken Parteien haben es nicht geschafft, ihre Programme an neue Begebenheiten anzupassen. Bei leeren Kassen können keine öffentlichen Gelder mehr umverteilt werden. Und bei ohnehin schon hohen Steuern sind weitere Erhöhungen auch keine Lösung. Die Linke hat auch keine Vorschläge, wie man mit zunehmender Einwanderung und einer wegen Terrorismus und Krieg veränderten Sicherheitslage umgehen soll", erklärt er.
Jüngste Umfragen sagen so voraus, dass der RN im ersten Wahlgang der nächsten Präsidentschaftswahlen vorne liegen könnte. Das gilt selbst, wenn der junge Parteichef Jordan Bardella anträte anstelle von Marine Le Pen, die man vor einigen Monaten wegen Veruntreuung von EU-Geldern zunächst zu fünf Jahren Unwählbarkeit verurteilt hat.
Derart frühen Prognosen sei jedoch kaum zu trauen, sagt Historiker Allorant. "In der Vergangenheit haben sich Umfragen ein Jahr oder sechs Monate vor Präsidentschaftswahlen oft als falsch erwiesen." Die Wahl des Staatsoberhaupts könne jedoch früher als erwartet stattfinden. "Präsident Macron ist zunehmend isoliert. Selbst ehemalige Premierminister und Vertraute sagen inzwischen, sie würden ihn nicht mehr verstehen und er solle zurücktreten." Dieses Szenario schließt Frankreichs Staatspräsident jedoch aus.