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VW-Leiharbeiter in China protestieren

3. März 2017

Im chinesischen VW-Werk Changchun hängt der Haussegen schief: Hunderte Leiharbeiter drohen wegen schlechter Bezahlung mit einer Klage. Der Fall ist aber nur ein Beispiel für die wachsende Unruhe unter Chinas Arbeitern.

Screenshot aus einem YouTube-Video der Leiharbeiter am VW-Atndort in der chinesischen Provinz Jilin
"Gleiche Arbeit, ungleicher Lohn" - Protest von Leiharbeitern eines Volkswagen-Standortes in der Provinz Jilin Bild: YouTube

Ihre Forderungen haben es in sich: Bis zu 200.000 Euro pro Person verlangen rund 1500 Leiharbeiter für entgangene Löhne im Werk Changchun, das Volkswagen zusammen mit dem chinesischen Konzern FAW im Nordosten des Landes betreibt.

Nach Informationen des China Labour Bulletin, einer Nichtregierungsorganisation (NGO) aus Hongkong, die sich für Arbeiterrechte in China einsetzt, fühlen sich die Leiharbeiter von einem Schiedsgericht, das sie Mitte Februar angerufen hatten, hingehalten. Nach chinesischem Gesetz müssen Schiedsgerichte innerhalb von fünf Tagen darüber entscheiden, ob sie einen Fall zur Schlichtung annehmen - eine Frist, die mittlerweile verstrichen ist. Jetzt wollen die Arbeiter offenbar ihren Fall vor ein reguläres Gericht bringen.

Nach Angaben der protestierenden Arbeiter beschäftigt das Joint Venture von Volkswagen und dem staatlichen Konzern FAW manche Leiharbeiter bereits seit zehn Jahren oder länger, bezahlt ihnen aber nur die Hälfte von dem, was ein Mitglied der Stammbelegschaft verdient.

Diese Arbeiter fordern jetzt nicht nur entgangene Löhne, sondern auch eine Kompensation für nicht gezahlte Zulagen und in China übliche Sachleistungen. Die beteiligte Leiharbeitsfirma Changchun Hongxin Youye Human Resources verstoße, so ihr Vorwurf, gegen das chinesische Arbeitsgesetz, das gleichen Lohn für gleiche Arbeit vorsieht.

"Grundsätzlich gibt das chinesische Arbeitsrecht den Leiharbeitern Recht", erklärt Cynthia Estlund, Jura-Professorin an der New York University und Expertin für chinesisches Arbeitsrecht, gegenüber der DW. "Das Recht auf gleiche Bezahlung war eines der zentralen Elemente bei der Überarbeitung des chinesischen Arbeitsgesetzes im Jahr 2012, um etwas gegen die weit verbreiteten Missstände im chinesischen Arbeitsentsendesystem - wie in China der Leiharbeiterbereich genannt wird - zu unternehmen."

Szene aus dem Protestvideo der Leiharbeiter auf Youtube: "Jeder bekommt eine Schale Reis" - die Leiharbeiterin muss sich aber mit weniger abfinden Bild: YouTube

Dass sich chinesische Arbeiter an Schiedsstellen wenden, sei nicht ungewöhnlich, so Cynthia Estlund: "Die meisten arbeitsrechtlichen Streitfälle gehen zunächst einmal an eine Schiedsstelle und können erst danach vor ein Gericht gebracht werden."

Da es darüber keine verlässlichen Daten gibt, hat auch Estlund keinen genauen Überblick über die Anzahl von Arbeiterbeschwerden - vor allem seit die überarbeitete Version des chinesischen Arbeitsgesetzes 2013 in Kraft getreten ist.

Doch selbst chinesische Quellen gingen von zehntausenden Arbeitsstreitfällen pro Jahr aus, sagt Estlund. Und: "Es gibt tatsächlich Arbeiter, die Gerichtsverfahren gewonnen haben, nachdem sie sich mit ihren Forderungen auf das chinesische Arbeitsvertragsgesetz berufen haben", bestätigt die Arbeitsrechtlerin.

Gratwanderung der Staats- und Parteiführung

Die chinesische Staats- und Parteiführung fürchtet seit längerem die wachsende Unruhe unter den Arbeitern im Land und vertraut dabei auf einen immer ausgefeilteren Mix aus Zuckerbrot und Peitsche, lautet Estlunds Fazit. Aus Angst vor dem Gespenst einer unabhängigen Arbeiterbewegung vertraue Peking dabei auf ein Krisenmanagement, das sich zwischen Repression und Konzession, Konfrontation und Gleichschaltung, Unnachgiebigkeit und Pragmatismus bewege.

Estlund hat sich für die Recherche an ihrem aktuellen Buch "A New Deal for China's Workers?" mehr als fünf Jahre lang mit dem Thema intensiv beschäftigt und weiß, dass nicht alle in China glücklich darüber sind, dass das überarbeitete chinesische Arbeitsrecht die Rechte der Arbeiter stärkt. Es gebe die Kritik, das Gesetz sei aus Furcht vor sozialen Unruhen zu weit gegangen und gebe Arbeitern einen zu großen Hebel zur Durchsetzung ihrer Forderungen an die Hand.

Außerdem, argumentieren viele Unternehmen, setze das Gesetz - zumindest für manche Arbeitgeber - zu hohe arbeitsrechtliche Standards für die noch nicht voll entwickelte chinesische Volkswirtschaft. "Ganz gleich, wie man über diese Bedenken denkt: Es gibt eine Diskussion darüber, ob das Gesetz nicht wieder überarbeitet werden soll, um eine größere 'Flexibilität' für Arbeitgeber zu erreichen", so Estlund.

Der deutsche Jurist Rolf Geffken befasst sich seit 2003 mit dem chinesischen Arbeitsrecht und hat nach eigenen Angaben den einzigen "arbeitnehmerorientierten" Kommentar zum chinesischen Arbeitsrecht verfasst. Der Hamburger Rechtsanwalt sieht auch Volkswagen in der Pflicht. Denn die Arbeiter beriefen sich nicht nur auf das geltende chinesische Arbeitsvertragsgesetz, sondern auch auf die mit dem "Weltbetriebsrat" des VW-Konzerns abgeschlossene "Charta der Zeitarbeit im Volkswagen-Konzern" vom 30. November 2012. "Tatsächlich verstößt die Verweigerung der gleichen Bezahlung sowohl gegen chinesisches Recht wie auch gegen die Charta der Zeitarbeit", sagt Geffken.

Die Leiharbeiter berichten über ihre Aktionen regelmäßig im sozialen Netzwerk WeiboBild: Weibo

Im chinesischen Arbeitsgesetz sei die Arbeitnehmerüberlassung durch Leiharbeitsfirmen so definiert, "dass damit nur solche Stellen gemeint seien, die nicht länger als 6 Monate existieren. In Artikel 63 heißt es ausdrücklich: Der Leiharbeitnehmer hat einen Anspruch darauf, für die gleiche Arbeit auch das gleiche Entgelt zu erhalten wie die Festangestellten des Entleihers", unterstreicht der Hamburger Rechtsanwalt. "Danach ist die Beschäftigung der meisten Betroffenen in Changchun als Leiharbeiter illegal. Die Arbeiter haben einen Anspruch auf Festanstellung und unabhängig davon auch auf gleiche Bezahlung."

Chinas Staatsmedien schweigen

Berichte über Arbeiterproteste sucht man in den staatlich gelenkten Medien Chinas meistens vergeblich. Und allzu offene Kritik verschwindet meist ganz plötzlich aus den sozialen Netzwerken. Manchmal aber schaffen es Proteste auch auf Plattformen wie YouTube - und sind damit dem Zugriff der chinesischen Internet-Zensur entzogen. So auch im Fall der FAW-VW-Leiharbeiter aus Changchun. In einem Video prangern sie ihren "ungleichen Lohn bei gleicher Arbeit" an und fordern: "Zahlt uns zurück, was wir mit Blut und Schweiß verdient haben." Die Leiharbeiter von Changchun geben sich in ihrem Video entschlossen: "Sonst bleibt uns als einziger Ausweg nur, nach Peking zu gehen."

Mitarbeit: Cui Mu

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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