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Wahl in Polen: Deutschpolen wählen "kleineres Übel"

30. Mai 2025

Rafal Trzaskowski oder Karol Nawrocki? Auch die Polen in Deutschland dürfen bei der Stichwahl am Sonntag mitentscheiden, wer Polens nächster Präsident wird. Sie haben andere Präferenzen als ihre Landsleute in der Heimat.

Auf zwei Schildern steht in polnische Sprache "Obwodowa Komisja Wyborcza 211" bzw. 212, daneben sind eine geöffnete Tür, davor die Köpfe eines Mannes und einer Frau zu sehen
"Regionaler Wahlausschuss" steht an der Tür zu diesem Wahllokal für polnische Wählerinnen und Wähler in Berlin Bild: Martyna Masztalerz/DW

Ewa hat noch keine polnische Wahl verpasst. Obwohl sie seit 40 Jahren in Deutschland lebt und auch einen deutschen Pass hat, gibt sie ihre Stimme immer auch bei Wahlen in Polen ab. Ursprünglich kam sie als politischer Flüchtling in die Bundesrepublik - aber sie hat nach wie vor Verwandte in ihrem Herkunftsland und setzte sich dort von 2015-23 für Demokratie und Rechtsstaat ein, als die nationalkonservative Partei PiS das Land regierte.

Rund zwei Millionen Menschen mit polnischen Wurzeln leben in Deutschland, über 850.000 davon haben nur einen polnischen Pass. Jeder, der die polnische Staatsbürgerschaft hat, darf an Wahlen in Polen teilnehmen - aber nur rund 80.000 der "Deutschpolen" haben dieses Recht beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl vor zwei Wochen genutzt.

Ewa lebt seit 40 Jahren in Deutschland, gibt ihre Stimme aber bei jeder polnischen Wahl abBild: Martyna Masztalerz/DW

Um ihr Wahlrecht ausüben zu können, müssen sich polnische Staatsbürger mit Wohnsitz in Deutschland auf einer Liste im Konsulat eintragen. Dafür ist ein gültiger polnischer Ausweis oder Reisepass erforderlich, den viele polnische Einwanderer in Deutschland nicht mehr besitzen. Abschreckend wirken auch lange Wege zu den Abstimmungsorten: Es gibt insgesamt 54 Wahllokale in deutschen Großstädten wie Hamburg, Berlin, Köln, München oder Dortmund. Für viele in Deutschland lebende Polen kann die Fahrt zum Wahllokal 200 oder mehr Kilometer betragen. Eine Briefwahl gibt es nicht.

"Wählen ist für mich eine Pflicht, der ich gerne nachkomme", betont Ewa. Deshalb ist sie auch bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl dabei - so wie über weitere 112.000 Deutschpolen, die sich bis Dienstagabend (27.05.2025) auf den Wählerlisten registrieren ließen. Ein Viertel mehr als beim ersten Wahlgang. Und mehr als jemals zuvor.

Nawrocki auf Platz 3

Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs zeigen deutlich: Die Polen in Deutschland wählen anders als ihre Mitbürger in der Heimat. Zwar gewann in beiden Ländern der liberale, proeuropäische Rafal Trzaskowski - aber in Deutschland mit 40,6 Prozent gegenüber 31,6 Prozent in Polen. Während in Polen der nationalkonservative Karol Nawrocki auf Platz zwei kam, belegt diese Position in Deutschland der rechtsextreme Slawomir Mentzen mit 18,8 Prozent.

Der rechtsextreme Kandidat Slawomir Mentzen erhielt 18,8 Prozent der Stimmen der Polen in DeutschlandBild: Attila Husejnow/Zumapress/picture alliance

Nawrocki kam in Deutschland mit nur 14,5 Prozent auf Platz drei - in Polen waren es mit 29,5 Prozent mehr als doppelt so viele. Hätten die Präferenzen der in Deutschland lebenden Polen beim ersten Wahlgang entschieden, wäre der nationalkonservative Kandidat also bei der Stichwahl gar nicht mehr dabei.

Der Sieg von Trzaskowski überraschte nicht. Schon vor fünf Jahren gewann der derzeitige Bürgermeister der polnischen Hauptstadt Warschau in Deutschland mit über 70 Prozent in der Stichwahl gegen den amtierenden Präsidenten, den Nationalkonservativen Andrzej Duda. In Polen dagegen verlor er die Wahl.

Überraschend ist dagegen der zweite Platz für Mentzen, der in Polen auf Platz drei landete. Insgesamt erzielten die rechtsextremen Kandidaten in Deutschland ein sehr gutes Ergebnis. Für Mentzen und den antisemitischen und anti-europäischen Grzegorz Braun stimmten in Deutschland 28 Prozent der Wähler, in Polen waren es 22 Prozent.

Mentzen von der extrem rechten, libertären Partei Konfederacja sitzt im Europaparlament in einer Fraktion mit der AfD. Braun verlor gerade seine Immunität als EU-Abgeordneter, weil er im polnischen Parlament, dem Sejm, Chanukka-Kerzen mit einem Feuerlöscher gelöscht und eine Frau angegriffen hatte, die ihn aufhalten wollte.

Müde vom Zwei-Parteien-System

"Ich habe mich für Braun entschieden", erzählt Damian [Name geändert - Red.]. Er kommt aus Nordpolen und arbeitet seit Jahren als Bauarbeiter in Deutschland. Seine Freizeit in Berlin verbringt er in einer polnischen Disco. "Braun weiß die polnische Geschichte zu schätzen, er pflegt das Polentum. Das ist den Liberalen egal", erklärt Damian. "Sie wollen sich als Europäer zeigen, so sehr, dass sie uns Brüssel unterwerfen", fürchtet Damian. Um das zu verhindern, muss er "auf jeden Fall" an der Wahl teilnehmen. 

Der "gläubige Katholik" Piotr lebt seit fast 40 Jahren in DeutschlandBild: Martyna Masztalerz/DW

Auch Piotr kann sich nicht vorstellen, seiner Bürgerpflicht nicht nachzukommen. Der "gläubige Katholik", wie er sich selbst bezeichnet, hat einen gut bezahlten Job in Deutschland, wo er seit fast 40 Jahren lebt. Seine Kinder, die in Deutschland geboren wurden, wählen nur bei deutschen Wahlen, Piotr dagegen nimmt sowohl an deutschen als auch an polnischen Wahlen teil. "Ich habe für Mentzen gestimmt", verrät er. "der ist intelligent, kennt sich mit Wirtschaft aus, und vor allem - er hat nichts mit dem jetzigen System zu tun".

Dieses "System" sei für viele Deutschpolen ein zentraler Punkt, glaubt die Politologin Agnieszka Lada-Konefal: "Die Wähler, die Braun und Mentzen unterstützen, kann man nicht einfach als anti-europäisch oder antisemitisch bezeichnen", so die stellvertretende Direktorin des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt. "Sie sind vor allem 'antisystemisch', wollen weder Trzaskowski noch Nawrocki, weil die beiden für sie das seit Jahren bestehende Zwei-Parteien-System vertreten. Sie sind ausgewandert, weil sie sich in diesem System benachteiligt gefühlt haben - und sie wollen nicht zurückkehren, solange es noch besteht. Sie wollen jemanden Neuen."

"Unsere AfD"

"Die wählen einfach dagegen", sagt Ewa dagegen über die Wähler der Rechtsextremen. "Sie leben hier in Deutschland, sehen, wie die AfD hier gewählt wird. Und denken sich dann vielleicht: Warum sollten wir nicht auch 'unsere AfD' wählen?" Ewa steht auf der anderen Seite. In den letzten Jahren wählte sie Trzaskowski und die Partei des amtierenden Premierministers Donald Tusk, Bürgerplattform (PO). Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hat sie die Kandidatin der Partei Neue Linke gewählt, weil die für Frauenrechte stehe. Das war - wie sie sagt - "meine Herzenswahl".

Polens liberalkonservativer Premierminister Donald Tusk Bild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Ewa wusste, dass ihre Kandidatin keine Chance hatte, die Wahl zu gewinnen. Aber sie wollte mit ihrer Stimme ein Zeichen für Themen und Forderungen setzen, die vor allem vielen Polinnen wichtig sind - ein Zeichen auch an Trzaskowski. Dass der liberale Kandidat gewinnt, glaubt Ewa fest. Nur so könne Tusks aktuelle Regierungskoalition diejenigen Reformen umsetzen, die derzeit noch vom amtierenden Präsidenten Duda blockiert werden. Deshalb ist für Ewa die Entscheidung bei der Stichwahl klar. Und nicht nur für sie.

Jede Stimme kann entscheidend sein

Vor der polnischen Kirche am Berliner Südstern treffen wir eine andere Ewa, die zum Gottesdienst geht. "Alle meine polnischen Freundinnen sind sich einig", lacht sie. "Nur Rafal Trzaskowski, wer sonst?" Religiosität entscheidet nicht. "Der Großteil der Polen in Deutschland ist progressiv, weltoffen und proeuropäisch", meint auch die Politologin Lada-Konefal, "Trzaskowski ist für diese Leute der Kandidat, der sicher stellt, dass sich auch Polen in dieser Richtung entwickelt".

"Religiosität entscheidet nicht." - Ewa wird für Rafal Trzaskowski stimmenBild: Martyna Masztalerz/DW

Umfragen sehen beide Bewerber in der Woche vor der Stichwahl gleichauf. Also kann jede Stimme entscheidend sein. Für viele Polen, auch in Deutschland, geht es am 1. Juni geht es nicht mehr darum, wen sie wollen - sondern darum, wen sie nicht wollen. Sie wählen "das kleinere Übel".

So sieht das auch Dana. Sie ist nach Berlin geflüchtet, weil die LGBT-Community in Polen unter der PiS-Regierung immer öfter angegriffen wurde. "Im ersten Wahlgang habe ich meine Stimme der linken Kandidatin gegeben, denn nur die Linken nehmen Menschen wie uns ernst und setzten sich für uns ein. Am Sonntag wähle ich Trzaskowski, weil er weniger schlimm ist als Nawrocki." Dana wählt ihre Worte bewusst: "Für uns Queers bringen die Wahlen sowieso kaum etwas Gutes", sagt sie resigniert. Aber dass ein PiS-Präsident für ihre Community viel Schlimmes bringen würde, ist für Dana ebenfalls klar.

Auch Piotr, der eigentlich gerne den Rechtsextremisten Mentzen als Präsident sehen würde, wird sich für das "kleinere Übel" entscheiden. "Bloß nicht Trzaskowski! Seine Ansichten ändern sich zu oft. Mal ist er katholisch, dann unterstützt er die LGBT-Bewegung. Mal zeigt er sich mit der polnischen Fahne, dann mit der EU-Flagge und sogar mit Regenbogenfarben. Das kann ich nicht verstehen," erklärt der Deutschpole. "Meine Stimme kriegt Nawrocki."

Wahl in Polen: Auch Polen in Deutschland stimmen ab

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