Wachstum durch Waffen? Ökonomen warnen
2. Juli 2025
Der 18. März 2025 wird in die deutsche Geschichte eingehen. An diesem Tag machte der Bundestag mit einer Zweidrittel-Mehrheit den Weg für eine nie gekannte Aufnahme von Schulden frei. Kreditfinanziert sollen in den kommenden Jahren 400 Milliarden Euro in die marode deutsche Infrastruktur und 100 Milliarden in Maßnahmen für den Klimaschutz gesteckt werden.
Noch viel mehr Geld soll in die Landesverteidigung gesteckt werden. Dafür ist in Zukunft praktisch kein Limit mehr gegeben. Was immer es braucht, um Deutschland und die Bundeswehr wieder "kriegstüchtig" zu machen - wie es SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine immer wieder forderte - soll finanziert werden. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will die deutsche Armee zur konventionell stärksten in Europa machen.
Rüstungsindustrie im Aufschwung: Rheinmetall-Aktie explodiert
Für Unternehmen, die Straßen und Brücke bauen, Schienen verlegen oder Glasfaserkabel für schnelles Internet herstellen, sind das großartige Nachrichten. Noch viel mehr profitiert die Rüstungsindustrie. Über Jahrzehnte war sie im deutschen Wirtschaftsgefüge immer unbedeutender geworden. Wer interessierte sich in Deutschland noch für Panzer?
2020 konnte man eine Aktie des größten deutschen Rüstungsunternehmens Rheinmetall für 59 Euro kaufen. Im Juni 2025 pendelte sie zwischen 1700 und 1800 Euro. Die Schweizer Großbank UBS prognostiziert weitere Steigerungen und spricht aktuell von einem Kursziel von 2200 Euro.
Das Versprechen: Ein "gigantisches Konjunkturprogramm"
Goldene Zeiten für die Branche, doch deren Manager beteuern, die Rüstungsausgaben kämen nicht nur den Unternehmen zugute. "Rüstungsausgaben sind ein gigantisches Konjunkturprogramm", sagte im März 2025 der Chef des Rüstungskonzerns Hensoldt, Oliver Dörre, auf einer Veranstaltung in Frankfurt. Mehr Investitionen in die Verteidigung könnten die Wirtschaft ankurbeln, um die es in Deutschland bekanntlich nicht gut bestellt ist.
Auch Politiker erhoffen sich einen Modernisierungsschub für die Industrie und neue Impulse für das wirtschaftliche Wachstum. Doch schon in der Debatte vor dem Beschluss des Bundestags dämpften Ökonomen die Euphorie. "Die Steigerung der staatlichen Militärausgaben wird der deutschen Wirtschaft einen Anschub geben, doch der wirtschaftliche Impuls wird eher moderat ausfallen", schrieb Tom Krebs, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim in einer Stellungnahme für den Haushaltsausschuss des Bundestags.
Ökonomen warnen: Geringe Rendite trotz hoher Staatsausgaben
Krebs und sein Kollege Patrick Kaczmarczyk haben diese Einschätzung nun in einer Studie weiter präzisiert. Bei der Untersuchung, wie stark zusätzliche Staatsausgaben das Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller wirtschaftlichen Leistungen, erhöhen, ergebe sich für Militärausgaben in Deutschland ein Faktor von maximal 0,5. Übersetzt heißt das, dass ein ausgegebener Euro Staatsgeld im besten Fall zu 50 Cent zusätzlicher wirtschaftlicher Aktivität führt.
Zum Vergleich: Investitionen in Infrastruktur und Bildung oder ein Ausbau der Betreuungsinfrastruktur in Kitas und Schulen verdoppeln bis verdreifachen den Einsatz. "Aus ökonomischer Sicht", so Krebs, "ist die geplante Militarisierung der deutschen Wirtschaft eine risikoreiche Wette mit niedriger gesamtwirtschaftlicher Rendite."
Rüstungsausgaben sind wie Versicherungen
Woran das liegt, ist nicht schwer zu erklären. Wenn ein Panzer gebaut wird, steht er entweder irgendwo, oder er wird im schlimmsten Fall zerstört. Er schafft keinen volkswirtschaftlichen Mehrwert. Rüstungsausgaben sind wie Versicherungen. Man schließt sie ab, um im Ernstfall einen Schutz zu haben. Wird die Versicherung nicht gebraucht, ist das Geld aber weg.
Investiert der Staat hingegen in Verkehrswege, dann können auf diesen Straßen, Brücken und Schienen Güter in Betriebe transportiert werden. Dort kann man aus ihnen Produkte herstellen, die verkauft werden. Werden Kindergärten gebaut, können Eltern arbeiten und Geld verdienen. In Schulen werden junge Menschen für zukünftige Aufgaben ausgebildet.
Fehlender Wettbewerb lässt die Preise steigen
Auch die Produktion von Rüstungsgütern bringt derzeit nur bedingt Wirtschaftswachstum. Die Auftragsbücher in der deutschen Rüstungsindustrie sind prall gefüllt. Rheinmetall beispielsweise hatte im ersten Quartal 2025 einen Auftragsbestand in Höhe von knapp 63 Milliarden Euro. Vor Beginn des Ukraine-Kriegs war es mit gut 24 Milliarden Euro nicht mal die Hälfte. Auch andere Unternehmen der Branche sind gut beschäftigt, die Produktionskapazitäten sind voll ausgelastet.
Das hat zweierlei zur Folge. Wenn das Angebot begrenzt ist, die Nachfrage aber steigt, hat das allein fehlenden Wettbewerb zur Folge und das lässt meistens die Preise steigen. Wirtschaftswissenschaftler warnen bereits davor. Krebs und Kaczmarczyk schreiben, dass "steigende Verteidigungsausgaben weniger der Wehrfähigkeit zugutekommen, dafür umso mehr den Gewinnmargen und Dividenden der Rüstungskonzerne".
Panzer statt Autos
Doch auch zivile Branchen lässt die Aussicht auf gute Geschäfte aufhorchen. Vor allem jene, die unter der schwachen Wirtschaftslage leiden. Die Deutz AG in Köln beispielsweise stellt Motoren für Hebebühnen, aber auch für landwirtschaftliche Fahrzeuge, Bagger und andere große Maschinen her. Wegen der schwachen Konjunktur sackte der Umsatz 2024 um gut zwölf Prozent ab. Deutz stellt bereits Motoren für Militärfahrzeuge her. Nun soll das bisher nur kleine Geschäft deutlich ausgeweitet werden. "Für uns ist Defence ein sehr wichtiger und interessanter Markt mit großem Wachstumspotenzial", sagte Firmenchef Sebastian Schulte im März.
Beispiel Volkswagen. Der Autobauer ist in der Krise, musste bereits tausende Stellen streichen. Das Werk in Osnabrück steht komplett vor dem Aus. Rheinmetall prüft, ob dort nicht auch Panzer gebaut werden könnten. Pläne für die Produktion von schusssicheren Fahrerkabinen für Lastkraftwagen soll es bereits geben.
Mit Lasertechnik gegen Drohnen
Beim Maschinenbauer Trumpf ist ein Wechsel der Geschäftsfelder nicht so einfach. Ein Gesellschaftervertrag regelt, dass sich das christlich geprägte Familienunternehmen nicht an der Waffenproduktion beteiligt. Peter Leibinger, Aufsichtsratschef und Trumpf-Miteigentümer, will das aber ändern. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar sagte er dem Handelsblatt: "Auch wir in der Wirtschaft müssen unseren nötigen Beitrag zu einer wehrhaften Demokratie neu bewerten und damit den Wert der Verteidigungsfähigkeit und der notwendigen Güter innerlich bejahen."
Doch auch in diesem Fall hat die Umorientierung natürlich geschäftliche Gründe. Das Unternehmen hat eine große Kompetenz in der Lasertechnologie, kämpft aber mit Auftragsrückgängen. "Auch Trumpf kann sich nicht der seit fast zwei Jahren anhaltenden globalen Konjunkturschwäche entziehen", heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens, mit dem der Abbau von 1000 Stellen angekündigt wird. Die Herstellung von Lasertechnologie beispielsweise für die Drohnenabwehr würde die Auftragsbücher sicherlich füllen.
Forschung und Entwicklung können profitieren
Das sind alles Beispiele, die zwar der Konjunktur zugutekommen. Aber nur, indem sie Verluste ausgleichen und nicht zusätzliches Wachstum auslösen. Allerdings steigen auch Unternehmen auf Rüstungsproduktion um, denen es wirtschaftlich gut geht. Gerade in der metallverarbeitenden Industrie ist die Nachfrage nach Zulieferern groß.
Einen positiven Effekt könnten die erhöhten Rüstungsausgaben auf Forschung und Entwicklung haben. Das räumen auch die Mannheimer Wirtschaftswissenschaftler Krebs und Kaczmarczyk in ihrer Studie ein. Man müsse allerdings kontrollieren, dass militärische Forschung technologische Entwicklungen nicht nur im Rüstungsbereich, sondern auch in der zivilen Wirtschaft anstoßen.
Dafür müsste es aber eine Steuerung geben. Die Forscher schlagen vor, dass sich der Staat direkt an Rüstungsunternehmen beteiligt. So "könnten öffentliche Mittel gezielter eingesetzt und eine bessere Kontrolle über die Mittelverwendung erreicht" werden.