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Waffen statt Autos: Rüstungsindustrie in Tschechien boomt

Lubos Palata (aus Prag)
12. Mai 2025

Die tschechische Waffenproduktion erlebt goldene Zeiten und gewinnt rapide an Bedeutung. Sie könnte als Motor der tschechischen Wirtschaft die Automobilindustrie ergänzen oder sogar ersetzen.

Die gelben Nasen von zwei L-39 Skyfox Trainingsjets sind nebeneinander zu sehen, dabei stehen nur verschwommen erkennbar zwei Männer in Leuchtkleidung
L-39 Skyfox Kampf- und Trainingsjets sind der Stolz der tschechischen RüstungsindustrieBild: Josef Vostarek/CTK/picture alliance

In den letzten dreißig Jahren hat sich die Tschechische Republik zum Land mit der höchsten Pro-Kopf-Produktion von Autos in der Welt entwickelt. Das Jahr 2024 war ein Rekordjahr: In dem Zehnmillionen-Einwohnerland wurden mehr als 1,4 Millionen Fahrzeuge hergestellt, eine Steigerung von fast vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch im ersten Quartal 2025 brach die Produktion um 7,1 Prozent ein, hauptsächlich aufgrund der gesunkenen Nachfrage in Westeuropa. Die wiederum hängt mit den Problemen in der europäischen Automobilindustrie, dem schleppenden Übergang zur Elektromobilität und den US-Zöllen zusammen.

Während die Autoproduktion schrumpft, erlebt die Rüstungsindustrie einen Boom. In den letzten drei Jahren weiteten tschechische Waffenfabriken ihre Produktion massiv aus und steigerten ihre Gewinne erheblich. 

Nach Ansicht von Ales Rod vom Zentrum für Wirtschafts- und Marktanalysen könnte der Anteil der tschechischen Rüstungsindustrie an der Wirtschaft in den nächsten Jahren von derzeit etwa einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf ein Vielfaches steigen. "Das Potenzial dafür sehen wir", sagte Rod dem Tschechischen Rundfunk. "Wir sehen eine Nachfrage in der Waffenindustrie für ein Jahrzehnt oder sogar 15 Jahre voraus. Wir sehen leere Lagerhallen. Was wir produzieren, hat kaum Zeit auszukühlen und ist weg."

Die Rüstungsindustrie als neuer Wirtschaftsmotor?

Danuse Nerudova, ehemalige Rektorin der Mendel-Universität in Brünn und Mitglied des Haushaltsausschusses des Europäischen Parlaments, sieht das ähnlich. "Die Rüstungsindustrie kann ein neuer Motor der tschechischen und europäischen Wirtschaft werden. Sie kann die frei werdenden Lieferkapazitäten und Arbeitskräfte des Automobilsektors nutzen, das Wirtschaftswachstum ankurbeln und gleichzeitig unsere Sicherheit stärken", so Nerudova gegenüber der DW.

Die tschechische Europa-Abgeordnete Danuse NerudovaBild: EP

Ein anderer prominenter tschechischer Wirtschaftswissenschaftler, Petr Zahradnik, ist etwas skeptischer. "Die tschechischen Waffenfabriken erleben goldene Zeiten, das stimmt. Ihre Kapazitäten werden ausgebaut, die tschechischen Rüstungsbetriebe expandieren mit ihrem Kapital in die fortschrittlichsten Teile der Welt", sagt der Berater des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in Brüssel der DW. Aber: "Ich glaube nicht, dass sie den Automobilsektor als Motor der tschechischen Wirtschaft ersetzen werden." Und, so fügt er hinzu: "Ich möchte das auch nicht erleben, dass die Waffenproduktion die zivile Produktion verdrängt."

Tschechien - traditionelle Waffenschmiede

Das Gebiet der heutigen Tschechischen Republik war bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein Zentrum der Rüstungsproduktion. Und auch zwischen den beiden Weltkriegen und danach gehörte die Tschechoslowakei zu den führenden Waffenproduzenten und -exporteuren der Welt. Lange Zeit machten die Waffenexporte etwa ein Zehntel aller tschechoslowakischen Ausfuhren aus.

Der tschechische Kampfjet Saab JAA-39 GripenBild: Josef Vostarek/dpa/CTK/picture alliance

So produzierte die Tschechoslowakei zwischen 1958 und 1989 zehntausend Kampf- und Übungsjets. Experten zufolge waren die tschechoslowakischen Waffen damals die besten des Ostblocks und wurden in Dutzende von Ländern in aller Welt exportiert.

Doch  Bedarf gab es auch zuhause, denn die Tschechoslowakei verfügte Ende der 1980er Jahre über eine schwer bewaffnete Armee von mehreren Hunderttausend Mann und gab bis zu 20 Prozent ihres Staatshaushalts für Verteidigungsausgaben aus.

Das Ende des Warschauer Paktes und der Konfrontation in Europa sowie die allgemeine Abrüstung zu Beginn der 1990er Jahre, die mit einer erheblichen Kürzung des Militärhaushalts einherging, trafen die tschechischen Rüstungsbetriebe hart. Der letzte große Rüstungsauftrag der Tschechoslowakei war ein Exportvertrag über 250 T72-Panzer nach Syrien, der im Jahr 1991 von der ersten nichtkommunistischen Regierung genehmigt worden war.

Nach dem Ende der Tschechoslowakei

Die Auflösung der Tschechoslowakei in ihre beiden Einzelstaaten im Jahr 1992 führte auch zu einer Aufteilung der Rüstungsindustrie: Die Produktion von Panzern und schweren Maschinen verblieb hauptsächlich in der Slowakei, während die Flugzeugindustrie, die Produktion von Kleinwaffen, Munition, Radarsystemen und vor allem von Handfeuerwaffen in Tschechien blieb.

Ein T-72-Panzer und eine DITA-Haubitze aus tschechischer ProduktionBild: Sem van der Wal/ANP/picture alliance

Die nicht immer gelungenen Privatisierungen, die Reduzierung der tschechischen Verteidigungsausgaben auf ein Prozent des BIP, die Professionalisierung und Verkleinerung der Armee auf nur noch etwa 20.000 Soldaten - all dies hat die tschechische Rüstungsindustrie erheblich geschwächt.

Wachstumsfaktor Ukraine-Krieg

Nach der Vollinvasion Russlands in das Nachbarland Ukraine im Februar 2022 steigerten die tschechischen Waffenfabriken ihre Produktion, oft um Hunderte Prozent pro Jahr. Vor allem die Herstellung von Munition, die Modernisierung von Panzern, die Produktion von Militärfahrzeugen, selbstfahrenden Haubitzen sowie von Drohnen, Radargeräten und den weltberühmten Maschinengewehren und Patronen erleben seither einen Aufschwung. Die Flugzeugfabrik Aero, der Stolz der tschechischen Rüstungsindustrie, entwickelte das neue Kampf- und Trainingsflugzeug Skyfox, das zur Ausbildung ukrainischer F-16-Kampfpiloten eingesetzt werden soll.

Das in Tschechien entwickelte Kampf- und Trainingsflugzeug SkyfoxBild: Josef Vostarek/CTK/picture alliance


Vierzig Prozent der Produktion der tschechischen Waffenfabriken gehen in die Ukraine, wo auch Joint Ventures gegründet werden. Insgesamt werden bis zu 90 Prozent der Produktion exportiert. Gleichzeitig nehmen aber auch die Käufe der tschechischen Armee zu. Im vergangenen Jahr erreichten die tschechischen Verteidigungsausgaben erstmals zwei Prozent des BIP. Premierminister Petr Fiala kündigte an, dass sie in einigen Jahren drei Prozent ausmachen sollen.

Auch die Gewinne der privaten Eigentümer der Rüstungskonzerne steigen: Der Eigentümer der Czechoslovak Group, Michal Strnad, hat sein Vermögen seit dem vergangenen Jahr mehr als verdoppelt, und zwar um 129,5 Mrd. Kronen (etwa 5 Mrd. Euro) auf 230,5 Mrd. Kronen (etwa 9 Mrd. Euro). Ähnlich erging es im vergangenen Jahr auch anderen großen tschechischen Waffenherstellern.

Waffenfabriken stellen Tausende von Mitarbeitern ein

Und für die nächsten Jahre soll der Boom anhalten. Der Munitionshersteller STV Group wird seine Produktion von großkalibriger Artilleriemunition, die er hauptsächlich an die Ukraine liefert, in diesem Jahr von 100.000 Stück auf das Dreifache erhöhen. Die PBS Group will die Herstellung von Triebwerken für Raketen und Drohnen ebenfalls verdoppeln.

Auch die Zahl der Beschäftigten in den Unternehmen steigt deutlich an. Allein die STV-Group plant die Einstellung von 1000 zusätzlichen Beschäftigten. Der größte tschechische Rüstungskonzern, die Czechoslovak Group, zu dem neben der Munitionsproduktion auch das militärische Automobilwerk Tatra gehört, beschäftigt laut ihrem Jahresbericht bereits 14.000 Mitarbeiter.

Das Skoda-Werk in Mlada Boleslav beschäftigt 20.000 MitarbeiterBild: Tim Gosling

Zum Vergleich: Der größte Automobilkonzern Skoda-Auto beschäftigt in seinem Stammwerk in Mlada Boleslav rund 20.000 Mitarbeiter. Doch die weniger anspruchsvolle Herstellung von Elektroautos wird in Zukunft zu einem Abbau der Beschäftigtenzahlen führen. Skoda-Auto-Chef Klaus Zellmer sagte Ende Februar 2025 dem Branchendienst "Automobilwoche", seine Firma mit derzeit 41.000 Angestellten plane einen Personalabbau von fünfzehn Prozent.

Viele dieser Beschäftigten dürften von der Rüstungsindustrie aufgenommen werden. Tschechischen Personalagenturen zufolge werden sie beim Wechsel keine größeren Umschulungen benötigen.

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag