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Politik

Wackelig: Die Pufferzone in Nordsyrien

Daniel Derya Bellut | Hediye Levent
13. August 2019

Washington und Ankara einigen sich auf die Einrichtung einer Sicherheits-Pufferzone in Nordsyrien. Doch dabei bleiben viele Fragen offen. Syrische Kurden fürchten einem Bevölkerungsaustausch.

Nordsyrien Panzer Leopard der türkischen Armee
Bild: picture-alliance/dpa/XinHua

Die Konfrontation ist abgewendet - vorerst: Seit Monaten droht die türkische Regierung, Truppen über die Grenze in den östlichen Teil Nordsyriens zu schicken. Nach 2016 und 2018 wäre dies die dritte türkische Militäroffensive in Nordsyrien, einer von überwiegend Kurden besiedelte Region. Die USA hingegen hatten mit Vergeltung gedroht, sollte die türkische Regierung Alleingänge unternehmen.

In Ankara konnten sich türkische und amerikanische Vertreter letzte Woche dann doch halbwegs einigen: Unter Kontrolle der türkischen Regierung soll entlang der türkisch-syrischen Grenze eine "Friedenszone" entstehen. Zur Einrichtung dieser Zone soll so schnell wie möglich ein Einsatzzentrum in der Nähe der türkischen Stadt Sanliurfa aufgebaut werden. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministers Hulusi Akar sei das Zentrum bereits in den kommenden Tagen einsatzbereit.  

Doch die Erklärung ist sehr vage gehalten - viele Einzelheiten bleiben unklar. Der Türkei geht es vor allem darum, eine Pufferzone östlich des Euphrat zu errichten, aus der die kurdische Milizen der YPG herausgedrängt werden sollen.

Wie umgehen mit der YPG? Für Washington sind die YPG-Kämpfer Verbündete - für Ankara Terroristen Bild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

Der Streifen entlang der türkischen Grenze "werde nun gesäubert", heißt es aus dem türkischen Außenministerium. Für die türkische Regierung ist die YPG, die große Gebiete im Norden Syriens verwaltet, der syrische Ableger der verbotenen Terrororganisation PKK und somit eine Gefahr für die türkische Sicherheit.

Des einen Freund, des anderen Feind

Für Washington hingegen ist die YPG ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). YPG-Kämpfer wurden in den letzten Jahren von den Vereinigten Staaten ausgerüstet und ausgebildet; amerikanische Streitkräfte kooperierten im Kampf gegen den IS mit den kurdischen Milizen - eine Erfolgsgeschichte, denn der IS ist im Norden des vom Bürgerkrieg zerrütteten Syrien weitestgehend besiegt. In Washington ist man daher besorgt, dass die Bekämpfung der YPG durch die Türkei ein Machtvakuum hervorruft, das Islamisten als Einfalltor dienen könnte. Wie die Einigung von Ankara diesen fundamentalen Interessenkonflikt überwinden soll, bleibt unklar. 

Auch scheint es Uneinigkeit über die Größe der Pufferzone zu geben. Verteidigungsminister Akar sagte am Montag, dass die Zone eine Tiefe von 30 bis 40 Kilometer haben soll; das ist doppelt so groß, wie es die Amerikaner vorgesehen hatten.

Verhandlungen ohne Kurden

Auch für die Kurden in Nordsyrien bleiben viele Fragen offen. "Die Details des Abkommens sind vollkommen unklar", so Aldar Khalil, kurdischer Politiker und Vorstandsmitglied der "Bewegung für eine demokratische Gesellschaft" (TEV-DEM). "Wir wollten auch ein Teil der Gespräche sein, doch die Türkei hatte kein Interesse an einem Dialog zu dritt. Eine Lösung unter Syrern, dir ihr Schicksal selber in die Hand nehmen, wäre eigentlich der korrekte Weg gewesen." Der Politiker hat Zweifel daran, dass es der türkischen Regierung tatsächlich um Sicherheit und Frieden gehe. "Die Türkei versucht, ihre Grenzen auszuweiten und den Krieg in Syrien für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren", so der Vorwurf Khalils.

Die kurdischen Kämpfer im Kampf gegen den IS Bild: Reuters/R. Said

Die Kurden im Norden Syriens und die Regierung in Damaskus befürchten, dass eine weitere Militäroffensive auf einen Bevölkerungsaustausch abzielt. Die Erinnerung an Afrin sind unter Nordsyrern noch wach, an die letzte Militäroffensive im Januar 2018 auf die Stadt im westlichen Teil Nordsyriens. Muhammed Bakir, Analyst des Rojava-Zentrums für strategische Studien, erinnert an die verheerenden Auswirkungen der Operation. "Nach der Militäroperation kam es zu Entführungen, Lösegelderpressungen, Plünderungen; Afrin-Kurden wurden aus ihren Häusern vertrieben und von den Familien von Dschihadisten ersetzt." Dieser Bevölkerungsaustausch könne die Stabilität und Sicherheit in der Region langfristig zerstören, so Bakir.

Eine "Friedenszone" für Flüchtlinge

Die von Washington und Ankara vereinbarte „Friedenszone" soll offiziell ermöglichen, syrische Flüchtlinge wieder in Nordsyrien anzusiedeln. "Ein Friedenskorridor soll entstehen, damit vertriebene Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehren können", heißt es in der Erklärung aus Washington und Ankara. Kein Land hat so viele Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen wie die Türkei. Nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im letzten Sommer und dem damit verbundenen Druck auf dem türkischen Arbeitsmarkt kippte aber die Stimmung in der Bevölkerung. Immer mehr Türken wünschen sich nun, die 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge so schnell wie möglich abzuschieben.

Aber auch die Amerikaner haben klare Interessen. Sie wollen nicht, dass Syrien nach dem Abzug der US-Truppen erneut im Chaos versinkt und der IS in der Region wieder an Stärke gewinnt. Sollten türkische Streitkräfte die YPG bekämpfen, dann könnte das Konsequenzen für Ankara haben. Am 14. Januar twitterte der US-amerikanische Präsident: "Wir beginnen den überfälligen Abzug aus Syrien. Wir werden die Türkei wirtschaftlich vernichten, sollten sie die Kurden attackieren."