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Mythos Bayreuth

24. Juli 2009

Die Wagner-Dynastie setzt sich fort: Zum ersten Mal finden die Opern-Festspiele in Bayreuth unter der Leitung der Urenkelinnen Katharina und Eva statt. Die "Wagner-Sucht" ist nach über 100-jähriger Tradition ungebrochen.

Sie strömen wieder: Gäste der Wagner-Opernfestspiele in BayreuthBild: picture-alliance/ dpa
Auch dieses Jahr fahren wieder Wagner-Begeisterte nach Bayreuth – ohne Eintrittskarte. Mit einem kleinen Fünkchen Hoffnung auf eine Restkarte. Aussichten gleich null. Die Opferbereitschaft ist groß, einmal oder sogar mehrmals dazu zu gehören, denn das Interesse und die Liebe zu Wagners Musikdramen wachsen, je länger man sich mit ihnen beschäftigt. Die "Wagner-Sucht" liegt an der ungemein eindringlichen Kraft der Musik. Besonders im Bayreuther Festspielhaus entfaltet sie sich, in einer für Wagners Werke idealen Akustik. Sicherlich gibt es aber auch Neugierige, die einfach wissen wollen, was eigentlich an einem Festival ist, bei dem die Kartennachfrage das Angebot um den Faktor Zehn übersteigt.

Der Promi-Faktor: Sehen und gesehen werden

Angela Merkel mit GatteBild: dpa

Andere wiederum verbinden mit Bayreuth High Society und Prestige. Manche bedienen sich auf dem Schwarzmarkt: Im Internet sind Karten für 1190 Euro zu haben. Im kollektiven Bewusstsein ist das Schaulaufen der Promis am Eröffnungstag das bekannteste Bild von Bayreuth. Angekündigt sind diesmal Bundeskanzlerin Angela Merkel, zwei ihrer Kabinettsmitglieder sowie der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle und der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Jahr für Jahr die Auffahrt zum Grünen Hügel, die Begrüßung vor dem Hauptportal, Jahr für Jahr dieselben zehn "festspieltauglichen" Opern Richard Wagners. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch Jahr für Jahr dasselbe Publikum kommt. Auch wenn Pressesprecher Peter Emmerich das nicht so sieht. Es gebe zwar viele "Wiederholungstäter", aber die Anzahl der Wagner-Erstlinge sei genauso groß.

Die Dynastie Wagner

Es wacht der Patriarch: Richard-Wagner-Büste auf dem Grünen HügelBild: AP

Absolute Konzentration auf sein Werk wollte Richard Wagner mit seinen Festspielen erreichen. Der junge Mann war ein Revolutionär, der im Alter reaktionäre Zügen eines Sektenführers bekam. Er griff auf germanische Mythen zurück, schuf einen eigenen Mythos und vererbte ihn weiter. Witwe Cosima, Sohn Siegfried, Schwiegertochter Winifred, Enkel Wieland und Wolfgang und jetzt die Urenkelinnen Eva und Katharina: Sie alle bilden seit der Gründung der Bayreuther Festspiele im Jahr 1876 eine kontinuierliche Führungsdynastie. Auch wenn Richard Wagner sein musikalisches Genie nicht vererbte, so gab er doch seinen ausgeprägten Sinn zur Selbstinszenierung weiter. In der brüchigen deutschen Geschichte bilden die Wagners eine Kontinuität, Künstler und Publikum der Bayreuther Festspiele eine Gemeinschaft. "Ich empfinde das als eine große Ehre, dass ich das machen darf", sagt Dirigent Christian Thielemann. Das Grundgefühl spiegelt sich in seiner Wortwahl wieder: Er spricht davon, "auserwählt" zu sein, und davon dass hier jeder gleich behandelt werde. "Der Star ist hier Richard Wagner."

Unterdurchschnittliche Gagen

Das Werk des Urgroßvaters fortführen: Katharina Wagner, rechts, mit Halbschwester Eva Wagner-PasquierBild: picture-alliance/ dpa

Christian Thielemann steht mit dieser Meinung nicht allein. Orchester- und Chormusiker opfern ihren Sommerurlaub, berühmte Sänger treten für unterdurchschnittliche Gagen auf und halten ihre Terminkalender frei, um Wagner an dem von ihm vorgesehenen Ort aufzuführen. Sogar die Bühnenarbeiter. Aber - da war doch was? Die Festspiele sollten bestreikt werden. Es hieß, sie arbeiten viele Stunden unter Lohnniveau. Der Streik wurde abgewendet, aber allein der Gedanke an einen Tarifstreit auf dem Grünen Hügel war völlig neu.

Die Nach-Wolfgang-Ära

Eine Ära: Wolfgang WagnerBild: picture-alliance/ dpa

Das erste Ergebnis der Nach-Wolfgang-Ära? Von 1951 bis 2008 hielt Wolfgang Wagner als Geschäftsführer die Zügel fest in der Hand. Dazu kultivierte er raffiniert den Privileg-Status, es hieß immer: "Niemand kommt nach Bayreuth, der nicht hier sein will". Also auch das Bühnenpersonal. War die Streikandrohung vielleicht sogar indirekt ein Ergebnis der seit dem Vorjahr beobachteten gezielten Ent-Mythologisierung der Bayreuther Festspiele? Mit Public Viewing aus dem Festspielhaus und Übertragung im Internet per Livestream wirkt das Festival weniger exklusiv. Von den Podcasts ganz zu schweigen, die Proben, Bühnenräume und allzu Alltägliches, auch Banales, aus dem "heiligen" Ort brachten. Zum Mythos gehört nun einmal Exklusivität.

Das Führungs-Tandem ist aber überzeugt, dass die Sinnsuche der Menschen im und durch den Mythos Bayreuth weiterhin besteht, nur andere Wege geht und nicht mit obskuren Ritualen künstlich genährt werden muss, so dass die multimediale Verbreitung das Interesse am echten Opernerlebnis sogar noch steigert. Die ältere Halbschwester, Eva Wagner-Pasquier, 64 Jahre alt, ist eine erfahrene Opernmanagerin, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Gesangsniveau in Bayreuth zu verbessern. Die jüngere, Katharina, 31, interessiert sich für neue Medien und erntet zunehmend als Regisseurin Anerkennung. Auf ihre Initiative hin gibt es in diesem Jahr ohne Neuinszenierungen doch etwas Neues: Zum ersten Mal eine Kinderoper, eine verkürzte Fassung von Wagners "Fliegendem Holländer", in zehn Aufführungen vom 25. Juli bis zum 2. August. Aufführungsort: eine Probebühne am Festspielhaus. Zielpublikum: Jungwagnerianer im Alter von sechs bis zehn Jahren. Desweiteren bieten die Festspiele erstmals kostenlose Einführungsvorträge zu den einzelnen Werken an. Und wer die Ohren schonen will, kann im Haus Wahnfried die Ausstellung "Die Seele der Musik" besuchen, die rund 40 Musikerporträts des Photographen Mat Hennek zeigt. Es tut sich was auf dem Hügel.

Autor: Rick Fulker

Redaktion: Elena Singer

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