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VW verspricht Aufklärung ohne Tabus

Henrik Böhme, z.Zt. Wolfsburg10. Dezember 2015

Die Aufklärung des Dieselskandals bei VW kommt nur langsam voran. Jetzt hat der Konzern erste Erkenntnisse vorgelegt. Namen wurden noch nicht genannt. Aber man sagt höchste Transparenz zu. Aus Wolfsburg Henrik Böhme.

Deutschland Volkswagen Pressekonferenz
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

VW Dieselgate: Eine Chronik

02:43

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Das riesige Werk in Sichtweite: Volkswagen hatte zur ersten Pressekonferenz nach Bekanntwerden des Abgasskandals Mitte September auf den sogenannten MobileLife-Campus geladen, wo sich die hauseigene Universität befindet. Ein Symbol dafür, dass man den Blick lieber nach vorn richten will? Das zumindest galt nur für einen Teil der Veranstaltung. Denn natürlich muss die Konzernspitze zuallererst aufklären, wie es zu den Schummeleien kommen konnte, von denen weltweit elf Millionen Dieselfahrzeuge betroffen sind.

Diese Aufklärung wird wohl noch Zeit brauchen. Mehr als 100 Terabyte Daten - das entspricht etwa 50 Millionen digitalisierten Büchern - seien sicher gestellt worden, sagte Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch am Donnerstag (10.12.2015) in Wolfsburg. 450 interne wie externe Experten seien "ohne Tabus" mit der Auswertung beschäftigt. "Alles kommt auf den Tisch, nichts wird unter den Teppich gekehrt", versprach der oberste Konzernaufseher, der viele Jahre lang als Finanzvorstand engster Vertrauter des langjährigen Konzernchefs Martin Winterkorn war.

"Krise als Katalysator"

Aber Pötsch sagte eben auch, dass sich niemand im Konzern habe vorstellen können, jemals in eine solche Situation zu geraten, sie sei "die größte Herausforderung in der Geschichte des Unternehmens." Den Aktionären, die in den vergangenen zweieinhalb Monaten dabei zusehen konnten, wie der Wert der Aktie immer weiter zerbröselte, versicherte der Aufsichtsratschef, dass der Konzern "auch in diesen bewegten Tagen in jeder Hinsicht voll handlungsfähig" sei. Auch Konzernchef Matthias Müller mühte sich um Optimismus: "Wir tun alles, um die aktuelle Situation zu bewältigen. Aber wir werden nicht zulassen, dass uns diese Krise lähmt." Man werde sie im Gegenteil als "Katalysator für den Wandel nutzen", den Volkswagen brauche.

Aber wie konnte es zu dem Betrug mit der Schummel-Software kommen? Wer hat davon gewusst? War das Top-Management eingeweiht? Da fallen die Antworten von Hans Dieter Pötsch weniger euphorisch aus. Bislang sind seinen Worten zufolge drei Faktoren ausgemacht: "Individuelles Fehlverhalten und persönliche Versäumnisse einzelner Mitarbeiter, Schwachstellen in einigen Prozessen und eine Haltung in einigen Teilbereichen des Unternehmens, Regelverstöße zu tolerieren." Dennoch bleibt die Konzernspitze dabei, das nur eine "überschaubare Zahl von Mitarbeitern" zu den Schummeleien beigetragen hat. Man könne aber zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Namen nennen, weil erstens die Ermittlungen und Befragungen noch nicht abgeschlossen seien und zweitens auch hier die Unschuldsvermutung gelte. "Sorgfalt geht vor Geschwindigkeit", sagte Pötsch und bat um Geduld. Man strebe an, zur nächsten Hauptversammlung am 21. April des kommenden Jahres Klarheit zu haben und dort den Aktionären einen umfassenden Bericht vorzulegen.

Das gigantische Gelände des Stammwerk in WolfsburgBild: Volkswagen

Wie es zum Betrug kam

Trotzdem werden erste Umrisse sichtbar, wie es sich mit der "Stickstoff-Thematik" - so nennt Volkswagen das, was in den sozialen Netzwerken längst unter dem Hashtag #Dieselgate läuft - verhalten hat. Seinen Ursprung hat die Affäre, die Europas größten Autobauer in die tiefste Krise seiner Geschichte gestürzt hat, schon im Jahr 2005. Damals traf der Konzern die Entscheidung, in den USA eine Dieseloffensive zu starten, weil dieser Markt in den USA als vergleichsweise unerschlossen galt und VW mit seinen Benzinern keine relevanten Marktanteile erringen konnte. Aber zunächst wurde kein Weg gefunden, die sehr strengen Stickoxid-Vorgaben mit zulässigen Mitteln zu erfüllen. So kam es zum Einbau der Software, die den Ausstoß der Schadstoffe auf dem Prüfstand reduzierte.

Und als mit der sogenannten AdBlue-Technologie eine Lösung zur Verfügung stand, wurde sie nicht genutzt: Der Betrug war ja bislang nicht bemerkt worden. Und so wurde eben weiter geschummelt. Warnungen von US-Behörden im Jahr 2014 wurden offenbar nicht erhört. So platzte die Bombe am 3. September dieses Jahres, VW konnte das Ganze noch zwei Wochen unter dem Teppich halten; schließlich begann die wichtige Automesse IAA in Frankfurt. Aber seit dem 18. September ist die Welt von und für Volkswagen eine andere.

Erste Schritte in eine neue Zeit

Nun also ist der Konzern um Aufklärung und Neustart bemüht. Matthias Müller bekräftige auf der Pressekonferenz in Wolfsburg, dass man bei der Umsetzung des von ihm vor einigen Wochen vorgestellten Fünf-Punkte-Plans vorankomme. Im Mittelpunkt steht, verloren gegangenes Vertrauen der Kunden zurück zu gewinnen. Im Januar beginnen die Rückrufaktionen, sie werden das gesamte Jahr 2016 über andauern. Zu den finanziellen Belastungen könne man aber noch keine konkreten Angaben machen. VW hat 6,7 Milliarden Euro beiseite gelegt und sich für alle Fälle 20 Milliarden an Krediten bei Banken gesichert. Zudem verfügt der Konzern über eine mit 27 Milliarden Euro gut gefüllte Kriegskasse. Aber niemand weiß, was vor allem die Sammelklagen in den USA, die demnächst in Kalifornien verhandelt werden, kosten werden.

Will mit der Vergangenheit aufräumen: Matthias MüllerBild: Reuters/N. Treblin

Weitere Aspekte von Müllers Fünf-Punkte-Plan sind die "rückhaltlose Aufklärung" des Abgasskandals, die Einführung neuer Strukturen im Konzern, eine neue Führungskultur und eine langfristige strategische Neuausrichtung bis 2025. Klar wird: Das alleinige Streben nach Größe, mit dem Müllers Vorgänger Winterkorn VW zu Nummer Eins der Autowelt machen wollte, wird nicht mehr das Ziel sein.

Müller sieht eine Menge Stärken bei seinen Mitarbeitern, die sich alle stark mit VW und seinen Autos identifizieren würden. Nur werde dies "alles ins Leere laufen ohne die richtige Haltung und Mentalität." Und dann rechnet Müller noch mit der Ära Winterkorn ab: Man brauche keine Ja-Sager, sondern Manager und Techniker, die mit guten Argumenten für ihre Projekte kämpfen. Dieses Plädoyer gelte den "Neugierigen, Unangepassten, den Pionieren. Den Mutigen gehört die Zukunft bei Volkswagen. Wir brauchen ein Stück mehr Silicon Valley, gepaart mit der Kompetenz aus Wolfsburg, Ingolstadt, Stuttgart und den anderen Konzernstandorten."

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