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Waffenrecht in Deutschland soll verschärft werden

Ben Knight ak
14. Juni 2022

Die Bundesregierung plant, bei Anträgen auf Waffenbesitz die psychische Gesundheit zu überprüfen. Es gibt aber Zweifel, ob Behörden dafür überhaupt die Fähigkeiten haben.

Symbolbild | Pistole
Soll in Zukunft schwerer zu bekommen sein: eine SchusswaffeBild: Michael Bihlmayer/CHROMORANGE/picture alliance

In der deutschen Regierung wird daran gearbeitet, den Besitz von Waffen stärker zu kontrollieren. Das ist Teil eines Plans gegen politischen Extremismus. Außerdem soll dadurch verhindert werden, dass psychisch kranke Personen Waffen kaufen können. 

Dieser jüngste Vorstoß zur Verschärfung des Waffenrechts ist auch eine Reaktion auf die rassistischen Morde in Hanau 2020. Der Täter hatte aus fremdenfeindlichen Motiven neun Menschen ausländischer Herkunft ermordet, bevor er seine Mutter und schließlich sich selbst tötete. 

Er hatte seine Waffen legal kaufen können, obwohl bei ihm bereits 2002 paranoide Wahnvorstellungen diagnostiziert wurden. Damals sagte er der Polizei, er werde überwacht und durch die Wand und durch die Steckdose abgehört, belauscht und gefilmt. Es handele sich um eine "psychische Vergewaltigung", so der spätere Täter. Tobias R. war im Besitz dreier Waffen und konnte eine weitere von einem Waffenhändler leihen. 

Anschlag von Hanau: Kampf gegen das Vergessen

02:50

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Der DW bestätigte eine Sprecherin des Innenministeriums, dass gegenwärtig an einem Gesetzentwurf gearbeitet werde. Das Ziel: Behörden sollen umfangreichere Hintergrund- und Zuverlässigkeitsüberprüfungen machen können, bevor eine Waffenbesitzkarte erteilt oder erneuert wird. 

Psychische Erkrankung und Waffenbesitz

Etwa eine Million Menschen in Deutschland besitzen legal Waffen - insgesamt mehr als fünf Millionen Schusswaffen. Die meisten von ihnen sind Sportschützen, Jäger oder Förster. Obwohl Gewaltverbrechen mit Schusswaffen in Deutschland relativ selten sind, sterben dennoch jedes Jahr durchschnittlich 155 Menschen durch Schüsse. 

Marcel Emmerich, Bundestagsabgeordneter der Grünen und innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, will, dass die Möglichkeiten, Waffen zu besitzen, stärker beschränkt werden. Die Vorfälle der vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass das nötig sei: "Es ist natürlich immer so, dass durch weniger Waffen im Privatbesitz mehr öffentliche Sicherheit entsteht."

Zu den Plänen der Bundesregierung gehört, dass Behörden sich austauschen: die Behörde, welche die Waffenerlaubnis ausstellt —-häufig ist das das örtliche Polizeirevier - soll im Gesundheitsbereich nachfragen dürfen, ob bei Antragstellern eine psychische Erkrankung bekannt ist.  

Doch das ist nicht so einfach, sagt Dietmar Heubrock. Er ist Professor für Forensische Psychologie an der Universität Bremen, und hat als Sachverständiger zur Reglementierung von Waffenbesitz den Bundestag beraten. Gesundheitseinrichtungen hätten häufig keine vollständigen Daten über psychische Erkrankungen. Heubrock erklärt, dass kein Datensatz die Vielfalt psychischer Probleme erfassen könne, die möglicherweise zu Gewalt führen könnten. "Haben wir denn überhaupt die entsprechenden Verfahren, um potenzielle psychische Gefährdungen, die im Laufe des späteren Lebens auftreten können, jetzt schon zu erkennen?", fragt Heubrock.

In einer Lebenskrise könnten Menschen unbemerkt zur Gefahr werden, sagt Heubrock. "Nehmen wir an, meine Existenz würde wegbrechen, und ich würde immer mehr Gewaltfantasien entwickeln: Jetzt will ich mich an der Gesellschaft rächen, ich gehe jetzt los und schieße alle tot, die mir begegnen. Das erfährt doch das Gesundheitsamt gar nicht."  

Gedenken in Erfurt: Am 26. April 2002 hatte ein Schüler am Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen erschossen und sich dann selbst das Leben genommenBild: Martin Schutt/dpa/picture alliance

In seinen Augen wäre die Lösung eine andere: neu zu entwickelnde psychologische Tests, die jeder Antragsteller für eine Waffenbesitzkarte absolvieren muss. "Die Tests sind ungefähr 20 Jahre alt. Und jeder Test, ob das ein Intelligenz- oder Persönlichkeitstest ist, muss nach einiger Zeit wieder neu normiert werden," erklärt er. 

Der Grünen-Abgeordnete Emmerich stimmt dem zu und sagt, dass ein neues Gesetz ein psychologisches Gutachten für alle Bewerber verpflichtend machen könnte. Momentan ist das nur für junge Menschen unter 25 Jahren vorgeschrieben. 

Doch der Deutsche Schützenbund (DSB) mit seinen 1,3 Millionen Mitgliedern bezweifelt, dass die Erhebung sensibler Gesundheitsdaten rechtlich machbar ist. Zudem stellt er in Frage, ob jemand ohne medizinische Expertise diese Daten dann korrekt interpretieren könnte. "Ein Mitarbeiter der Ordnungsbehörde kann zum Beispiel sicher nicht beurteilen, ob eine Eintragung in der Gesundheitsakte waffenrechtlich überhaupt relevant ist," so DSB-Sprecher Thilo von Hagen in einer E-Mail an die DW. 

Änderungen am Waffenrecht

Deutschland hat sein Waffenrecht in der Vergangenheit immer wieder verschärft, in der Regel nach Gewalttaten mit vielen Opfern. Nach dem Amoklauf von Erfurt 2002 wurden Altersgrenzen festgesetzt. Später folgte die Einführung von stichprobenartigen Kontrollen bei Waffenbesitzern, um sicherzustellen, dass die Schusswaffen korrekt aufbewahrt werden. Das war eine Konsequenz aus den tödlichen Schüssen inWinnenden 2009

Das Trauma von Winnenden

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In Folge der Terroranschläge in Paris 2015 passte die EU ihre Feuerwaffenrichtlinie an. Deutschland hat dies 2020 in deutsches Recht übertragen - vorläufig war das die letzte Änderung. Seitdem müssen die Behörden vor der Erteilung einer Waffenbesitzkarte beim Inlandsgeheimdienst nachfragen, ob der Bewerber als Extremist bekannt ist. 

Behörden müssen außerdem alle fünf Jahre überprüfen, ob ein registrierter Waffenbesitzer ein "berechtigtes Interesse" am Besitz einer Waffe hat. In der Praxis heißt das meist: die Polizei kontrolliert, ob ein Waffenbesitzer noch immer Mitglied eines Schützenvereins ist oder einen Jagdschein hat. 

Allerdings wurde bekannt, dass Neo-Nazis Schützenvereinen oder Sportschützenclubs beigetreten sind und so an Waffen gelangen konnten. Außerdem haben Nachrichten über sogenannte Reichsbürger (Verschwörungstheoretiker, die glauben, dass die Bundesrepublik Deutschland kein rechtmäßiger Staat ist) für Aufregung gesorgt: diese hatten in großer Zahl Waffen gehortet. Zwei rechtsextreme Täter der jüngeren Vergangenheit, Tobias R. und Stephan E., der Neo-Nazi, welcher den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke tötete, waren beide Mitglieder von Schützenvereinen. 

Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 vor seinem Haus erschossenBild: Swen Pförtner/dpa/picture alliance

Viele Waffenbesitzer in Deutschland halten Änderungen am Waffenrecht für überflüssig. Torsten Reinwald, der Sprecher des Deutschen Jagdverbandes (DJV), welcher mehr als 250.000 Jäger vertritt, sagt, das Problem sei nicht das geltende Gesetz, sondern dessen Durchsetzung. 

"Hanau: das hätte man verhindern können," so Reinwald gegenüber der DW. "Die Fakten lagen auf dem Tisch. Man wusste: der Mensch ist psychisch krank, aber daraus folgte eben nichts. Wären die Behörden besser vernetzt, hätte man diesen Menschen aus dem Verkehr ziehen können. Jetzt immer neue Forderungen aufzumachen - das sind Placebos, die da platziert werden, mehr nicht."

Freiheit, Datenschutz und Privilegien

Behörden haben bereits weitreichende Befugnisse, um Waffenbesitzer zu überprüfen: wenn ihnen ein Antragsteller verdächtig vorkommt, können sie ein zusätzliches Gesundheitszeugnis verlangen. Reinwald sagt, Stichprobenkontrollen seien schon jetzt ein "schwerwiegender Eingriff in die persönliche Freiheit."

Ein weiteres Problem ist der Datenschutz. Die FDP - die Regierungspartei mit der größten Empfindlichkeit, was die Einschränkung der persönlichen Freiheit angeht - hat schon Bedenken angemeldet wegen der Pläne des Innenministeriums. 

Der Grünen-Abgeordnete Emmerich erkennt an, dass medizinische Daten ein "sehr sensibles" Thema seien. Aber er fügt hinzu, dass man das bei einem neuen Gesetz berücksichtigen werde. "Die Herausforderung ist, beiden Punkten gerecht zu werden: Auf der einen Seite mit den hochsensiblen Daten rücksichtsvoll umzugehen, auf der anderen Seite aber wirklich dafür zu sorgen, dass bestimmte Personen in Zukunft nicht mehr so leicht an Waffen kommen," so Emmerich. 

Die Historikerin Dagmar Ellerbrock von der Technischen Universität Dresden sagte im Deutschlandfunk, in ihren Augen sei die Debatte irreführend: Eine Waffe zu besitzen, sei kein Grundrecht, welches jetzt eingeschränkt würde. "Das ist ein Privileg", so Ellerbrock. "Ein Privileg, das einer herausgehobenen Gruppe zugestanden wird. Wo man ein Privileg hat, ein besonderes Recht hat, muss man sich auch für dieses Recht qualifizieren."