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Musik

Wagners grimmig-lustige "Meistersinger" in Bayreuth

Rick Fulker
26. Juli 2017

Antisemitismus ist ein Thema, das bei den Richard Wagner Festspielen lange umschifft wurde. Genau dort setzt der Regisseur Barrie Kosky in seiner Inszenierung an - mit einem Ergebnis, das zum Nachdenken anregt.

Deutschland Meistersinger Bayreuther Festspiele 2017
Bild: Bayreuther Festspiele/E. Nawrath

In dieser Inszenierung handelt die Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" von einem einzigen Mann, Richard Wagner, den Barrie Kosky mit seinen Markenzeichen Samtweste und Baskenmütze mehrfach auf die Bühne stellt: Kleine Wagners mit Samtwesten und Baskenmützen, oder auch Hans Sachs und Walther von Stolzing im Wagner-Look. Und die Figur Eva ist eindeutig als Cosima Wagner zu erkennen. Es geht hier nicht nur um Wagners Monomanie sondern um seinen Solipsismus.

In der Handlung wird das mittelalterliche Nürnberg von Meistern ihre Zünfte regiert, aber wenn man wirklich Erfolg haben will, sollte man die Kunst des Liederschreibens beherrschen. Dem Gewinner des bevorstehenden Wettbewerbs erwartet einen attraktiven Preis: die junge Frau Eva. Sie hat aber nur Augen für einen Außenseiter, der wenig Erfolgsaussichten hat: Walther hat von der speziellen Liederkunst in Nürnberg keine Ahnung. Ein anderer, Beckmesser, kennt sich da besser aus. Nach vielen Wendungen in der fünfstündigen Oper kriegt der Gute, Walther, das Mädchen, während der Böse, Beckmesser, vorgeführt und ausgeschlossen wird. Happy End.

Beckmesser, von Johannes Martin Kränzle gesungen, wird gezwungen, eine Wagner-Maske zu tragenBild: Bayreuther Festspiele/E. Nawrath

Es ist kein Zufall, dass der Beckmesser in dieser Produktion einen langen, weißen Bart trägt. Er erscheint berechnend, pedantisch und zitternd. Walther ist dagegen blond, stark und authentisch. Nirgendwo im Werk erwähnt Wagner Juden oder Jüdisches, das muss er auch nicht: Seine Figur Beckmesser wird allgemein für den stereotypischen Juden gehalten - so, zumindest, wie ein Deutscher im 19. Jahrhundert ihn gesehen haben mag. Indem er den Stereotyp direkt thematisiert, nimmt Kosky ihm seine Kraft - und zeigt, wohin stereotypische Betrachtungsweisen führen können.

Visuelles Leitmotiv: dunkele Holzvertäfelung

Der ganze erste Akt hat eine einzige Szene: Wagners vertäfeltes Wohnzimmer in Wahnfried, seiner Bayreuther Residenz. Zunächst wirkt die heile Welt mit ihren hektisch-fröhlich agierenden Protagonisten in mittelalterlicher Bekleidung lustig. Nachher ärgert die ständige Bewegung im miefigen bürgerlichen Raum, das wird bis zum Ende des Akts fast unerträglich. Die verstaute Energie löst sich dann auf: Der Kammer wird nach hinten gezogen, und was bleibt ist eine geräumigeren Innenraum, auch holzvertäfelt: der Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse. Auch das ist Nürnberg.

Und nicht zu vergessen: Auch Adolf Hitlers Reichsparteitage fanden dort statt, und die "Meistersinger" wurden während der Parteitage als eine Art Begleitprogramm aufgeführt.

"Man muss über das, was eigentlich hier im Dritten Reich passiert ist, sehr, sehr ehrlich sein", erklärte Barrie Kosky der DW. Er ist es - und auf eine Weise, die man bisher nie in Wagners Festspielhaus gesehen hat. Der Nürnberger Gerichtssaal ist auch Schauplatz des ganzen dritten Akts. Der zweite Akt findet in Wahnfried statt - jedoch mit Grassboden übersät. Von hier aus löst Beckmessers Gesang eine öffentliche Ausschreitung aus. Danach wird er hinter einem Portrait Richard Wagners brutal zusammengeschlagen. Ein aufblasbares Riesenbildnis des Komponisten lugt beunruhigend in den Zuschauerraum, fällt dann in sich zusammen um die Figur Beckmesser scheinbar zu ersticken. Auf dem Kopf der Monströsität: der Davidstern.

Kosky zur zentralen Aussage: "Meiner Meinung nach hat Wagner seine eigene Hölle geschaffen. Er ist permanent am Zeugenstand, muss immer das rechtfertigen, was er gesagt hat und was man aus seiner Musik gemacht hat. In dieser Lage befindet sich Wagner nun einmal, und ich bin nicht so sicher, dass er sich davon lösen kann."

In einer Neuauflage der Nürnberger Prozesse ist Richard Wagner also der Angeklagte. Macht Kosky Wagner für den Nazihorror verantwortlich? Man kann das so sehen, muss es aber nicht. Kosky liebt es, Erwartungen zu trotzen. Bei ihm soll man nichts auf dem ersten Blick glauben.

Diese Deutung zeigt, dass es bei Wagners einziger Komödie um mehr als einen Liederwettbewerb geht. Die Frage entsteht: Kann eine Gesellschaft ohne Feindbilder auskommen? Braucht man den "Anderen", um für die eigene Gemeinschaft Zusammenhalt und Identifikation zu finden?

Richard Wagner à la Hans Sachs, von Michael Volle im leeren Nürnberger Prozessraum gesungenBild: Bayreuther Festspiele/E. Nawrath

Punktlandung mit der Bühnentechnik

Bei der atemberaubend präzisen Koordination von Bühnenaktionen und Musik - dazu den Gags, die Gelächter im Publikum provozieren, glaubt man gern, dass Dirigent und Besetzung, so ist zu lesen, viel Spaß hatten bei den monatelangen Proben dieser aufwändigsten und besetzungsreichsten Oper Wagners. Der Schweizer Dirigent Philippe Jordan hielt den Ton durchgehend sachlich, den Pathos, den man bei diesem Werk so oft hört, meidet er.

Nach dem Vorhang gab es lautstarke Ovationen für alle, durchsetzt mit einzelnen Buhrufen für Anne Schwanewilms als Eva, für den Regisseur Barrie Kosky und für den Dirigenten Philippe Jordan. Bei Letzterem hat es vielleicht damit zu tun, dass Wagnerfans, die etwas mehr Innbrunst bei ihren Lieblingspassagen hören wollten, enttäuscht wurden. Unfehlbare Intonation und Textaussprache zeichneten dafür sowohl Klaus Florian Vogt als Walther von Stolzing aus - und vor allem Michael Volle als Hans Sachs. Die Rolle ist, gelinde gesagt, eine Strapaze: Der Bariton singt buchstäblich stundenlang. Nie wurde sie aber klarer vermittelt - wenigstens nicht in Bayreuth, so lange man sich erinnern kann.

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