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PolitikGlobal

Waffenverkäufe: Große Nachfrage, aber weniger Einnahmen

4. Dezember 2023

Krisen und Kriege halten die Welt in Atem. Ein neuer Bericht des Friedensforschungsinstitut SIPRI erklärt, warum 2022 die Waffenverkäufe der größten Rüstungskonzerne dennoch zurückgingen.

Deutschland | Kampfpanzer Leopard 2
Der deutsche Kampfpanzer Leopard 2 Bild: Peter Steffen/dpa/picture alliance

Wegen der vielen weltpolitischen Brandherde boomten die Waffengeschäfte jahrelang. Aber dieser Trend ist 2022 gestoppt worden – wenn auch höchstwahrscheinlich nur vorübergehend. Das geht aus dem jüngsten Bericht des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts SIPRI hervor, dass sich mit den Geschäften der 100 größten Rüstungsfirmen im vergangenen Jahr befasst hat.

Demnach erwirtschafteten die Unternehmen mit dem Verkauf von Waffen und militärischen Dienstleistungen insgesamt knapp 600 Milliarden US-Dollar. Eine gewaltige Summe. Allerdings schrumpften ihre Einnahmen spürbar um 3,5 Prozent gegenüber 2021. Es war der erste Rückgang seit Bestehen der SIPRI-Liste der Top 100 Rüstungsfirmen im Jahr 2015. "Trotz der Menge an neuen Aufträgen, die für viele Unternehmen ein Rekordniveau erreichten, sanken die Einnahmen vor allem in den USA", sagt Xiao Liang, einer der Autoren des SIPRI-Berichts, im DW-Gespräch.

Gesunkene US-Rüstungsumsätze wegen Produktionsproblemen

Viele US-amerikanische, aber auch europäische Rüstungsunternehmen konnten ihre Produktionskapazitäten nicht wesentlich erhöhen. Aufgrund von Arbeitskräftemangel, steigenden Kosten, Folgen der Corona-Pandemie und Lieferketten-Unterbrechungen, die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine noch verschärft wurden.

Bei den meisten an die Ukraine gelieferten Waffen handelte es sich zudem um Militärhilfe aus den Beständen der Europäer und der USA, was der Industrie keine großen Einnahmen brachte. Ein weiterer Grund sei die Fokussierung der größten Rüstungskonzerne auf teure Systeme wie Flugzeuge, Schiffe und Raketen, erklärt SIPRI-Experte Liang. Doch im Jahr 2022 seien die Rüstungsgüter, "die wegen des Krieges in der Ukraine am stärksten nachgefragt wurden, nicht unbedingt teurer gewesen, sondern eher gepanzerte Fahrzeuge, Munition und Artillerie."

Vor allem die Einnahmen der 42 US-Rüstungsunternehmen auf der Liste gingen deutlich um 7,9 Prozent auf 302 Milliarden Dollar zurück. Auf sie entfielen 51 Prozent der gesamten Rüstungseinnahmen der Top 100. SIPRI geht aber davon aus, dass sich längerfristige Aufträge in späteren Jahren positiv in den Bilanzen niederschlagen werden.

Bescheidenes Umsatzwachstum in Europa

Die Rüstungsumsätze der 26 in Europa ansässigen Unternehmen der Top 100 stiegen um 0,9 Prozent auf 121 Milliarden Dollar im Jahr 2022. Der Krieg in der Ukraine schuf eine Nachfrage nach Material, "das für einen Zermürbungskrieg geeignet ist, wie Munition und gepanzerte Fahrzeuge", heißt es in der SIPRI-Studie. Viele europäische Hersteller dieser Güter konnten ihre Einnahmen erhöhen. Beispielhaft nennt SIPRI das polnische Rüstungsunternehmen PGZ, das seine Einnahmen um 14 Prozent steigerte und damit "von dem militärischen Modernisierungsprogramm, das das Land verfolgt", profitierte.

Produktion von Artilleriemunition bei dem deutschen Rüstungsunternehmen RheinmetallBild: Philipp Schulze/dpa/picture alliance

Die Einnahmen der vier deutschen Rüstungskonzerne unter den hundert umsatzstärksten Unternehmen im Jahr 2022 belief sich auf 9,1 Milliarden Dollar. Ein Anstieg von 1,1 Prozent gegenüber 2021. Das einzige deutsche Unternehmen mit einem Rückgang war ThyssenKrupp. Seine Verkäufe sanken um 16 Prozent auf 1,9 Milliarden Dollar, weil das Unternehmen nach der SIPRI-Analyse weniger Schiffe als im Vorjahr auslieferte. Die Reihenfolge deutscher Firmen in der Top-100-Rangliste: Rheinmetall, Platz 28, ThyssenKrupp, 62, Hensoldt, 69 und Diehl, 93. 

Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, BDSV, sieht die Schwierigkeit deutscher Unternehmen weder im Arbeitskräftemangel noch in unterbrochenen oder gestörten Lieferketten. "Das Hauptproblem ist, dass bezüglich der Budgets keine Planbarkeit über die nächsten Jahre besteht. Alle wünschen sich, dass sie mehr Aufträge bekommen und dass sie mehr Kapazitäten aufbauen können", sagt Atzpodien im DW-Gespräch mit Blick auf die politischen Entscheider, die für Rüstungsaufträge für die Bundeswehr sorgen. 

Rätselraten über russische Waffenproduktion 

Die Einnahmeentwicklung russischer Unternehmen konnte SIPRI wegen mangelnder Datenlage nicht umfänglich einschätzen. Auch deshalb wurden lediglich zwei russische Unternehmen in die Liste aufgenommen: Rostec (Platz 10) und die United Shipbuilding Corporation (36). Ihr gemeinsamer Umsatz sank um zwölf Prozent auf 20,8 Milliarden Dollar. Die mangelnde Transparenz Russlands sei kein neuer Trend, habe aber nach der Invasion in der Ukraine zugenommen, hält der SIPRI-Bericht fest.

Liang geht davon aus, "dass die russischen Unternehmen von ihrer Regierung daran gehindert wurden, alle Informationen preiszugeben, weil sie die offizielle Darstellung über ihre Kriegsanstrengungen in der Ukraine in Frage stellen könnten."

Ein deutliches Wachstum verbuchten Unternehmen in Asien, Ozeanien sowie im Nahen und Mittleren Osten. "Dortige Unternehmen haben oftmals mit sehr schwierigen Sicherheitsbedingungen zu kämpfen und sind mit einer Art ständigem Kriegszustand konfrontiert, wie Israel oder Südkorea", so der SIPRI-Forscher Liang. Deshalb verfügten diese Unternehmen über eine "immerwährende Produktionskapazität". Das heißt: Sie können die Produktion bei plötzlichen Nachfragesteigerungen schnell hochfahren.

Ferner würden einige Unternehmen in China, Indien oder der Türkei von ihren Regierungen mit langfristigen Modernisierungsplänen unterstützt. Liang nennt einen weiteren Vorteil: "Viele Lieferanten dort kommen aus dem Inland. Der größte Teil der Nachfrage gibt es ebenfalls im Inland, um das eigene Militär zu beliefern. Dies hilft diesen Ländern, die Auswirkungen globaler Lieferketten-Unterbrechungen zu mildern."

Kampf um technologischen Vorsprung: Drohnen im Ukraine-Krieg

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Die Rüstungsumsätze der 22 in der Rangliste aufgeführten Unternehmen aus Asien und Ozeanien stiegen um 3,1 Prozent auf 134 Milliarden US-Dollar. Es sei das zweite Jahr in Folge, in dem die Einnahmen in Asien und Ozeanien höher waren als die in Europa, betont SIPRI. In den Top 100 des Jahres 2022 finden sich 22 Unternehmen aus dieser Region. Acht chinesische Firmen sind in der Liste aufgeführt, drei davon unter den ersten zehn. Die Rüstungseinnahmen aller acht Unternehmen beliefen sich auf 108 Milliarden Dollar und machten 18 Prozent des gesamten weltweiten Waffenumsatzes aus. Damit verbuchten sie hinter den US-Unternehmen den zweitgrößten Anteil am Gesamtumsatz nach Ländern.

Türkischer Drohnenhersteller mit schnellstem Wachstum

Der Nahe und Mittlere Osten verzeichnete im Jahr 2022 den prozentual größten Anstieg der Verkäufe aller Regionen. Die Einnahmen der sieben dort ansässigen Unternehmen kletterten auf 17,9 Milliarden US-Dollar. Ein Plus von elf Prozent. Unternehmen aus dieser Region profitieren nach SIPRI-Erkenntnissen von ihrer Spezialisierung auf technologisch weniger anspruchsvolle Produkte. Sie seien in der Lage, "die Produktion als Reaktion auf die steigende Nachfrage schneller zu erhöhen".

Dies gilt insbesondere für die vier türkischen Unternehmen, deren Gesamteinnahmen auf 5,5 Milliarden Dollar anwuchsen - 22 Prozent mehr als 2021. SIPRI hebt in seinem Bericht das türkische Unternehmen Baykar mit seiner Drohnen-Produktion hervor. Baykar wurde jetzt zum ersten Mal in die Top 100 (Platz 76) aufgenommen, nachdem seine Verkäufe um 94 Prozent gestiegen waren - das schnellste Wachstum aller Unternehmen in der Rangliste.

Die bewaffnete Drohne Bayraktar TB2 des türkischen Herstellers BaykarBild: Baykar/AA/picture alliance

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus der von der SIPRI-Studie aufgezeichneten Entwicklung? "Ich glaube, es gibt zwei große Lehren, die vor allem wegen des Ukraine-Kriegs weltweit gezogen werden", sagt Militärexperte Markus Bayer vom Bonner International Centre for Conflict Studies, BICC, der DW. "Die erste Lehre ist, dass Drohnen und automatisierte Systeme immens an Bedeutung gewonnen haben und für kommende Kriege entscheidend sein werden. Die zweite ist, dass 'mass matters', wie man im Englischen sagt. Das heißt, Kriege zwischen hochgerüsteten Staaten verschlingen enorme Mengen an Ressourcen."

Darauf sei man im Westen nicht vorbereitet gewesen." So seien Munitionsbestände über Jahrzehnte abgebaut worden. Bayer: "Man hat versucht, den Masseneffekt mit technologischer Überlegenheit und Präzision aufzuwiegen. Wir sehen jetzt gerade in der Ukraine, dass das nur bedingt funktioniert."

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