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Politik

Wachsender Rassismus in Polen

17. Dezember 2016

Noch nie gab es in Polen so viele Übergriffe mit rassistischem Hintergrund wie 2016. Die Attacken richten sich vor allem gegen Muslime und Afrikaner. Aber auch antideutsche Ressentiments spielen eine Rolle.

Polen Protest gegen Aufnahme von Flüchtlingen
Proteste in Warschau gegen die Aufnahme von Flüchtlingen (Sommer 2015) Bild: picture-alliance/dpa/R. Guz

Drei Studenten aus der Türkei und Bulgarien wurden in einer Straßenbahn im nordpolnischen Bydgoszcz von jungen Männern vulgär beschimpft. Sie sollten das Land verlassen, denn Polen gehöre den Polen, bekamen sie zu hören. Fälle wie dieser von Anfang Dezember häufen sich in letzter Zeit: Auch in der Universitätsstadt Thorn nehmen Angriffe auf ausländische Studenten in beunruhigendem Tempo zu. Ein junger Türke wurde kürzlich beschimpft und anschließend krankenhausreif geschlagen. Zwei andere mussten in einer Kneipe auf die Knie gehen - gezwungen von der Bedienung des Lokals. Sie mussten sich "entschuldigen", dass sie keine Christen, sondern Muslime seien. Um sie herum sammelten sich mehrere Kneipenbesucher - doch nicht, um zu helfen, sondern um sich über die erniedrigten Studenten lustig zu machen. 

"Schutzengel" für ausländische Studenten

"Ich bin schockiert über die Lynchatmosphäre bei diesem Vorfall", sagt Ewa Walusiak-Bednarek, Sprecherin der Thorner Universität. "Seit zehn Jahren haben wir Austauschstudenten aus dem Ausland und noch nie zuvor war so etwas vorgekommen. Und in diesem Jahr schon zweimal!", fügt sie empört hinzu.

Polnische Rechte demonstrieren gegen Flüchtlinge in SlubiceBild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Zur Tradition der Uni mit 20.000 Studenten gehörte schon immer eine intensive Begleitung der ausländischen Gäste durch polnische Kommilitonen - man nennt sie Schutzengel. "Die Idee ist, dass man den ausländischen Studenten hilft, sich im Alltag zu orientieren und das Land besser kennenzulernen", sagt Walusiak-Bednarek. "Nach den letzten beiden Übergriffen ist die Zahl der polnischen 'Schutzengel' von 30 auf 110 gestiegen, so dass fast jeder der 130 Ausländer seinen eigenen bekommt."

Doch nicht nur in der Provinz kommt es zu Übergriffen gegen Ausländer. Vor kurzem wurde ein nigerianischer Doktorand von der Uni Warschau auf der Straße angegriffen und verletzt. Im Sommer sorgte der Fall eines polnischen Professoren für Aufsehen, der sich in einer Straßenbahn mit einem deutschen Gastwissenschaftler in dessen Muttersprache unterhielt. Es blieb nicht nur bei Beschimpfungen: Dem Professoren wurde sogar ins Gesicht geschlagen. Die Medien berichteten ausführlich darüber, doch eine öffentliche Verurteilung dieses Verhaltens seitens der Regierung kam nicht. Der Schläger wurde nach drei Monaten freigelassen.

Zahl der rassistischen Übergriffe zehnmal höher als im Jahr 2000  

Anna Tatar von der Stiftung "Nie wieder" in Warschau erfasst rassistische Übergriffe aus ganz Polen in ihrem "Braunen Buch". In den Jahren 2009-2010 hat sie 400 Fälle aufgeführt. Zwei Jahre später waren es schon 600. "Seit Sommer 2015 ist eine weitere Eskalation zu beobachten, die offiziellen Zahlen werden gerade aufgearbeitet", sagt sie im Gespräch mit der DW.  Die rassistische Stimmung sei auf die Flüchtlingsdebatte in der Wahlkampagne vor den Parlamentswahlen im Herbst 2015 zurückzuführen, sagt Anna Tatar. Dabei hat Polen keine Flüchtlinge aufgenommen. Doch die Wut vieler polnischer Bürger angesichts der hohen Flüchtlingszahlen in Europa, die im Wahlkampf ein großes Thema war, ist geblieben. Anna Tatar kritisiert in diesem Zusammenhang auch die polnischen Medien: "Sie haben die Flüchtlinge als eine Masse dargestellt, ohne Gesichter, ohne individuelle Geschichten."

Seit 2000 hat sich die Zahl der Übergriffe mit rassistischem Hintergrund mehr als verzehnfacht - und das, obwohl der Ausländeranteil in Polen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern niedrig ist. 2013 waren 850 Ausländer von Übergriffen betroffen, 2015 fast doppelt so viele, zeigen Polizeistatistiken. Während früher vor allem Juden und Roma angegriffen wurden, sind es heute häufiger Muslime und Afrikaner.

Die Täter werden selten bestraft. 2015 gab es nur 70 Klagen. Die geläufige Begründung für die vielen eingestellten Ermittlungen lautet: "Geringer gesellschaftlicher Schaden." Ausnahmen, wie ein Fall aus Breslau, sind selten. Dort hat ein Gericht einen Mann verurteilt, der im Herbst 2015 eine Juden-Puppe auf dem zentralen Marktplatz der Stadt verbrannte: Zehn Monate Haft ohne Bewährung.

Toleranz für Fremdenhass

Beunruhigend ist dabei das Schweigen der Politik. Vergeblich wartete man auf scharfe Reaktionen nach den brutalen Attacken von Thorn und Warschau. Statt solche Fälle öffentlich zu verurteilen, schützen Politiker und Behörden manchmal sogar die Täter. Als im April 2016 bei einer Demonstration im nordöstlichen Bialystok radikale Nationalisten laut gerufen haben, man solle "Juden erhängen", sah es die Staatsanwaltschaft nicht als eine rassistische Straftat. Man solle nicht jeden Ausdruck einer Abneigung mit einem Aufruf zum Hass gleichsetzen, so die Begründung.

Nazi-Schmierereien auf dem jüdischen Friedhof in BialystokBild: picture-alliance/dpa/P. Supernak

Dabei kamen die Täter aus dem "National-Radikalen Lager", einer der größten rechtsradikalen Gruppierungen in Polen. Ihr Symbol, eine Hand mit Messer, ähnelt dem Hakenkreuz und ist neben diesem und dem Ku-Klux-Klan-Zeichen eindeutig als rassisches Symbol in einem Handbuch für Polizisten abgebildet. Nachdem der Abgeordnete Adam Andruszkiewicz, der für seine engen Kontakte zur rechtsradikalen Szene bekannt ist, im Parlament kritisierte, dass die Zeichen in einem Atemzug genannt werden, zog das Innenministerium das interne Handbuch aus dem Verkehr.

Eine erkennbare Strategie der Regierung gegen diese steigende Ausländerfeindlichkeit lässt auf sich warten. Stattdessen trifft sie Entscheidungen, die angesichts dieser Entwicklungen schwer nachvollziehbar sind, wie im Fall des Rates zur Bekämpfung von Rassendiskriminierung. Dieser hat seit 2013 Fälle von Fremdenhass analysiert und regelmäßig einen Bericht dazu veröffentlicht. 2016 wurde er abgeschafft.

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