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PolitikEuropa

Wagner-Aufstand in Russland ändert Agenda des EU-Gipfels

29. Juni 2023

Eigentlich wollten die EU-Spitzen über Mitgliedsanträge aus der Ukraine, Moldawien und Georgien sprechen. Doch Prigoschins Panzer sorgen für Unruhe.

Der Sitzungsaal des Europäischen Rats in der belgischen Hauptstadt Brüssel
Die Agenda des EU-Gipfels wird von den jüngsten Ereignissen rund um die Wagner-Gruppe in Russland überschattetBild: picture-alliance/dpa/S. Lecocq

Der kurze Putschversuch der "Wagner"-Gruppe in Russland und dessen Folgen für die russische Kriegsführung gegen die Ukraine sind zum Topthema beim Treffen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag und Freitag in Brüssel avanciert. In seinem Einladungsschreiben hat der Vorsitzende der Gipfelrunde, Charles Michel, die Lage in Russland zwar nur kurz gestreift, aber der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, ist zu einem Mittagessen zum Auftakt des Gipfels eingeladen und wird die Diskussion befeuern.

Jens Stoltenberg warnte die EU und den Westen, man dürfe Russland nach den Ereignissen des Wochenendes nicht unterschätzen. Der NATO-Generalsekretär will über die veränderte Sicherheitslage sprechen, wenn sich Teile der Privatarmee von Jewgeni Prigoschin jetzt in Belarus ansiedelt.

Durch die jüngsten Entwicklungen sieht der Präsident Litauens, Gitanas Nauseda, sein Land bedroht. Er fordert eine weitere Verstärkung der NATO-Ostflanke. Nauseda, der in zwei Wochen den NATO-Gipfel in seinem Land ausrichtet, besuchte am Tag vor dem EU-Gipfel den ukrainischen Präsidenten in Kiew.

Beim Gipfel im März war der ukrainische Präsident Selenskyj (li.) Gast bei Charles Michel in Brüssel. Diesmal berät die EU alleineBild: Virginia Mayo/AP Photo/picture alliance

Beitritt der Ukraine zur EU?

Beim EU-Gipfel soll über die Beitrittsperspektive für die Ukraine gesprochen werden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert die Eröffnung von förmlichen Beitrittsbehandlungen mit der EU noch in diesem Jahr.

Es muss sich zeigen, ob Brüssel zu diesem Schritt bereit ist. Auf jeden Fall soll vom Europäischen Rat "ein klares Signal ausgehen, dass wir fest an der Seite der Ukraine stehen, dass wir die Ukraine unterstützen auf ihrem Weg in Freiheit und Frieden. Und auch auf ihrem Weg in die EU", sagte die deutsche Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann. Sie bereitet zusammen mit ihren 26 Amtskolleginnen und -kollegen das Gipfeltreffen der Chefs vor.

Der EU-Gipfel wird weitere finanzielle und militärische Hilfen für die Ukraine auf den Weg bringen. Die Verpflichtung, dass die EU helfen werde, "so lange es nötig ist", wird noch einmal bekräftigt, kündigte auch der Vorsitzende des Gipfels, EU-Ratspräsident Charles Michel, an. Die EU-Kommission hatte gefordert, für langfristige Hilfen für die Ukraine und eigene Rüstungsprojekte den EU-Haushalt um 66 Milliarden Euro bis 2027 aufzustocken. Das lehnen die Regierungen der Mitgliedsstaaten bisher ab. Die EU-Kommission solle erst einmal "mit Fantasie" Umschichtungen im rund 1,1 Billionen Euro umfassenden Haushaltsrahmen vornehmen und nicht nur frisches Geld fordern, heißt es zum Bespiel von der österreichischen Europa-Staatssekretärin Karoline Edtstadler.

Litauens Präsident Nauseda sieht eine Bedrohung durch Wagner-Kämpfer in BelarusBild: John Thys/AFP

Schnellere Verfahren für den West-Balkan?

Die Staats- und Regierungschefs werden sich nicht nur mit den erst vor einem Jahr akzeptierten Beitrittswünschen aus der Ukraine, Moldau und Georgien beschäftigen, sondern auch mit den seit Jahren laufenden Beitrittsverfahren der sechs Westbalkanstaaten. Hier gebe es Bemühungen, die Verfahren zu beschleunigen, berichten EU-Diplomaten aus der Vorbereitung des Gipfeltreffens.

Wie sich der neue Schwung konkret auswirken könnte, ist noch nicht klar. "Wir dürfen die Westbalkan-Staaten nicht links liegenlassen", meint die kroatische Staatssekretärin Andrea Metelko-Zgombic vor dem Gipfeltreffen. "Wir erwarten eine klare Botschaft an unsere sechs Partner auf dem Westbalkan, weil sie konkrete Schritte machen sollen. Wir müssen ihnen ermöglichen, auf ihrem europäischen Weg voranzugehen."

Größter Stolperstein sind nach wie vor die anhaltenden Spannungen zwischen Serbien und Kosovo, das von Serbien als abtrünnige Provinz betrachtet wird. Lösungen für diesen Konflikt, der immer wieder gewaltsam ausbricht, sollen auf dem Gipfel besprochen werden. Die bisherigen Vermittlungsbemühungen des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell waren erfolglos.

Seit dem West-Balkan-Gipfel in Tirana im Dezember 2022 hat sich nicht viel bewegtBild: Andreea Alexandru/AP/picture alliance

Wo bleibt die China-Strategie?

Eine ganze Reihe von anderen außenpolitischen Themen treten wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine in den Hintergrund. So wird zum Bespiel nur kurz über die längst fällige gemeinsame China-Strategie der EU gesprochen. Die gibt es aber eigentlich noch gar nicht, meint Francecsa Ghiretti vom Mercator-Institut für China-Studien im Gespräch mit der DW.

"Es gibt einen Rahmen, der China gleichzeitig als Partner, wirtschaftlichen Konkurrenten und systemischen Rivalen beschreibt. Bei diesem Rahmen wird es bleiben, er wird nicht verändert. Gibt es eine gemeinsame Strategie? Nein. Eine einheitliche Vorgehensweise gibt der 27 Staaten gibt es nicht. Die Interessen und Prioritäten sind einfach zu unterschiedlich."

Die Führung in Peking wisse das natürlich und verhalte sich entsprechend, in dem sie nur mit einzelnen EU-Mitgliedern verhandele, so Francesca Ghiretti. Nötig sei es, Risiken in den wirtschaftlichen Beziehungen zu erkennen und diese dann zu managen, ohne die Verbindungen zu kappen. Bundeskanzler Olaf Scholz und die EU-Kommission nennen das "Risikoverminderung" ohne "Entkoppelung" vom extrem wichtigen chinesischen Markt.

Chinas Expansionskurs: Kann der Westen gegenhalten?

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Migration weiter umstritten?

Für etwas Unruhe beim Gipfeltreffen dürfte wieder einmal der ungarische Regierungschef Viktor Orban sorgen. Er will zusammen mit seinem polnischen Kollegen gegen die jüngst beschlossenen Reformen bei der Migrationspolitik protestieren.

Orban kündigte in der deutschen Bild-Zeitung an, er werde auf keinen Fall 20.000 Euro für jeden Migranten zahlen, den Ungarn nicht aufnehme. "Wir geben mehr als zwei Milliarden Euro aus, um den Schengen-Raum gegen illegale Einwanderer zu verteidigen. Wir haben keinen einzigen Pfennig aus Brüssel erhalten. Wozu sollen wir mehr bezahlen?", sagte Viktor Orban.

Die von den EU-Innenministern vor drei Wochen beschlossenen neuen Verfahren lehnte Orban als zu lasch ab. Sie seien ein Signal an Schleuserbanden, einfach so weiterzumachen wie bisher.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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