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Politik

"Würge-Saison" auf dem Balkan

Samir Huseinovic Sarajevo | Ivica Petrovic Belgrad | Dalibor Dobric Zagreb
5. November 2019

Wenn der Winter naht, herrscht auf dem Westbalkan dicke Luft. Der Smog hat Belgrad, Sarajevo oder Zagreb fest im Griff. Doch anstatt Luftreinhaltepläne umzusetzen, spielt die Politik das Problem herunter.

Smog in Belgrad
Bild: Reuters/M. Djurica

Am 26. Oktober war es soweit: Die serbische Hauptstadt Belgrad wurde offiziell zur Stadt mit der weltweit größten Luftverschmutzung, gefolgt von Bosniens Hauptstadt Sarajevo. Schon Tage vorher hatten sie auf der WebsiteAirVisual einen der vorderen Plätze belegt. Dabei sind sie in der Region keine Ausnahme: Die Behörden in Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien sagen, dass auch andere Städte auf dem westlichen Balkan mit Beginn des Winters anfangen, "schwerer zu atmen". Diese Feststellung ist als Beruhigung gedacht: Es gebe keinen Grund zur Panik, denn es handele sich um nichts Außerordentliches, sonder vielmehr um eine "für diese Jahreszeit übliche Umweltverschmutzung".

Dabei unternehmen die Behörden in keinem der drei Länder besonders viel, um dem Problem Herr zu werden, im Gegenteil: "Manchmal handeln sie sogar wider besseren Wissens", sagt Radomir Lazovic von der Bürgerinitiative "Lasst Belgrad nicht ersticken". "So wird beispielsweise in Vinca in der Nähe von Belgrad eine Müllverbrennungsanlage gebaut, obwohl die Europäische Investitionsbank kürzlich deren Finanzierung abgelehnt hat, weil sie nicht den Standards entspreche, die Serbien als EU-Beitrittskandidat akzeptiert hat", sagt Lazovic.

Im Winter verschwindet Sarajevo oft unter einer dichten Smog-GlockeBild: DW/Z. Ljubas

Dass die Behörden den Smog zu einer "regelmäßig auftretenden Verschmutzung" herunterspielen, sieht Lazovic als Versuch, die Bürger zu beruhigen. "Das ist Realitätsflucht. Man kann nicht sagen, dass die Verschmutzung einfach passiert. Das stimmt nicht: Es gibt immer eine Verschmutzungsquelle und es gibt Möglichkeiten, die Verschmutzung zu verringern. Unsere Behörden ergreifen aber Maßnahmen, die zu noch mehr Verschmutzung führen", sagt Lazovic.

Gas statt Kohle

Während in vielen Balkanstädten die Luft hauptsächlich im Winter verschmutzt ist, ist die Luft in den bosnischen Städten Zenica, Tuzla und Lukavac das ganze Jahr über schlecht, sagt Samir Lemes von der Bürgervereinigung Eco Forum Zenica gegenüber der DW. "Industrieanlagenbesitzer haben kaum oder gar nicht in neue Technologien investiert, die ihre Emissionen senken würden. Frühere Investitionen in fortschrittliche Technologien wurden durch den Krieg in den 1990er Jahren unterbrochen, und die Privatisierung nach dem Krieg brachte keine Änderungen mit sich, die die Emissionen von Schwefeldioxid (SO2) erheblich verringern würden ", sagt Lemes. Eine der Folgen: In Zenica, einem Zentrum der Metallindustrie in Bosnien/Herzegowina, wurde 2018 an 252 Tagen die erlaubte Schadstoffkonzentration in der Luft überschritten. Erlaubt ist das gesetzlich nur an drei Tagen pro Jahr.

Auch Bosniens Hauptstadt Sarajevo gehört regelmäßig zu den Städten Europas mit der höchsten Luftverschmutzung. Sarajevo liegt in einem Talkessel, in dem kaum Luftaustausch stattfinden kann. Zudem werden noch immer viele Haushalte mit Kohle beheizt. Bereits in den 1970er Jahren hatte die Stadtverwaltung flächendeckend Gasleitungen verlegen lassen. Das half: "Die Konzentrationen von SO2 und Ruß in der Luft von Sarajevo wurden dadurch erheblich verringert", sagt Samir Lemes.

Asthmatiker haben in den Städten des ehemaligen Jugoslawien besonders viel zu leidenBild: DW/Z. Ljubas

Chronische Patienten ohne Luft

Aufatmen konnten die Bewohner Sarajevos aber nur für kurze Zeit. "Der Verkehr hat zugenommen, genauso wie der Einsatz fester Brennstoffe, denn der Gaspreis ist zu hoch. So wurden die positiven Auswirkungen der 1980er Jahre zunichte gemacht. Die Situation wird durch den ungeplanten Bau von Hochhäusern, die den Luftstrom reduzieren, und Privathäusern ohne Gas- oder Zentralheizung verschärft. Außerdem gibt es zu wenige Grünflächen. So ist klar, dass die Bürger dazu verdammt sind, verschmutzte Luft einzuatmen", warnt Lemes.

Einer dieser "Verdammten" ist Nenad aus Sarajevo, der seit langem an Asthma leidet. "Für uns chronisch Kranke ist die Wintersaison in Sarajevo immer eine Würgesaison. Das Schlimmste ist, dass wir uns bei Smog nicht frei bewegen können. Aber wir müssen irgendwie zur Arbeit kommen. Oder zum Arzt. Die einzige Rettung wäre, in die Berge zu fliehen, aber auch das ist nicht immer möglich", sagt er. "In 15 Jahren wird etwa die Hälfte aller Menschen Allergieprobleme haben", schätzt Boro Nogalo, Direktor des Zagreber Kinderkrankenhauses zur Behandlung von Atemwegserkrankungen. Dabei kämen Allergien an Orten mit Luftverschmutzung häufiger vor als anderswo. "Luftverschmutzung schädigt die Schleimhäute der Atemwege und verursacht in Kombination mit Allergenen allergische Entzündungen", sagt Nogalo.

Von der Luftverschmutzung sind besonders Kinder bedrohtBild: picture-alliance/dpa/dpa-Zentralbild/W. Grubitzsch

Wissenschaft versus Politik

Obwohl Kroatien seit über fünf Jahren EU-Mitglied ist, herrscht hier keine bessere Luft als in anderen Ländern der Region. Zwar können die Städte an der Küste dank ihrer günstigen geografischen Lage eine meist gute Luftqualität vorweisen. Im Landesinneren dagegen werden die Grenzwerte regelmäßig überschritten, auch in der Hauptstadt Zagreb. Eine einfache Lösung des Problems gebe es leider nicht, meint Samir Lemes von der Bürgervereinigung Eco Forum Zenica. Vielmehr brauche man ein Maßnahmenbündel, dass viele Probleme gleichzeitig angehe. "Industriezentren brauchen Filter und Technologien, um Emissionen zu reduzieren. Der öffentliche Verkehr muss verbessert und zugänglicher gemacht werden, um den Bedarf an solchen Fahrzeugen zu verringern. Es sollte daran gearbeitet werden, Gebäude besser zu isolieren, um den Energieverbrauch für Heizungen zu senken", so Lemes.

Außerdem, fordert er, müssten zunehmend auch schmutzige Autos aus dem Verkehr gezogen werden. Und es sei besonders wichtig, "die Kohle als Energiequelle schrittweise zu beseitigen, denn wir leben nicht im 19., sondern im 21. Jahrhundert. Anstelle neuer Blöcke bei den Kohlekraftwerken brauchen wir mehr erneuerbare Energien", so Lemes. Es gehe, betont der Umweltaktivist, nicht darum, Lösungen neu zu erfinden, denn es bestehen schon viele positive Erfahrungen aus anderen Ländern. Vielmehr ginge es darum, beim Umweltschutz mehr auf die Wissenschaft und weniger auf die Politik zu hören - und endlich zu handeln.

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