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PolitikNahost

Saudi-Arabien öffnet seine Armee für Frauen

25. Februar 2021

In Saudi-Arabien dürfen sich Frauen seit kurzem für den Dienst in der Armee bewerben. Die Entscheidung hat vor allem innenpolitische Gründe, dürfte aber auch als außenpolitisches Signal gemeint sein.

Saudi-Arabien Frauen meiden Abaya-Robe mit Vollverschleierung
Bild: AFP/F. Nureldine

Sie dürfen nicht jünger als 21 Jahre sein - und nicht älter als 40. Sie müssen eine Mindestgröße von 1,55 Metern aufweisen und dürfen bislang noch nicht als Regierungsangestellte gearbeitet haben. Zwingend erforderlich zudem: die saudische Staatsangehörigkeit und ein höherer Schulabschluss. 

Frauen, die diese Voraussetzungen erfüllen, können sich in Saudi-Arabien ab sofort für den Armeedienst bewerben. Eine bemerkenswerte Entwicklung für ein Land, in dem Frauen bis 2018 nicht einmal selbständig Auto fahren durften. In der Armee stehen ihnen nun angeblich alle Karrierewege offen, von den Landstreitkräften über die Marine bis zur Luftwaffe. Auch für höhere militärische Dienstgrade können saudische Frauen sich bewerben.

Die grundsätzliche Entscheidung, auch Frauen in das saudische Militär aufzunehmen, war bereits vor knapp zweieinhalb Jahren, im Oktober 2019, gefallen. Sie sei ein "weiterer Schritt zur Stärkung der Frauen", hieß es damals selbstbewusst auf dem Twitter-Account des Verteidigungsministeriums. Zuvor hatte die Führung des Landes bereits die Polizei und die Nationalgarde für Frauen geöffnet, nun ist die Armee an der Reihe. Obwohl Inhaftierungen und Verurteilungen von politischen Aktivistinnen das Gesamtbild deutlich trüben, sind Frauenrechte in Saudi-Arabien in den letzten Jahren durchaus auf dem Vormarsch.

Inklusion und Quote

Die jetzt vollzogenen Öffnung habe mehrere Gründe, meint die politische Analystin Cinzia Bianco vom "European Council on Foreign Relations" (ECFR). "Ein Grund ist die weitere Inklusion der Frauen. Denn eines der Hauptziele der offiziellen 'Vision 2030' besteht darin, den Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung in Saudi-Arabien von durchschnittlich knapp 20 auf über 40 Prozent zu erhöhen."

Ein weiteres Motiv für die Ausweitung militärischer Karrieremöglichkeiten auf das weibliche Geschlecht gründe in der beabsichtigten Wirkung des Militärdienstes auf die Bürger, so die Golfstaaten-Expertin gegenüber der DW. Denn der Dienst an der Waffe fördere zum einen die emotionale Bindung von Bürgerinnen und Bürger an ihr Land. Darüber hinaus stärke er aber auch insgesamt die Beziehungen zwischen der Gesellschaft - insbesondere der als kritisch und ungeduldig geltenden Jugend - und den staatlichen Institutionen. Zumindest hier strebt die politische Führung offenbar gezielt eine Art "Waffengleichheit" von Männern und Frauen an. "Diese Anliegen gelten als dringlicher als militärische Aspekte", urteilt Cinzia Bianco.

Gut ausgerüstet, weniger gut ausgebildet: die saudische Armee. Szene auf dem König-Salman-Flughafen bei Riad, 2017Bild: Getty Images/AFP/F. Nureldine

Starke und schwache Armee

Nominell steht die Armee des Königreiches auf den ersten Blick durchaus ganz gut da: Nach Angaben des Portals "Global Firepower", das die militärische Stärke einzelner Länder misst, umfasst die saudische Armee etwas mehr als eine halbe Million Bedienstete, der überwiegende Anteil davon (rund 480.000) arbeitet unmittelbar im militärischen Bereich. In dem Ranking des Portals steht Saudi-Arabien unter insgesamt 139 erfassten Ländern auf Platz 17, seine Armee gilt als eine der stärksten in der arabischen Welt. Zudem ist Saudi-Arabien als weltweit größter Waffenimporteur gelistet.

Dennoch hat es die Armee des Königreichs bislang nicht ausreichend vermocht, ihre militärischen Stärken zum eigenen Vorteil auszuspielen - wie es sich vor allem in dem seit knapp fünf Jahre dauernden Krieg im Jemen zeigt. Obwohl Saudi-Arabien dort wegen zahlreicher ziviler Bombardierungsopfer seit Jahren in der Dauer-Kritik steht, hat es militärisch so gut wie keine Fortschritte erzielen können.

Nach Einschätzung des Fachmagazins "Forces" leiden die saudischen Streitkräfte darunter, dass bei Einstellungen und Beförderungen innerhalb der Armee der familiäre Status sowie gute Beziehungen zur Königsfamilie nach wie vor eine große Rolle spielen. Auch sei das saudische Militär traditionell entlang von Stammesidentitäten zersplittert. Dies vor Augen, könnte die nun ermöglichte Rekrutierung von Frauen langfristig vielleicht sogar zu einer Abkehr von der bisherigen Personalpolitik führen und dazu beitragen, die Armee von innen heraus zu erneuern, meint Cinzia Bianco. Allerdings gebe es bisher noch keine konkreten Pläne für eine solche strukturelle Basisreform des Militärs. "Außerdem wird es Jahre dauern, bis die nun vollzogene Öffnung praktische Auswirkungen zeigt."

Unterschiedliche Reaktionen

Hinter den Kulissen dürfte die Öffnung der Armee für Frauen durchaus auch auf Kritik im Lande stoßen, vor allem in konservativen Kreisen und Familien. Tatsächlich waren die ersten Reaktionen in den sozialen Netzwerken gespalten. Eine Nutzerin zeigte sich fassungslos vor Freude.

Eine andere Nutzerin zeigte sich eher unschlüssig und warf spöttisch die Frage auf, ob saudische Frauen künftig verschleiert Dienst an der Waffe leisten würden.

Saudischer Feminismus

Tatsächlich sind Details zu den Uniformen bisher nicht überliefert. Ebenso wenig ist bisher über die Anzahl der Bewerbungen und mögliche Kasernierungsorte bekannt. Doch das Königshaus lässt die jüngste Reform bereits medial als wichtigen gesellschaftlichen Fortschritt bewerben: In der saudischen Zeitung "Al Watan" - wie alle Zeitungen und Sender in dem Land unter staatlicher Kontrolle - durfte die Journalistin Abir al-Ali die Initiative ausführlich als Feminismus saudischer Prägung begrüßen: "'Feminismus' heißt in Saudi-Arabien nichts anderes, als die Rechte der Frauen zu stärken und zur Steigerung ihrer Lebensqualität beizutragen."

Eigener Führerschein: die Frauenrechte in Saudi-Arabien kommen voran Bild: picture-alliance/dpa/G. Hamdy

Außenpolitisches Signal

Die Öffnung des Militärs für Frauen sei aber auch ein wichtiges außenpolitisches Signal, sagt Saudi-Arabien-Expertin Cinzia Bianco. Dieses richte sich insbesondere an die neue US-Regierung unter Joe Biden, zu der das Königreich bislang noch ein ungeklärtes Verhältnis hat. "Riad will das bisher über Saudi-Arabien kursierende Narrativ zurechtzurücken. Darum versucht es, negative Geschichten wie etwa den Mord am Journalisten Jamal Khashoggi oder den katastrophalen Krieg im Jemen zu überwinden", so Bianco. Der Staatsführung sei bewusst, dass sie das Image des Landes vor allem durch Initiativen zur Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft aufbessern könne. "Deshalb fährt sie in dieser Richtung fort."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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