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VW: Den Zulieferern ausgeliefert?

Klaus Ulrich/tko19. August 2016

Alarmstufe Rot bei VW: Zwei Zulieferer bestreiken den Konzern, 20.000 Mitarbeitern droht Kurzarbeit, die Produktion von Schlüsselmodellen wie Golf und Passat stockt. Wer sitzt am längeren Hebel?

Wolfsburg Volkswagen-Werk Mitarbeiter
Bild: Imago/H. Oed

Volkswagen liegt im rechtlichen Clinch mit zwei Zulieferern. Einerseits ist das der Getriebeteilespezialist ES Automobilguss aus Schönheide, andererseits die Car Trim aus Plauen, die Sitzbezüge liefert. Beide sind in Sachsen ansässig und beide sind nach eigenen Angaben der Prevent-Gruppe zuzurechnen. Zumindest deren deutscher Teil, die Prevent DEV GmbH mit Sitz in Wolfsburg, reklamiert für sich, "nicht juristisch" mit den genannten Gesellschaften verbunden zu sein – eine Aussage, die sehr wichtig werden könnte im Hinblick auf Haftungsfragen. Die Prevent Group ist eine mittelständische Unternehmensgruppe mit mehr als einer halben Milliarde Jahresumsatz.

Weil die Zulieferer Sitzbezüge und Getriebeteile nicht liefern, stockt die Produktion in gleich vier VW-Werken. Etwa 20.000 Beschäftigte in Emden, Kassel, Zwickau und Wolfsburg sind bereits oder bald in Kurzarbeit. Die Fertigung von Brot-und-Butter-Modellen wie Golf und Passat ist in Gefahr beim VW-Konzern, der ja durch die Dieselaffäre bereits immense finanzielle Belastungen schultern muss.

Folgen eines längeren Streits?

Der Streit zwischen der Prevent-Gruppe und VW schwele schon länger, schreibt das Handelsblatt. Zuletzt habe VW massive Qualitätsmängel geltend gemacht - aus Sicht der Zulieferer, um Preisnachlässe zu erzwingen. Deshalb sei es jetzt zum Lieferstopp und damit zum Eklat gekommen.

"Es wird sicherlich Streitereien aus der Vergangenheit geben. Aber genaueres werden natürlich momentan nur der VW-Vorstand und die Prevent-Gruppe selbst wissen ", sagt der Autoexperte Frank Schwope im Gespräch mit der DW. Dass der Zulieferer gut beraten sei, sich mit einem der größten Automobilkonzerne der Welt anzulegen, glaubt Schwope nicht. "In der Vergangenheit hat es dem selbstständigen Unternehmen Karmann aus Osnabrück nicht sonderlich gut getan, mit der späteren VW-Tochter Porsche in den Clinch zu gehen - Karmann ist in der Folge verschwunden."

Zulieferer: "VW zwingt uns zu diesem Vorgehen"

"Für die Krise bei VW und die dadurch entstandene Kurzarbeit sind wir nicht verantwortlich", meldete sich jetzt der Geschäftsführer der ES Automobilguss, Alexander Gerstung, in einer Mitteilung zu Wort. ES und der Sitzspezialist Car Trim - eine ES-Schwester - verweigern trotz der einstweiligen Verfügungen dem Autobauer die Lieferung der Teile, für die VW zumindest kurzfristig keinen Ersatz bei anderen Zulieferern bekommen kann. VW verlagere seine Probleme auf die Zulieferindustrie. Die Wolfsburger kämpfen seit bald einem Jahr mit den Folgen der Abgaskrise und fahren gleichzeitig bei ihrer ertragsschwachen Hauptmarke einen Sparkurs.

"VW zwingt uns zu diesem Vorgehen, um unsere eigenen Mitarbeiter in Niedersachsen und Sachsen zu schützen und letztlich den Fortbestand des Unternehmens zu sichern", argumentierte Gerstung. Die jetzige Situation sei das Resultat einer frist- und grundlosen Kündigung von Aufträgen. Die beiden Unternehmen forderten deshalb einen mittleren zweistelligen Euro-Millionenbetrag von VW. Da der Konzern eine Kompensation ablehne, habe man sich zum Lieferstopp gezwungen gesehen. Dennoch sei man an einer Einigung interessiert: "Wir streben nach wie vor eine einvernehmliche Lösung mit VW an und sind offen für entsprechende Vorschläge."

Auch ein VW-Sprecher sagte, man versuche, weiterhin eine gütliche Einigung herbeizuführen. Harschere Töne kamen am Freitag vom zweitgrößten VW-Aktionär, dem Land Niedersachsen. Der bereits beträchtliche Schaden würde sich mit jedem Tag vergrößern, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in Hannover. Sollte die Verhandlungslösung scheitern, müsse Druck ausgeübt werden. "Dann wird man auch Zwangsmaßnahmen aufnehmen müssen", meinte Weil. Auch VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh verurteilte den Lieferstopp. "Hier läuft ein ganz mieses Spiel", sagte er der Bild-Zeitung.

Produktion reagiert auf kleinste Störungen

Die Produktion in der Autoindustrie läuft wie ein präzise abgestimmtes Uhrwerk. Alles ist genau durchgetaktet und hochautomatisiert. Die Lagerhaltung wurde auf ein Minimum reduziert. Stockt die Zulieferung, gibt es sehr schnell Probleme. So musste beispielsweise der Pharma- und Chemiekonzern Merck in seinem japanischen Werk bei Fukushima 2011 nach dem Erdbeben die Arbeit einstellen. Ein dort produziertes Farbpigment fehlte plötzlich für die Lackierung von Modellen mehrerer großer Autokonzerne. Die Folge waren Millionenschäden weltweit.

Bei einem Streit mit dem Lieferanten wird es für die Hersteller noch schlimmer. So führte eine Auseinandersetzung im Jahre 1998 bei Ford in Köln zu einem kompletten Produktionsstopp, weil ein angeschlagener Zulieferer seine Türschlösser nicht mehr lieferte.

Um Krisen zu vermeiden, versuchen die Autokonzerne auch häufig, ihre Zulieferer zu unterstützen, wenn diese in Schwierigkeiten geraten, und gehen in finanzielle Vorleistung - oft mit schwerwiegenden Folgen. "Bei der Vergabe von neuen Aufträgen wird um jeden Cent gefeilscht," sagt Stefan Bratzel, Leiter des CAR-Instituts der Fachhochschule Bergisch Gladbach. Gerät der Zulieferer dadurch in Bedrängnis "muss man mit Millionen retten".

Zulieferindustrie im Aufwind

Den aktuellen Streitigkeiten bei VW zum trotz - laut Bratzel befindet sich die deutsche Zulieferindustrie im Aufwind. Nach einer entsprechenden Untersuchung seines Instituts sehen knapp 60 Prozent der Zulieferer in Deutschland "gute" oder "sehr gute" Geschäftsaussichten für das Jahr 2017. Dabei blicken größere Firmen optimistischer in die Zukunft als kleine und mittelständische Unternehmen, die dem insgesamt steigenden Kostendruck stärker ausgesetzt sind. Allerdings werden Qualitätsprobleme aufgrund des preisgetriebenen Einkaufs weiter zunehmen, glaubt man in der Branche. Deutschland könnte damit als Entwicklungs- und Produktionsstandort künftig an Bedeutung verlieren.

Autohersteller müssten bereits, bevor Konflikte mit einem eventuell existentiell bedrohten Zulieferer entstehen, Konzepte für den Krisenfall entwickeln und Alternativen in der Hinterhand haben, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen in einem Interview. Die aktuellen Produktionsprobleme bei Volkswagen sind für ihn vor allem auf das Versagen der Einkaufsabteilung des Wolfsburger Konzerns zurückzuführen.

Welche Rolle spielt die Dieselaffäre?

Dass der Abgasskandal und die damit verbundenen Verluste bei VW dazu geführt hätten, bestimmte Zulieferer noch stärker unter Druck zu setzen, bezweifelt Frank Schwope von der NordLB im Gespräch mit der DW: "Ich sehe da keinen Zusammenhang zu der Dieselaffäre. Aber es sind natürlich wieder Negativ-Schlagzeilen, die VW letzten Endes auch Geld kosten, alleine schon wegen der Produktionsausfälle." Ob die Zulieferer jemals zur Schadensregulierung herangezogen werden könnten, stehe in den Sternen. "Man weiß ja auch nicht, wer dort speziell in der Haftung steht, die Töchter oder die ganze Prevent-Gruppe."

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